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Sehr nahe am Abgrund

Argentinien gegen Hedgefonds. US-Richter torpediert weitere Einigungsmöglichkeit. Gibt es bis Mittwoch keine Lösung, droht zweiter Staatsbankrott innerhalb von 13 Jahren

Von Johannes Schulten *

Während Argentinien im Schuldenstreit mit einigen US-Hedgefonds die Zeit davonläuft, befeuern die Finanzspekulanten die Situation mit zynischen Drohungen: »Noch fünf Tage, elf Stunden und 27 Minuten« bleiben Argentinien, um zu verhandeln«, sonst droht der Staatsbankrott. So verkündet es ein »Pleiteticker« auf der Homepage factcheckargentina.org/ am gestrigen Donnerstag um 18 Uhr bei jW-Redaktionsschluß. Countdown in Echtzeit, sogar die Minuten werden gezählt, damit auch jeder weiß: Der Ball liegt bei Argentinien. Daneben finden sich Beiträge über den »Realitätsverlust« der argentinischen Regierung und deren Unwillen, »rechtmäßige« Schulden zu bezahlen. Betrieben wird die Seite von der »American Task Force Argentina«, einer von den Hedgefonds betriebenen Lobbyorganisation, auf deren Gehaltsliste eine Reihe einflußreicher Vertreter der US-Hochfinanz stehen, darunter der ehemalige Wirtschaftsberater von US-Präsident Clinton, Robert J. Shapiro.

So makaber es auch ist, einen Staatsbankrott und dessen soziale Folgen per Countdown anzukündigen, die Gefahr einer zweiten Pleite innerhalb von 13 Jahren ist für das Land am Río de la Plata derzeit real. Und das liegt vor allem an einem Mann: Thomas Griesa. Der 83jährige Richter am für den Fall zuständigen Bundesgericht in New York lehnte am Dienstag eine von der argentinischen Regierung geforderte Verlängerung der Verhandlungsfrist mit den Hedgefonds ab. Buenos Aires hatte Griesa um Erlaubnis gebeten, seit dem 30. Juni fällige Zins- und Tilgungsraten für in den Jahren 2005 und 2010 umgeschuldete Staatsanleihen in Höhe von über 800 Millionen Euro einmalig vornehmen zu dürfen.

Ein einmaliger Aufschub hätte dem Land Zeit verschafft, mit den Altgläubigern um den vom US-Milliardär Paul Singer geführten Fonds NML Capital Ltd. eine Verhandlungslösung zu erzielen. Griesa stellte sich jedoch auf den Standpunkt, eine Einigung über die von den Fonds geforderten 1,5 Milliarden US-Dollar (1,1 Milliarden Euro) sei auch binnen weniger Tage möglich. Einen möglichen Staatsbankrott bezeichnete er als »bedauernswert«.

Bei dem Streit geht es um argentinische Ramschanleihen, mit denen eine Reihe von Hedgefonds kurz vor dem Staatsbankrott 2001 spekuliert hatten. Im Gegensatz zu 92 Prozent der anderen Gläubiger des Staates haben sie sich jedoch geweigert, ihre Forderungen in zwei Umschuldungsverfahren 2005 und 2010 umzuwandeln. Seither versuchten sie, ihr Geld vor zahlreichen Gerichten einzuklagen.

Mitte Juni verurteilte der Oberste US-Gerichtshof Argentinien abschließend zur Zahlung jener 1,5 Milliarden US-Dollar an die Fonds. Für Singer hat sich das Warten gelohnt. Dank der angefallen Zinsen hofft er nun auf einen Gewinn von 1608 Prozent – der Wert der von NML Capital erworbenen Anleihen lag 2001 bei lediglich 48 Millionen US-Dollar. Zudem legte das Gericht fest, das Hedgefonds nicht anders zu behandeln sind als die Inhaber neuer und umgeschuldeter Staatsanleihen. Sollte es Argentinien nicht gelingen, sich mit diesen Gläubigern bis zum 30. Juli zu einigen, wäre das Land insolvent.

Buenos Aires hält währenddessen an seiner Linie fest, die Gläubiger weiter zu bedienen. »Argentinien ist aus einem einfachen Grund nicht zahlungsunfähig«, so Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner am Mittwoch in Buenos Aires, »zahlungsunfähig ist nur, wer nicht bezahlt: Und Argentinien hat bezahlt«. Technisch gesehen hat sie recht: Für die am 30. Juni fällig werdenden Raten hatte das südamerikanische Land bereits Tage zuvor 832 Millionen US-Dollar auf ausländischen Konten hinterlegt. 592 Millionen US-Dollar liegen etwa bei der Bank of New York Mellon Corporation (BNY Mellon), die für die Abwicklung der Zahlungen an die Gläubiger nach US-Recht verantwortlich ist. Doch diese wurde durch die Entscheidung von Griesa am Dienstag unterbunden.

Anders als von den Fonds und deren Lobby behauptet, ist Argentinien sehr wohl bereit, über die Zahlung der geforderten 1,5 Milliarden zu verhandeln. Allerdings befürchtet das Land, daß dadurch die Verträge mit den 92 Prozent der Gläubiger, die den Schuldenschnitt akzeptiert haben, verletzt werden können. In der sogenannten RUFO-Klausel (Rights Upon Future Offers) hat sich die Regierung verpflichtet, den restlichen widerspenstigen Gläubigern keine besseren Bedingungen einzuräumen als den am Schuldenschnitt beteiligten. Ansonsten wäre die Umschuldungsvereinbarung hinfällig. Sollten diese Gläubiger klagen, könnten Forderungen von bis zu 120 Milliarden Dollar im Raum stehen. Das entspräche fast dem Fünffachen von Argentiniens Devisenreserven. Diese Klausel läuft jedoch im Januar 2015 aus. Die Hedgefonds und ihre Lobby bestreiten deren Gültigkeit. Argentinien fordert daher von ihnen eine Garantie, im Zweifelsfall die Risiken zu tragen.

Nicht nur Argentiniens Präsidentin, auch die für den Geldtransfer verantwortlichen Banken zeigen sich wenig erfreut über den New Yorker Richter. Denn sie befürchten einen Imageschaden für den Finanzstandort USA, wenn sie bestehende Verträge nicht einhalten können. Allen voran die BNY Mellon, einer der größten Finanzdienstleister der USA mit fast 50000 Beschäftigten. Die Bank wird bereits jetzt in Belgien von einigen Anleihegläubigern auf Zahlung ihrer Zinsen verklagt, wie das Wall Street Journal am Mittwoch berichtete. Sollte die Bank das Geld wie von Griesa gefordert nach Buenos Aires zurücküberweisen, wollen die Gläubiger vor britische Gerichte ziehen.

* Aus: junge Welt, Freitag 25. Juli 2014


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