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Argentiniens Diktator vor Gericht

Jorge Videla übernimmt "militärische Verantwortung" für "Krieg gegen Subversive"

Von Santiago Baez *

Der 1990 begnadigte frühere argentinische Diktator Jorge Videla steht seit dem vergangenen Freitag (2. Juli), 27 Jahre nach dem Ende der letzten Militärdiktatur in dem südamerikanischen Land, wieder vor Gericht. Der General war 1976 führend am Sturz der damaligen Präsidentin Isabel Perón beteiligt und stand bis 1981 an der Spitze der Junta. In dieser Zeit wurden Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zufolge mehr als 30000 Menschen ermordet oder »verschwanden« spurlos.

Vor Gericht muß sich Videla nun gemeinsam mit 30 weiteren Angeklagten für den Tod von 32 Gefangenen sowie für die Entführung und Folterung von sechs weiteren Menschen verantworten. Für diese Verbrechen war er bereits 1985, zwei Jahre nach dem Ende der Diktatur, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach nur fünf Jahren kam er jedoch infolge der vom damaligen argentinischen Präsidenten Carlos Menem erlassenen Gesetze über den »Schlußpunkt« und über »angemessenen Gehorsam« wieder frei. Im August 2003, wenige Wochen nach dem Amtsantritt von Néstor Kirchner als Staatschef Argentiniens, hob das Parlament beide Gesetze jedoch auf. Daraufhin wurde vom obersten Strafgerichtshof festgestellt, daß die in Folge dieser Gesetze ausgesprochenen Begnadigungen verfassungswidrig gewesen seien und die entsprechenden Prozesse deshalb neu aufgerollt werden müßten.

Am Montag (5. Juli) übernahm der heute 84jährige Videla die »militärische Verantwortung für sämtliche Aktionen des argentinischen Militärs während des Krieges gegen die Subversiven«. Die ihm untergeordneten Soldaten hätten seinen Anweisungen folgen müssen. Allerdings erkennt der frühere Diktator das zivile Gericht in der zentralargentinischen Stadt Córdoba nicht als rechtmäßig für seinen Fall an. Da es sich um »Kriegsereignisse« gehandelt habe, könne nur ein Militärgericht über seine Handlungen urteilen, so Videla. Einer seiner Mitangeklagten, der frühere General Luciano Benjamín Menéndez, ging sogar noch weiter und sagte, Argentinien sei das einzige Land, in dem »erfolgreiche Militärs« für ihre Handlungen verurteilt würden. Diese hätten Krieg geführt, »um den marxistischen Terrorismus zu besiegen, der unser Vaterland überfallen hatte«.

Am 25. Mai, dem 200. Jahrestag der argentinischen Unabhängigkeitserklärung, hatte Videla gemeinsam mit anderen angeklagten Militärs bei der Regierung um eine Amnestie gebeten. Die dadurch erhoffte Wirkung in der argentinischen Öffentlichkeit blieb allerdings aus. Das durch einen Bischof der katholischen Kirche überbrachte Ersuchen ging in der allgemeinen Feierstimmung rund um das Jubiläum unter. Außerdem verweigerte die Regierung jede Antwort auf das Dokument, da der Kirchenmann sich nicht an das übliche Protokoll gehalten hatte und es ohne jedes Anschreiben nicht bei dem auch für die Beziehungen zu den religiösen Gemeinschaften zuständigen Außenministerium, sondern direkt in der Casa Rosada, dem Regierungssitz, abgegeben hatte.

Die »Mütter der Plaza de Mayo«, deren Söhne und Töchter unter der Militärdiktatur »verschwanden« und die seit mehr als 33 Jahren jeden Donnerstag auf dem Platz vor dem Sitz der argentinischen Regierung für eine Bestrafung der Verantwortlichen demonstrieren, warnen unterdessen vor zu viel Vertrauen in die Justiz. Es sei »viel Geld im Spiel«, warnte die Präsidentin der Mütter, Hebe de Bonafini, am Rande der Aktion in der vergangenen Woche. »Es ist gut, vor Gericht zu ziehen, aber die Probleme werden nicht von der Justiz gelöst, sondern von den Völkern auf der Straße.«

* Aus: junge Welt, 7. Juli 2010


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