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Flucht aus dem Peso

Argentiniens Währung ist so stark unter Druck geraten wie zuletzt vor der Staatspleite

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Die Furcht vor einer weiteren Billiggeld-Drosselung der US-Notenbank Fed lässt Anleger derzeit viel Geld aus Schwellenländern abziehen. Die argentinische Währung ist am stärksten gebeutelt.

Argentinien lockert seine Devisenkontrollen. Seit Montag dürfen die Bürger des südamerikanischen Landes wieder Pesos zum offiziellen Umtauschkurs in Dollars eintauchen. Ganz abgeschafft werden die Devisenkontrollen allerdings nicht. Nur mit Genehmigung der Steuerbehörde, die das monatliche Einkommen mit den Ausgaben eines Umtauschwilligen gegenrechnet, darf eine vorgegebene Summe Pesos in Dollars eingetauscht, muss als Spareinlage auf einer Bank angelegt werden und wird zudem mit einem Steueraufschlag von 20 Prozent belegt. Die Summe beträgt maximal 2000 Dollar im Monat.

Buenos Aires reagiert damit auf den anhaltenden Wertverlust der argentinischen Währung. In den letzten Jahren hatte die Regierung versucht, den Peso in moderaten Schritten abzuwerten. Musste für einen Dollar im Januar 2012 noch 4,30 Peso hingeblättert werden, waren es im Dezember 2013 schon 6,45 Peso. Seit Jahresbeginn ging es bereits um weitere knapp 20 Prozent bergab – am vergangenen Donnerstag gab es sogar den größten Tagesverlust seit der Staatspleite Ende 2001: zwölf Prozent.

Wirtschaftsminister Axel Kicillof sprach daraufhin von einem »spekulativen Angriff« durch den Ölmulti Shell. Dieser habe am Donnerstag 3,5 Millionen Dollar nachgefragt und eine Kaufpreis von 8,40 Peso pro Dollar geboten, was den Sprung von 7,20 Pesos auf 8,40 Pesos ausgelöst habe. Dann sei die Zentralbank eingesprungen, die mit Dollarverkäufen den Kurs auf 8 Pesos drückte. Shell wies den Vorwurf zurück: »Die Zentralbank war seit einer Woche über die Dollar-Käufe informiert, die Shell für seine Importgeschäfte und seine Kraftstoffexporte tätigen musste«, sagte der Argentinien-Chef des britisch-niederländischen Konzerns, Juan José Aranguren.

2011 hatte die Regierung begonnen, den freien Umtausch von Pesos in Fremdwährungen rigoros einzuschränken. Gegenwärtig können Devisen nur für Auslandsreisen gekauft werden, und auch dafür braucht es eine Genehmigung der Steuerbehörde. Argentinier, die mit Kreditkarten im Ausland zahlen, bekommen eine Sondersteuer von 35 Prozent aufgebrummt. Dieser Satz wurde nun auf 20 Prozent reduziert und so mit der neuen Umtauschregelung bei Bargeld angeglichen.

Der Kursverfall der Währung geht mit einem schwindenden Bestand an Devisen bei der Zentralbank einher. So fielen die Dollarreserven von einstmals über 50 Milliarden auf zuletzt unter 30 Milliarden, den tiefsten Stand seit 2006. Gründe für die Entwicklung sind der internationale Schuldendienst sowie die jährlich steigenden Importe von Öl und Gas. Zudem wirft die Regierung den Sojaproduzenten vor, ihre Ernte in der Erwartung steigender Preise zu horten und so den Zufluss von Devisen aus dem Ausland zu drosseln. In den Scheunen und auf den Feldern lagert nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums ein Bestand im Wert von 3,5 Milliarden Dollar.

Kabinettschef Jorge Capitanich begründete die jetzige Lockerung der Devisenkontrollen damit, dass jetzt ein angemessenes Umtauschverhältnis zum Dollar erreicht sei. Auch wenn dies offiziell nicht zugegeben wird, soll mit der Maßnahme auch der Dollar-Handel auf dem Schwarzmarkt eingedämmt werden. Die Schere zwischen dem offiziellen und dem parallelen Kurs hat sich immer weiter geöffnet. Gegenwärtig müssen auf dem Schwarzmarkt knapp 12 Pesos je Dollar hingelegt werden.

Dennoch rechnet sich der Devisenkauf, selbst für Kleinsparer. Wer nicht alle Pesos für den eigenen Konsum ausgeben muss, versucht, durch Umtausch in Dollar der hohen Inflation zu entkommen. Im vergangenen Jahr betrug die Teuerungsrate nach inoffiziellen Schätzungen knapp 30 Prozent. Die Zinsen bei Banken können den Wertverlust nicht einmal annähernd ausgleichen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Januar 2014


Krisenwarnung

Argentiniens Verhandlungen mit dem Pariser Club werden von einem Währungseinbruch überschattet. Peso-Verfall erinnert an 2001

Von Johannes Schulten **


Mit oder ohne Internationalem Währungsfonds (IWF)? Dies dürfte die entscheidende Frage für das Gelingen der Umschuldung von geschätzt 9,5 Milliarden Euro zwischen Argentinien und dem Pariser Club sein. Die im Club zusammengeschlossenen staatlichen Gläubiger, zu denen auch Deutschland gehört, machen die Einbeziehung des IWF zur Bedingung für Verhandlungen. Argentinien will dagegen ohne eine Expertise der Technokraten aus Washington auskommen.

Buenos Aires verspricht sich von einer Einigung einen besseren Zugang zu internationalen Krediten. Seit der Staatspleite von 2001 ist das Land auf den Kapitalmärkten weitgehend isoliert. Der ohnehin große Druck dürfte sich nach dem Währungschaos der vergangenen Woche jedoch noch einmal erhöht haben – Investoren hatten in großem Stil Geldreserven verschiedener Schwellenländer verkauft. Argentinien war neben der Türkei besonders betroffen. Der Kurs der Landeswährung Peso hatte am Donnerstag den größten Tagesverlust seit 2001 zu verkraften, zwölf Prozent gab er gegenüber dem US-Dollar nach. Die Regierung reagierte und lockerte die seit 2011 eingeführten strikten Devisenkontrollen für den US-Dollar teilweise auf. Seit Montag ist den Bürgern erlaubt, die US-Währung Dollar zumindest zu Sparzwecken zu erwerben, maximal jedoch 2000 Dollar.

Zudem sprang die Zentralbank ein und verkaufte Dollar-Reserven in Höhe von 180 Millionen, um einen weiteren Verfall des Peso zu verhindern. Die ohnehin hohe Inflation erreichte Rekorde, im Zentrum von Buenos Aires nahmen laut Medienberichten einige Geschäftsleute die Preisschilder aus ihren Schaufenstern, andere sperrten gar nicht erst auf. Wirtschaftsminister Axel Kicillof führte in mehreren Zeitungs- und Radiointerviews die Kursverluste auf eine »sehr starke Währungsattacke« zurück. Direkt nannte er den Ölkonzern Shell, der zuvor Pesos im Wert von 3,5 Millionen US-Dollar verkauft hatte.

Zu Beginn der vergangenen Woche hatte Kicilloff überraschend die Übergabe eines neuen Umschuldungsangebots an den Pariser Club bekanntgegeben. Buenos Aires hofft auf die Umwandlung der angehäuften Verbindlichkeiten in Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Der Pariser Club strebe Medienberichten zufolge jedoch eine Rückzahlung innerhalb von 18 Monaten an. Alles andere könnte, so dürfte eine der Befürchtungen lauten, von anderen Schuldnern als Präzedenzfall interpretiert werden. Zudem gibt es Unstimmigkeiten, wie mit angefallenen Zinsen verfahren wird.

Der Pariser Club ist eine informelle Gruppe von 19 Staaten, darunter Deutschland, Japan und die USA. Er gründete sich 1956 in Paris, um gemeinsam gegenüber Schuldnerländern mit Zahlungsproblemen aufzutreten. Kurioserweise war der Anlaß die Regelung der Auslandsverschuldung von Argentinien.

Über Details des Angebots aus Buenos Aires wurde Stillschweigen bewahrt. Bis zum 25. März soll eine Entscheidung fallen, dann tritt der Club zur nächsten Runde zusammen.

Seid 2001 hat Argentinien weder Tilgungen noch Zinszahlungen geleistet. Von den meisten Ökonomen wurde der Zahlungsboykott als wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung der Folgejahre gesehen. Gleichwohl steht das Land unter extremem Druck, eine Einigung zu finden, um wieder Zugriff auf die Kapitalmärkte zu bekommen. Stellte das während der Wachstumsjahre ein vernachlässigbares Problem dar, bringt die sich abzeichnende Wirtschaftskrise die Regierung verstärkt unter Zugzwang. Vor allem aufgrund der anwachsenden Energieimporte sind die einst beachtlichen Devisenreserven geschmolzen. Derzeit liegen sie bei 29,3 Milliarden US-Dollar. Die nun notwendig gewordenen Währungsverkäufe machen die Situation noch dramatischer.

Deutschland zählt neben Japan zu den großen Gläubigern des Landes. Auf beide Länder zusammen sollen allein rund 60 Prozent der Schuldensumme beim Pariser Club entfallen. Auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion aus dem vergangenen Jahr bezifferte das Finanzministerium die Höhe der argentinischen Verbindlichkeiten auf 2,43 Milliarden Euro. Sie setzten sich vor allem aus Handelsbürgschaften zusammen. Die Bundesrepublik drängt seit Jahren den Pariser Club, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen.

Neben den Rückzahlungsfristen ist der große Streitpunkt die Einbeziehung des IWF. Die Charta des Pariser Clubs sieht vor, daß jeder Umschuldung eine wirtschaftspolitische Beratung des Währungsfonds vorhergeht. Inzwischen wurde bekannt, daß der IWF nicht auf einer Beteiligung besteht. Das argentinische Wirtschaftsblatt ambito financiero zitierte am Freitag einen Sprecher mit den Worten: »Wie es weitergeht, ist Thema der Diskussionen und Entscheidungen der Mitglieder des Clubs von Paris. Der IWF wird an den Treffen als Beobachter teilnehmen.« In Argentinien wurde diese Aussage als Beleg für mäßiges Vermittlungsinteresse des Fonds gedeutet.

Ein Abkommen mit dem Pariser Club dürfte jedoch vor allem Symbolcharakter haben. Wichtiger als die Verbindlichkeiten gegenüber staatlichen Gläubigern sind die gegenüber privaten. Und deren Zukunft entscheidet sich nicht am Verhandlungstisch, sondern vor Gericht. In New York ist noch immer die Klage verschiedener Hedgefonds gegen den argentinischen Staat anhängig. Der US-Bezirksrichter Thomas Griesa hatte das Land im Februar 2012 zu einer Milliardenzahlung an eine Gruppe von Hedgefonds verpflichtet. Diese hatten nach dem Staatsbankrott Argentiniens 2001 mehrere Umschuldungsangebote abgelehnt und in den USA auf die Rückzahlung von 1,33 Milliarden US-Dollar geklagt. Argentinien legte Widerspruch ein. Wann eine endgültige Entscheidung im Rechtsstreit fällt, ist noch ungewiß.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Januar 2014


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