Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Armenien wählt neuen Präsidenten

Der Konflikt um Berg-Karabach lastet nach wie vor auf dem südkaukasischen Staat

Von Vougar Aslanov *

Am heutigen Dienstag soll in Armenien ein neuer Präsident gewählt werden. Neun Politiker bewerben sich um das höchste Staatsamt. Tatsächlich aber ist ein Zweikampf zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten Sersh Sarkissjan und dem früheren Staatspräsidenten Lewon Ter-Petrosjan zu erwarten.

Die armenische Hauptstadt Jerewan erlebte am Sonnabend die größte Kundgebung seit vielen Jahren. Lewon Ter-Petrosjan, der schon von 1991 bis 1998 an der Spitze des Staates stand, warb um Stimmen für seine neuerliche Wahl. »Niemand darf am 19. Februar zu Hause bleiben«, rief der 63-Jährige seinen Anhängern zu.

An der amtierenden Regierung und an Präsident Robert Kotscharjan, der nach zehn Amtsjahren nicht wieder kandidieren darf, lässt Ter-Petrosjan kein gutes Haar: Es handle sich um ein korruptes, »räuberisches Regime«, dem das Schicksal des Landes gleichgültig sei und von dem man sich endlich befreien müsse. Auch mit seinen Nachbarn Aserbaid-shan und der Türkei, die ihre Grenzen zu Armenien geschlossen halten, müsse sich Jerewan im Interesse der eigenen Zukunft verständigen.

Eben diese Kompromissbereitschaft hatte Ter-Petrosjan im Februar 1998 sein Amt gekostet: Der damalige Ministerpräsident Robert Kotscharjan und die Parlamentsmehrheit hatten seine Haltung im Konflikt um die mehrheitlich von Armeniern besiedelte, aber auf dem Staatsgebiet Aserbaidshans liegende Region Berg-Karabach nicht akzeptiert. Die Armenier hatten im Konflikt mit dem Nachbarn militärisch gesiegt und halten noch immer ein Fünftel des aserbaidshanischen Territoriums -- einschließlich Berg-Karabachs -- besetzt. Doch während Aserbaidshan dank sprudelnder Öl- und Geldquellen aufrüstet und irgendwann auf militärische Revanche sinnen könnte, ist Armenien einer der ärmsten Staaten der Welt geblieben. Schon wegen der veränderten Kräfteverhältnisse wird eine friedliche Einigung zwischen den Nachbarn immer dringlicher.

Doch der scheidende Präsident Kotscharjan -- selbst aus Berg-Karabach stammend -- nennt die Regierungsjahre Ter Petrosjans »die schwierigsten und unglücklichsten« in der jüngeren Geschichte Armeniens. Ter-Petrosjan habe Kompromisse mit »Feinden des armenischen Volkes« geschlossen. Seine Armenische Gesamtnationale Bewegung sei einst auf der Karabach-Welle an die Macht gekommen, habe die nationale Idee aber verraten. »Sie sind bereit, auch den Völkermord an Armeniern in der osmanischen Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts zu vergessen und Armenien zum Anhängsel der Türkei zu machen«, sagte Kotscharjan im Interview für die Zeitung »Stimme Armeniens«. Für ihn steht außer Frage, dass Ministerpräsident Sersh Sarkissjan, den er als Nachfolger aufgebaut hat, der nächste Präsident Armeniens wird.

Ein Machtwechsel -- so vermuten viele politische Experten -- läge indes auch im Interesse der USA, die im geostrategisch bedeutsamen Südkaukasus und in der kaspischen Region mehr Einfluss gewinnen wollen. Washington ist die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit Armeniens von Russland ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass die aus Georgien abgezogenen russischen Truppen in Armenien stationiert wurden, auch bei der Bewältigung seiner Energieprobleme ist Armenien auf Russland angewiesen, und kürzlich unterzeichneten beide Staaten ein Abkommen, demzufolge die Russische Eisenbahn in den nächsten 30 Jahren das armenische Schienennetz verwalten und erneuern wird. »Sehr beunruhigt« zeigt sich Washington überdies angesichts der guten Beziehungen Armeniens zu Iran.

Von Sarkissjan wird erwartet, dass er den russland- und iranfreundlichen Kurs Kotscharjans fortsetzt, sollte er zum Präsidenten gewählt werden. Der Ruf der bisher Regierenden ist zwar angesichts von Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit im Lande nicht gut -- auch wenn die Wirtschaftskurven in den letzten Jahren aufwärts zeigen. Unvergessen sind aber auch die kalten und dunklen Jahre der Präsidentschaft Ter-Petrosjans nach dem Zerfall der Sowjetunion. Mit wem sollen die Armenier also ihre Hoffnungen verbinden?

Wie vorangegangene Wahlkampagnen war auch diese von Gewalt begleitet. Wahlbüros wurden überfallen und beschossen. Oppositionskandidaten werfen Sarkissjan vor, im Fernsehen wesentlich längere Sendezeiten in Anspruch zu nehmen, als sie ihnen zur Verfügung stehen. Auch Beobachter der OSZE nannten Sarkissjans Wahlkampf »unangemessen«. Ter-Petrosjan wandte sich am 7. Februar mit Klagen über »unüberwindliche Barrieren« ans Verfassungsgericht und forderte -- vergeblich -- eine Wahlverschiebung. Bleibt die Frage, ob es ihm gelingt, den »Kandidaten der Macht« wenigstens in eine zweite Wahlrunde zu zwingen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2008


Zurück zur Armenien-Seite

Zurück zur Homepage