Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kampf um Einfluß im Eis

Run auf Bodenschätze verschärft auch rund um Nordpol die Konkurrenz

Von Jörg Kronauer *

Sanktionen gegen Rußland? Alan Jeffers, Sprecher des US-Erdölriesen Exxon Mobil, läßt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Sein Konzern hat vor neun Tagen eine Bohrplattform auf den Weg in die arktische Karasee gebracht. Dort sollen Probebohrungen vorgenommen werden, um die unter dem Nördlichen Eismeer schlummernden Erdölvorräte zu erkunden. Exxon will nicht länger warten, denn das Meer ist in der betreffenden Region allenfalls zwei bis drei Monate im Jahr nicht von Eis bedeckt. Nun gut – die Karasee gehört zu Rußland, dem neuen Feind, und Exxon will dort gemeinsam mit dem Rosneft-Konzern bohren, der soeben von den USA mit Sanktionen belegt worden ist. Kriegt man damit nicht Ärger mit Washington? Jeffers scheint sich keine besonderen Sorgen zu machen. Na klar, Exxon prüfe »die Auswirkungen der Sanktionen« sorgfältig, teilt er mit. Doch die Verlegung der Bohrplattform wird strikt nach Plan fortgesetzt. Das Geschäft will sich Exxon von den politischen Aggressionen seiner Regierung nun doch nicht verderben lassen.

Dem Zugriff auf die Bodenschätze der Arktis messen Energiekonzerne seit einiger Zeit hohe Bedeutung bei. Hauptursache ist der vielzitierte Klimawandel. Die Eiskappe am Nordpol schmilzt immer mehr ab. War sie in den arktischen Sommern der 1980er und der 1990er Jahre noch zwischen sechs und acht Millionen Quadratkilometer groß, so schrumpfte sie 2012 bis auf 3,4 Millionen Quadratkilometer – ein neuer Minusrekord. Letztes Jahr erholte sie sich wieder ein wenig, doch sind Experten der Ansicht, perspektivisch müsse man mit einem weiteren Rückgang der Eisdecke rechnen. Zu den Folgen gehört, daß die Bodenschätze der Polarregion, bislang durch ewiges Eis und Dauerfrost verschlossen, langsam, aber sicher zugänglich werden. Zwar ist die Förderung im hohen Norden aufwendig und teuer, doch der langfristig steigende Ölpreis verheißt selbst dort Gewinn.

Entsprechend verschärft sich die Konkurrenz. Ob wirklich 20 bis 25 Prozent der globalen Öl- und Gasressourcen in der Arktis lagern, wie die Behörde U.S. Geological Survey vor einigen Jahren schätzte, oder ob es doch weniger ist, das ist zur Zeit gar nicht mal entscheidend. Es geht momentan darum, die Claims abzustecken und sich das technologische Know-how wie auch die Option auf den Zugriff zu sichern. Der Kampf um Einfluß findet unter harten Bedingungen statt; längst nicht jeder Vorstoß führt auch zum Erfolg. Die französische Total etwa hatte sich Hoffnungen gemacht, in einem Joint-venture mit Gasprom das arktische Schtokman-Feld in der russischen Barentssee ausbeuten zu können. Weil aber der Schiefer- und Flüssiggasboom massiv auf den Gaspreis zu drücken begann, sah sich Gasprom im August 2012 gezwungen, das teure Projekt vorerst zu stornieren – Pech für Total. Exxon will es nun mit der Ölförderung in der russischen Karasee besser machen. Die Region besitzt strategische Bedeutung: Experten vermuten, daß gut die Hälfte der arktischen Öl- und Gasvorräte in der Barents- und der Karasee zu finden sind.

Die Eisschmelze öffnet auch völlig neue Handelswege: die Nordwest- und die Nordostpassage. Die Nordwestpassage verläuft nördlich von Kanada und Alaska. Das Eis dort geht im Sommer mittlerweile so weit zurück, daß ein dänischer Frachter sie letztes Jahr bereits nutzen konnte, um Kohle aus dem westkanadischen Vancouver nach Finnland zu transportieren. Damit habe man gegenüber der traditionellen Route durch den Panamakanal vier Tage bzw. 200000 US-Dollar sparen können, berichtete das Wall Street Journal. Vielleicht noch wichtiger ist die Nordostpassage aus dem europäischen Norden entlang der Nordküste Rußlands bis nach Ostasien. Die Strecke wurde im Sommer 2009 von der Bremer Reederei Beluga Shipping erfolgreich teilerprobt: Zwei ihrer Schiffe transportierten 44 Kraftwerksmodule aus Südkorea durch die nordrussischen Küstengewässer ins sibirische Nowy Port. Die Ersparnis belief sich pro Schiff auf 350000 US-Dollar.

Die Nordostpassage hat neben der ökonomischen auch große strategische Bedeutung: Sie könnte schon in wenigen Jahren dazu beitragen, Rußlands Abhängigkeit von Erdgasexporten nach Europa zu verringern. Vor kurzem haben die japanische Mitsui O.S.K Lines und die China Shipping Development angekündigt, sie wollten für fast eine Milliarde US-Dollar drei Flüssiggastanker beschaffen, die mit Eisbrechern ausgerüstet sein und von der sibirischen Küste nach Ostasien pendeln sollen. Auf diese Weise soll das Erdgas von der sibirischen Jamal-Halbinsel auf den ostasiatischen Märkten verkauft werden, ohne den langwierigen Bau von Pipelines abwarten zu müssen. Das Projekt wird von der russischen OAO Nowatek geführt, die wie Rosneft jetzt von Washington mit Sanktionen belegt wurde. An ihm sind die französische Total und das Unternehmen China National Petroleum beteiligt. Der Transport durch die russische Arktis würde Moskaus Spielräume beim Erdgasverkauf ab spätestens 2018 deutlich vergrößern – ein weiterer Grund, weshalb Exxon Mobil nicht auf sein Karasee-Projekt verzichten mag, um auf lange Sicht nicht außen vor zu sein.

* Aus: junge Welt. Montag, 28. Juli 2014


»Eis statt Wüstensand«

Die Arktis als militärpolitischer Faktor

Von Jörg Kronauer **


Die Bodenschätze und die freiwerdenden Handelswege der Arktis rufen – wie zu erwarten – die übliche Staatenkonkurrenz auf den Plan. Zwar liegt der weit überwiegende Teil der arktischen Ressourcen wohl unter küstennahen Gewässern, deren territoriale Zugehörigkeit zu einem der fünf Arktisanrainer unstrittig ist. Bei diesen handelt es sich um Rußland, die USA (via Alaska), Kanada, Norwegen und Dänemark (via Grönland). Doch wo Reichtümer und strategisch wichtige Routen zu finden sind, da sichern sich konkurrierende Staaten gewöhnlich strategische Positionen. Das gilt auch für die Arktis.

Dort ist vieles noch ungeklärt. Wem gehört beispielsweise der Nordpol? Ein russisches Tauchboot hat dort am 2. August 2007 in 4261 Metern Tiefe eine russische Flagge aus Titan im Meeresboden verankert, um Rußlands Ansprüche medienwirksam zu untermauern. Begründung: Ein Unterseegebirge am Nordpol, der »Lomonossow-Rücken«, ist mit Rußlands Festlandsockel verbunden. Im internationalen Recht gilt das als ein gewichtiges Argument. Natürlich sieht die Konkurrenz das ganz anders. Kohorten von Geowissenschaftlern sind damit beschäftigt, die arktischen Gefilde zu erkunden – beileibe nicht nur, aber eben auch, um territoriale Ansprüche zu untermauern oder zu widerlegen. Auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist mit diversen Forschungstätigkeiten in der Arktis präsent und verfügt entsprechend über beträchtliche Expertise. Auch wenn Deutschland nun mal kein Arktisanrainer ist – mitreden kann die Bundesregierung daher allemal.

Das ist für den deutschen Geltungsanspruch umso wichtiger, als die Arktis längst zum Schauplatz militärischer Planungen geworden ist. US-Präsident George W. Bush hat noch am 9. Januar 2009 – unmittelbar vor dem Ende seiner Amtszeit – seine »National Security Presidential Directive 66« erlassen, die das deutsche, den Streitkräften nahestehende Fachblatt Marineforum so zusammenfaßte: »Durch die zunehmende menschliche Aktivität in der Arktis sehen sich die USA gezwungen, ihre Präsenz und ihren Einfluß in der Region auszuweiten, um ihre dortigen Interessen zu wahren und um den Zugang der Seestreitkräfte in der gesamten Region zu gewährleisten«. Wenig später legte die US-Marine eine »U.S. Navy Arctic Roadmap« vor.

Rußland reagiert mit Maßnahmen zur Landesverteidigung. Ende 2012 berichtete das Marineforum von einem aufsehenerregenden Manöver der russischen Streitkräfte im September des Jahres: »Erstmals hat ein Arktisanrainer größere, koordinierte militärische Aktivitäten – von seegestützter Raketenabwehr über Sea Control bis zu amphibischen Operationen – in der Arktis entfaltet«. Moskau habe damit »unmißverständlich klargemacht«, daß es »die militärische Verteidigung nationaler Interessen« auch im hohen Norden nicht vernachlässige.

Die übrigen Arktisanrainer haben ebenfalls mit militärischen Planungen für die Arktis begonnen. Für die dänischen Streitkräfte gelte mittlerweile sogar, hieß es im Marineforum Ende 2012 in einem anderen Beitrag: »›Eis statt Wüstensand‹ und ›Meer statt Heer‹.« Und natürlich wird auch Deutschland, wenn’s ernst wird, genügend Geltungsdrang besitzen, um mitmischen zu wollen. Man müsse sich die Frage stellen, erklärte ein Planungsexperte aus dem Führungsstab der Marine vor zwei Jahren, »inwieweit bereits in Dienst befindliche Schiffe, Boote und Luftfahrzeuge« der Bundeswehr für »Operationen in Seegebieten des High North fähig sein könnten«. Vielleicht findet sich ja bei Gelegenheit der eine oder andere grönländische Pirat, bei dessen Bekämpfung man die Kältetauglichkeit der deutschen Kriegsmarine austesten kann.

** Aus: junge Welt. Montag, 28. Juli 2014


Deutsche Arktisaktivitäten

Die Bundesregierung untermauert ihren Anspruch, in den arktischen Machtkämpfen der Zukunft mitzumischen, mit den »Leitlinien deutscher Arktispolitik«. Sie sind noch recht frisch, das Auswärtige Amt hat sie im November 2013 veröffentlicht. »Deutschland ist durch ein starkes Profil in der Polarforschung, durch politisches Engagement und eine aktive Beteiligung an der Diskussion über die Zukunft und nachhaltige Entwicklung der Arktis ein internationaler Akteur im hohen Norden«, heißt es in dem Dokument. Die Bundesrepublik sei »Gastgeber von drei internationalen Konferenzen zur Arktis in Berlin« gewesen – 2009, 2011 und 2013 –, und sie habe »einen ständigen Beobachterstatus im Arktischen Rat«. Zudem dringe Berlin auf »eine aktive Rolle der Europäischen Union in der Arktispolitik«. Machtpolitisch bietet sich das an: Das EU-Mitglied Dänemark ist selbst Arktisanrainer.

Eine herausgehobene Rolle in den deutschen Arktisaktivitäten spielt bislang die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Sie erforscht die arktischen Bodenschätze und hat dazu im Januar eine neue Kurzstudie veröffentlicht, die vor allem interessierten deutschen Unternehmen solide Kenntnisse über die Ressourcen der Polarregion verschafft. Ihre Bilanz: »Die Arktis ist reich an Bodenschätzen und verfügt auch im Weltmaßstab über bedeutende Rohstoffvorkommen«. Vor allem deren russische Gebiete seien rohstoffreich. Schon heute würden »Nickel oder Platingruppenmetalle in der westsibirischen Region Norilsk und auf der russischen Kola-Halbinsel« abgebaut, die dort geförderte Menge mache »rund 17 Prozent bzw. 25 Prozent der Weltproduktion dieser Metalle« aus. »Am Rande des arktischen Ozeans« liege zudem »das weltgrößte Seltene-Erden-Vorkommen Tomtor mit Vorräten von rund 154 Millionen Tonnen an Lanthan, Cer, Neodym oder Yttrium«. Die »Riesenlagerstätte« habe immense Bedeutung. Auch bei den nicht­energetischen Rohstoffressourcen hält Rußland in der Arktis demnach eine führende Position.

In den Arktis-Leitlinien des Auswärtigen Amts heißt es: »Die Bundesregierung strebt an, die Arktisregion stärker als bisher zu einem zentralen Gegenstand deutscher Politik zu machen«. Man darf also mit massiver Einmischung Berlins in die künftigen arktischen Machtkämpfe rechnen. Die ersten tastenden Arktispläne aus der deutschen Kriegsmarine zeugen davon. (jk)




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