Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im Fall "Arctic Sunrise" gibt Russland nicht nach

Schlichtungsverfahren vor dem Internationalen Seegerichtshof abgelehnt

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russland will das von den Niederlanden angestrebte Schiedsgerichtsverfahren um das Greenpeace-Schiff Arctic Sunrise boykottieren.

Der Fall des Greenpeace-Schiffes »Arctic Sunrise«, dessen Besatzung Mitte September versucht hatte, eine russische Bohrplattform im Eismeer zu stürmen, um die Ölförderung in der ökologisch sensiblen Arktis zu stoppen, geht in eine neue Runde. Russland will das Schiedsverfahren vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg boykottieren. Die Niederlande, unter deren Flagge die »Arctic Sunrise« fährt, hatten das Gericht Montag angerufen und »zeitlich befristete Maßnahmen« zum Schutz ihrer Interessen gefordert, wie sie die UN-Seerechtskonvention von 1982 bis zu einem Beschluss der Schlichter vorsieht. Auch dagegen legt Russland sich quer, wie Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch am Mittwoch erklärte.

Moskau habe die Konvention 1997 unter dem Vorbehalt ratifiziert, dass Russland das für die Schlichtung vorgesehene Prozedere nicht anerkennt, sofern dieses »bindende Beschlüsse für die Konfliktparteien nach sich zieht, die deren Souveränitätsrechte beeinträchtigen«. Das gelte auch für die »Arctic Sunrise«. Greenpeace habe mit seinen Aktivitäten gegen russisches Recht verstoßen.

Die Umweltschützer und die Niederlande dagegen begründeten ihre Klage damit, dass der Zwischenfall sich nicht in russischen Territorialgewässern, sondern in der 200-Meilen-Wirtschaftszone und damit in internationalen Gewässern ereignete. Sie fordern die Rückgabe des Schiffes und die Einstellung des Verfahrens gegen die 30 Passagiere und Besatzungsmitglieder. Ihnen soll wegen Piraterie der Prozess gemacht werden, darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft.

Präsident Wladimir Putin hatte Ende September auf dem Arktis-Dialogforum zwar erklärt, die Umweltschützer seien »natürlich keine Piraten«, hätten sich der Bohrplattform jedoch »auf einen gefährlichen Abstand angenähert«. Damit hätten sie Leben und Gesundheit der Besatzung gefährdet, auch hätte der Zwischenfall die Umwelt belasten können.

Die Umweltschützer selbst sprechen von Tatsachenverdrehung. Aus ihrer Sicht sind die meisten russischen Bohrinseln im Eismeer tickende Zeitbomben. Allen voran die im September attackierte Plattform Priraslomnaja in der Petschora-See – einem Randgewässer des Nordpolarmeers. Errichtet wurde sie auf Grundlage der Hutton-Plattform, die British Petroleum (BP) 2006 abwrackte. Eine Recyclingfirma war bereits mit der Entsorgung an Land beauftragt worden. Doch überraschend fand sich ein Käufer: die Öltochter von Gasprom, die 2014 zusammen mit Shell die Förderung aufnehmen will. Obwohl 80 Prozent der über 30 Jahre alten Anlagen ausgemustert oder modernisiert werden müssten. Bereits mehrfach kam es zu Havarien, die den Förderbeginn verzögerten.

Die Gefahr einer Ölpest sei stets gegenwärtig, warnten jetzt sogar linientreue Experten gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Sie fordern auch schärfere Sicherheitsvorkehrungen für das Stockmann-Feld in der Barentssee, eines der größten Vorkommen in der russischen Arktis. Allein dort sollen in den nächsten Jahren 15 bis 20 Bohrinseln in Dienst gestellt werden.

Die Betreiber rechnen bei höheren Sicherheitsstandards mit Zusatzkosten von rund 20 Prozent. Derzeit liegen sie bereits bei rund 30 Dollar pro Barrel. Nach Abzug von Steuern und Zöllen tendiert die Gewinnmarge gegen Null.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


Zurück zur Arktis-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage