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Goldesel verhungert

Reverstaatlichung von Wasserwerk in Argentinien: Französischer Versorgungskonzern Suez tritt Rückzug an und fordert saftige Entschädigung

Von Wolfgang Pomrehn*

Die Zeiten ändern sich. In den 90er Jahren noch hatten sich in Argentinien spanische und französische Konzerne alles an öffentlichen Unternehmen unter den Nagel gerissen, was zu haben war. Der staatliche Ölkonzern YPF kam unter den Hammer, die Telefongesellschaft, die Metro in Buenos Aires, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, die Eisenbahnen, und vieles mehr. Der damalige Präsident Carlos Menem soll sogar versucht haben, die Stadt Bariloche am Rande der Anden, die als Touristenattraktion gilt, zu verscherbeln. Mit der festen Bindung des argentinischen Pesos an den US-Dollar und einer freundlichen Regierung, die Gebührenerhöhungen stets absegnete, glichen die Erwerbungen für die Investoren einer Lizenz zum Gelddrucken. Milliardensummen flossen aus dem hochverschuldeten Land ab, und füllten die Kassen der europäischen Multis. Der argentinischen Exportwirtschaft hingegen schnürte die Dollarbindung, die ihre Ausfuhren verteuerte, mehr und mehr die Luft ab.

Nicht mehr profitabel

Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Koppelung an die US-Währung wurde aufgegeben, Argentiniens Exporteure konnten aufatmen – eine Freude, die sie allerdings ungern mit ihren Beschäftigten teilen – und die europäischen Konzerne erwachten unsanft aus ihren Schlaraffenland-Träumen. Auf einmal mußten sie feststellen, daß freie Wechselkurse – die, wenn es um China geht, zum unverzichtbaren Bestandteil des Wertekanons der »Internationalen Gemeinschaft« erklärt werden – auch gewisse Risiken mit sich bringen. So schmälert die Abwertung des argentinischen Peso die Profite in den europäischen Bilanzen ganz erheblich. Auch eine Erhöhung der Gebühren klappte nicht. Denn in Argentinien sind inzwischen die sozialen Bewegungen hellwach, und die Provinzregierungen in Buenos Aires sowie in einigen der besser entwickelten Regionen verspüren wenig Lust, sich noch stärker als ohnehin schon mit Gewerkschaften und den Piqueteros, den kämpferischen Arbeitslosenkomitees, anzulegen. Außerdem wollen sowohl die Bürger als auch die Behörden endlich die vertraglich zugesicherten Investitionen zum Ausbau und Verbesserung der Versorgungsnetze sehen.

Seit über zwei Jahren liegt daher vor allem Suez, eines der weltweit führenden Unternehmen im Wasser- und Abwassergeschäft, mit den argentinischen Behörden im Clinch. In Buenos Aires versucht Suez gerade seinen Mehrheitsanteil an der dortigen Wassergesellschaft Aguas Argentinas zu verkaufen. Bisher galt das als weltweit größte Konzession, die Suez im Wasserbereich besaß. In der argentinischen Provinz Santa Fé, nordwestlich von Buenos Aires gelegen, zeichnet sich eine neue Runde im Streit zwischen Suez und den örtlichen Behörden ab. Dort bereitete die Provinzregierung vergangene Woche in 15 Städten die Übernahme der Wasserwerke und Abwasseranlagen vor, die derzeit die private Aktiengesellschaft Aguas Provinciales de Santa Fé (APSF) betreibt. APSF-Mehrheitsaktionär ist Suez. Die Franzosen bemühen sich bereits seit Anfang 2005 um den Verkauf ihrer Anteile, allerdings vergebens. Vergangene Woche wurde die Auflösung von APSF beschlossen. Als Grund gab das Unternehmen »Verlust des Kapitals« an. Der Goldesel ist verhungert.

Die Aufsichtsbehörden haben die Auflösung bisher nicht akzeptiert und hatten schon zuvor dem Verkauf Steine in den Weg gelegt. Zunächst solle Suez auf seine Forderungen von rund 250 Millionen Euro verzichten. Der Konzern verlangt dieses Geld als Entschädigung, weil ihm Gebührenerhöhungen verweigert und die Verträge, die ursprünglich auf US-Dollar lauteten, in argentinische Pesos umgeschrieben wurden. Darüber soll nun ein Streitschlichtungsausschuß der Weltbank entscheiden.

Keine EU-Klauseln

Argentinien kann sich glücklich schätzen, daß die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur, dem der Staat angehört, auf Eis liegen. Die EU schreibt in diese Verträge gerne Klauseln zum Schutz ihrer Konzerne in den »Partnerländern« hinein. Beliebt sind dabei Regeln, nach denen europäische Unternehmen nicht »diskriminiert« werden dürfen. Investorenschutz nennt sich das. Hätte Argentinien schon unterschrieben, könnte Suez jetzt vor argentinische Gerichte ziehen und würde womöglich Recht bekommen.

In Santa Fé bereitet man sich indes darauf vor, die Wasserwerke und die Kanalisation in den 15 betroffenen Städten wieder langfristig in öffentliche Hand zu überführen. Zu diesem Zweck wird die Gründung einer neuen Aktiengesellschaft, der Aguas Santafesinas SA, vorbereitet. Die Provinz Santa Fé wird an dieser 90 Prozent und die Angestellten zehn Prozent der Anteile halten. Auch den Kommunen sollen Aktien angeboten werden, vermutlich aus dem Kontingent der Regierung.

Suez, das in Argentinien über die entgangenen Profite jammert, hat kürzlich seinen Aktionären eine Erhöhung der Dividende von 15 Prozent beschert. 1,1 Milliarden Euro will der Konzern ausschütten.

* Aus: junge Welt, 23. Januar 2006


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