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Alle Zeichen auf Sieg

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Argentinien. Umfragen sehen Amtsinhaberin vorn

Von Johannes Schulten *

Es war wohl der letzte Beweis, daß sich der Wind in Argentinien gedreht hat. Einige Tage vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag (23. Okt.) besuchte Amtsinhaberin Cristina Fernández de Kirchner die Hauptgeschäftsstelle der vier großen Agrarlobbyverbände. Diese hatten 2008 und 2009 das Land mit Massenprotesten und Straßenblockaden lahmgelegt, um die Erhöhung der Steuern auf Sojaexporte zu verhindern. Die Regierung stürzte damals in ihre bis dahin schwerste politische Krise. Beim Treffen am Montag war von all dem nichts zu hören. Die Vertreter der Sojaexporteure sprachen sogar vom Beginn einer »neuen Etappe«.

Tatsächlich gibt es derzeit kaum politische Konflikte, die eine zweite Amtszeit der 58jährigen Ehefrau des vor einem Jahr gestorbenen Expräsidenten Néstor Kirchner (2003–2007) gefährden könnten. Dementsprechend klangen auch ihre Worte zum Kampagnenabschluß am Donnerstag eher nach einer Siegesrede denn nach einer Wahlveranstaltung. Vor Tausenden Anhängern in Buenos Aires appellierte die Präsidentin an Alliierte wie politische Gegner, die »kleinen Differenzen« beiseite zu lassen und sich auf die Einheit zu konzentrieren.

Die Meinungsumfragen geben ihr allen Grund zum Optimismus. Nach den letzten Prognosen vom Wochenende könnte Fernández de Kirchner mit ihrem linksperonistischen Bündnis »Front für den Sieg« (FPV) auf bis zu 53 Prozent der Stimmen kommen. Für eine Wiederwahl in der ersten Runde genügen bereits 40 Prozent und ein Vorsprung von zehn Prozentpunkten auf den Zweitplazierten.

Noch schwerer als die Beliebtheit der Regierung wiegt für die zerstrittene Opposition jedoch die eigene Schwäche. Weder die beiden Vertreter des rechten Flügels der peronistischen Partei, Expräsident Eduardo Duhalde (2002–2003) und der Gouverneur der Provinz San Luis, Alberto Rodríguez Sáa, noch der Kandidat der traditionsreichen Radikalen Bürgerunion (UCR), Ricardo Alfonsín, dürften mit viel mehr als zehn Prozent rechnen. Sie müssen sogar um den zweiten Platz fürchten. Der könnte an den Kandidaten der kleinen Sozialistischen Partei (PS), Hermes Binner, gehen. Dem Gouverneur der nördlichen Provinz Santa Fe werden am Sonntag 14 bis 17 Prozent eingeräumt. Die PS tritt im Bündnis »Breite Progressive Front« gemeinsam mit einigen kleineren linken Parteien an. Sie präsentiert sich als linksliberale Alternative zur Regierung.

Laut Umfragen des Instituts Poliarquíua ist der Vorsprung der Präsidentin vor allem auf die ökonomische Situation zurückzuführen. Etwa 48 Prozent der Argentinier glauben, daß es dem Land besser geht als vor vier Jahren. 52 Prozent meinen, daß die Regierung eine gute Arbeit gemacht habe und wertschätzen den starken Rückgang der Arbeitslosigkeit und das Wirtschaftswachstum, knapp acht Prozent 2011. Die massive Inflation, die nach offiziellen Angaben bei knapp zehn Prozent liegt, laut privater Institute bei bis zu 25 Prozent, werden nur von 33 Prozent der Wähler als Problem angesehen. Das zweite Hauptthema der rechten Opposition, die Kriminalität, wird nur von 22 Prozent als problematisch eingeschätzt.

Angesichts dieser Werte haben UCR und Rechtsperonisten in den vergangenen Wochen ihre Kräfte auf die am selben Tag abzuhaltenden Parlamentswahlen konzentriert. Am Sonntag entscheiden knapp 28 Millionen wahlberechtigte Argentinier auch über 24 der 72 Senatsmitglieder und 130 der 257 Parlamentsabgeordneten. Alfónsin appellierte mehrfach an die Wähler, zumindest mit der Zweit- und Drittstimme seine Partei zu wählen, »um das Gleichgewicht im Parlament zu stärken«.

* Aus: junge Welt, 22. Oktober 2011


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