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Milch und Mehl für Gas und Öl

Argentinien und Venezuela: Kooperation bei Engpässen

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

In Argentinien herrscht vielleicht schon bald der Energienotstand. Am Mittwoch reist die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner zu ihrem Amtskollegen Hugo Chávez nach Venezuela. Im Mittelpunkt der Kurzvisite steht ein Abkommen über den Tausch von Lebensmitteln gegen Öl.

Argentinien und Venezuela vertiefen ihre Zusammenarbeit. Bei dem »Kooperationsabkommen im Bereich Souveränität und Ernährungssicherheit« geht es um die Lieferungen von argentinischem Rindfleisch, Speiseöl, Milch und Mehl sowie Hilfe bei der landwirtschaftlichen Anbautechnik im Wert von rund 300 Millionen US-Dollar nach Venezuela. Venezuela bezahlt mit fossilen Brennstoffen.

Zur Vorbereitung waren bereits Mitte Februar die zuständigen Beamten von Buenos Aires nach Caracas gereist. »Wir möchten dringend einen Vorrat an Nahrungsmitteln, den wir kurzfristig nicht haben«, sagte Chávez bei dieser Gelegenheit und fügte hinzu: »Hier ist alles Öl, das Argentinien für seine industrielle Entwicklung braucht.«

Seit Monaten kommt es in Venezuela immer wieder zu Versorgungsengpässen bei den Grundnahrungsmitteln. Das Angebot kann mit der steigenden Kaufkraft der ärmeren Schichten nicht mithalten. Die eigene Landwirtschaft wird durch die Festpreise für viele Nahrungsmittel nicht zur Ausweitung der Produktion animiert. Besonders schwierig ist die Lage bei Milch und Zucker.

Ähnlich ist die Situation in Argentinien bei der Energieversorgung. Die steigende Nachfrage der wachsenden Wirtschaft und der privaten Haushalte liegt schon seit Jahren über der Kapazität der Energieversorger. Immer wieder kommt es zu Ausfällen und Abschaltungen bei der Gas- und Stromversorgung. Und bald steht am Río de la Plata der Winter an.

Daran hat auch der Ende Februar in Buenos Aires stattgefundene Erdgasgipfel von Argentinien, Bolivien und Brasilien nichts geändert. Seit dem Spitzentreffen der Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und Evo Morales mit Cristina Kirchner sind lediglich zwei Dinge klar: Bolivien kann die an Argentinien zugesagte Menge an Gas nicht liefern, und Brasilien ist nicht bereit auch »nur ein Molekül« seiner Gasimporte aus Bolivien an Argentinien abzugeben.

Brasilien hatte sich am Ende lediglich zur Lieferung von täglich rund 200 Megawatt Strom bereit erklärt. Aber Argentinien braucht nicht in erster Linie Strom, sondern Gas und Öl. Das Paradoxe an der argentinischen Situation: Das Land hat ein Abkommen mit Chile, nach dem es selbst Gas an seinen westlichen Nachbarn liefern muss.

Dass sich die neue argentinische Regierung unter Cristina Kirchner noch mehr in die Abhängigkeit von Hugo Chávez begibt, wird von der Opposition und in den Medien kritisiert. So hatte sich Argentinien am Ende der Amtszeit ihres Vorgängers und Ehemanns Néstor Kirchner von den Fesseln des Internationalen Währungsfonds durch eine vollständige Schuldenrückzahlung befreit. Die Kehrseite der Medaille: Argentinien steht jetzt mit fast sechs Milliarden US-Dollar bei Venezuela in der Kreide.

Wenige Tage vor ihrer Reise machte Frau Kirchner jedoch klar, in welche Richtung es ihrer Meinung nach geht soll. »Die Einbindung Venezuelas in den Gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur) ist keine Frage der persönlichen Sympathie. Es ist eine Aufgabe der Vernunft, zu einer ausgeglichenen Energieversorgung in Lateinamerika zu kommen«, sagte die Präsidentin vergangenen Samstag in ihrer Eröffnungsrede zur neuen Legislaturperiode des Parlament.

Für Hugo Chávez geht es deshalb auch nicht nur um die Lieferung von argentinischem Rindfleisch. Noch immer haben die Parlamente in Brasilien und Paraguay der Vollmitgliedschaft Venezuelas in der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur nicht zugestimmt. Ohne die Unterstützung aus Buenos Aires wird dies auch nicht geschehen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2008


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