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Wenn die Natur zurückschlägt

Der armenische Sewan-See kämpft gegen steigende Wassermassen

Von Veronika Wengert *

Der Sewan-See im armenischen Hochland gilt als bedeutendstes Süßwasserreservoir im Kaukasus. Zu Sowjetzeiten sank sein Wasserspiegel aufgrund exzessiver Bewässerung rapide, ein gigantischer Zuflusstunnel wurde errichtet. Nun hat sich die Situation gewandelt: Der Wasserspiegel steigt.

Ein kalter Wind streift über die Wasseroberfläche, am Ufer glitzert Schnee. Hochgebirgsidylle mitten in Armenien, auf fast 2000 Meter Höhe. Ganz so friedlich, wie der Sewan-See auf den ersten Blick wirkt, ist es um ihn allerdings nicht bestellt. Denn der Wasserspiegel eines der größten Hochgebirgseen der Welt, der sich über 78 Kilometer Länge und 56 Kilometer Breite erstreckt, steigt unaufhörlich. Allein in diesem Jahr waren es 78 Zentimeter.

Durch die Überflutung von Uferstraßen, Wurzelwerk und Gebäuden droht dem Ufergebiet Versumpfung. Das bedroht auch das ökologische Gleichgewicht des Sees, sagt der Biologe Barduch Gabrieljan, der das Institut für Hydroökologie und Fischkunde bei der armenischen Akademie der Wissenschaften in Eriwan leitet. »Das wäre eine Katastrophe, denn der Sewan-See ist ein einzigartiges Mikrosystem, das auch für die Forschung bedeutsam ist«, so der Experte. Nicht nur das: Der See als größter Süßwasserspeicher im Südkaukasus reguliert zudem das Grundwasser der Region.

Die armenische Regierung hat bereits reagiert und vor kurzem begonnen, Wald und Gebäude abzutragen. »Meist handelt es sich dabei um Bauten wie Ferienheime aus Sowjetzeiten oder Fischerhütten, aber auch Pumpstationen«, erklärt der Direktor des Nationalparks Sewan, Gagik Martirosjan. Zudem werden bis zu 500 Bauten ihren Standort wechseln, so die Pläne für die kommenden Jahre.

Eine paradoxe Situation, hatte doch der Sewan-See noch vor wenigen Jahrzehnten genau das umgekehrte Problem: Infolge exzessiver Bewässerung und Nutzung für Energiezwecke sank sein Wasserspiegel zu Sowjetzeiten um mehr als 20 Meter. Die damalige Regierung schaffte Abhilfe und fräste einen knapp 50 Kilometer langen Tunnel in die armenische Bergwelt, der Anfang der 1980er Jahre fertiggestellt wurde. Über ihn wurde Wasser aus einem höher gelegenen Stausee in den Sewan umgeleitet. »Nun fließt jedoch mit 28 Zuflüssen und nur einem Abfluss zu viel Wasser hinein, hinzu kommen Regen und Schmelzwasser«, erklärt Biologe Gabrieljan. Schuld daran seien die klimatischen Veränderungen der vergangenen Jahre.

Doch nicht nur der Wasserspiegel bedroht Flora und Fauna im See. Alarmierend sei auch die Überfischung, sagt Gabrieljan. Sein Forschungsinstitut habe dem Staat schon vor mehreren Jahren empfohlen, den Fischfang im See komplett zu verbieten. »Meist nimmt der Staat unsere Empfehlungen an, nur mit der Kontrolle der Umsetzung hapert es dann, denn sie können die Fische aus dem See noch überall kaufen«. Drei typische Forellenarten sind es, die den Bestand so berühmt machen – darunter die Sewan-Forelle – und vielen Menschen in der Region ihr Auskommen sichert.

Es geht jedoch voran: Vor kurzem wurde von staatlicher Seite eine Fischschutzzone im See eingerichtet. Reich ist die Region hingegen auch an Erzvorkommen, das hier gefördert wird. Der Bau einer Goldwäscherei in Ufernähe konnte vor wenigen Jahren von Umweltschützern gestoppt werden. Eine Bedrohung weniger für den Sewan-See, der ums Überleben kämpft.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2010


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