Trommeln gegen Cristina Kirchner
Argentinische Präsidentin steht wegen ihrer Agrarpolitik in der Kritik
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires
Aus Solidarität mit den streikenden Landwirten haben in Argentinien zehntausende Menschen gegen
Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner protestiert. Es waren die ersten Massenproteste der Ära
Kirchner, die 2003 von Cristinas Ehemann Néstor Kirchner eingeläutet wurde.
Der Hubschrauber stand schon startbereit. Auf der Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast in
Buenos Aires trommelten tausende enttäuschte und wütende Menschen auf ihre Kochtöpfe. Die
Bilder vom Höhepunkt der argentinischen Krise im Dezember 2001 waren wieder präsent. Damals
war Präsident Fernando de la Rúa mit dem Hubschrauber aus dem Präsidentenpalast geflüchtet.
Am Dienstagabend (25. März) zog es die derzeitige Präsidentin Cristina Kirchner vor, mit dem Auto nach Hause zu fahren.
Argentinien erlebte in der Nacht zum Mittwoch (26. März) die ersten »Cacerolazos« gegen eine Regierung Kirchner. Weder gegen Néstor Kirchner noch gegen die seit gut 100 Tage im Amt befindliche
Cristina Kirchner wurde bisher mit Kochtopfschlagen protestiert. Jetzt aber haben die bereits seit
zwei Wochen auf dem Lande anhaltenden Proteste auf die Städte übergegriffen. Anlass war eine
Fernsehrede, in der die Präsidentin ihre Agrarpolitik verteidigt hatte.
Mit Straßenblockaden protestieren die Landwirte gegen die weitere Erhöhung der Exportabgaben
auf Sojabohnen und Getreide. Sie fordern die Regierung zu Verhandlungen auf. Nach der
Fernsehrede Cristina Kirchners strömten die Menschen spontan mit Kochtöpfen und Pfannen auf die
Straßen. Keine Fahnen, keine Transparente, keine Anführer. Die größte Versammlung fand auf der
Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast statt. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen von
Demonstranten und Anhängern regierungsfreundlicher Piqueterogruppen. Letztere waren als
Gegendemonstranten »zur Verteidigung der Regierung« in die Innenstadt gezogen. Polizei und
Ordnungskräfte hielten sich dagegen zurück und beschränkten sich auf das Regeln des Verkehrs.
In ihrer Rede hatte sich Cristina Kirchner erstmals selbst zu den andauernden Protesten der
Landwirte geäußert: Sie werde sich nicht erpressen lassen, Gespräche mit den Agrarverbänden
werde es erst geben, wenn diese ihre Proteste und Straßenblockaden einstellen, sagte die
Präsidentin. Die Straßensperren würden nicht aus Hunger und Not veranstaltet, sondern es seien
»Blockaden des Überflusses«, sagte sie. Kirchner spielte damit auf die satten Einnahmen der
argentinischen Landwirte an, die für ihre Produkte seit gut fünf Jahren steigende Weltmarktpreise
einstreichen. Davon profitiert auch der Staatshaushalt, da sämtliche Agrarexporterlöse mit Abgaben
belegt sind. Seit langem versuchen die Agrarverbände die Regierung zu einer Änderung dieser
Exportabgaben -- vor allem für Soja, Getreide, Fleisch und Milch -- zu bewegen. Es handelt sich
dabei nicht um Steuern auf Gewinne, sondern um direkte Abgaben von den Exporterlösen. Die
Entwicklung der Produktions- und Transportkosten werde nicht berücksichtigt, klagen die Verbände.
Und dieser Umstand treibt gerade die kleinen und mittleren Produzenten in die Konfrontation mit der
Regierung und in ein Bündnis mit dem traditionell konservativen Verband der Großagrarier.
Die Regierung rechtfertigt dagegen die Abgaben mit der Versorgung der eigenen Bevölkerung. Die
Einnahmen dienten auch dazu, die Lebensmittelpreise auf dem Binnenmarkt zu subventionieren und
damit die noch immer große Armut im Lande zu bekämpfen. Der Industrie sichern diese
Subventionen einen Wettbewerbsvorteil, weil sie wegen der geringeren Lebenshaltungskosten die
Löhne ihrer Belegschaften niedrig halten kann. Letztlich profitiere von höheren
Unternehmensgewinnen durch steuerliche Umverteilung auch der ländliche Raum dank staatlicher
Infrastrukturmaßnahmen, argumentiert Kirchners Regierung.
Wirtschaftsminister Martín Lousteau hatte das Fass vor knapp drei Wochen jedoch zum Überlaufen
gebracht, als er eine weitere Anhebung der Exportabgaben auf Soja und Getreide ankündigte. Nach
dem Willen der Regierung sollen beispielsweise künftig 44 Prozent des Exporterlöses für Soja an
den Staat abgeführt werden.
Erstmals in der Geschichte des Landes hatten sich daraufhin die vier großen Agrarverbände gegen
die Regierung zusammengeschlossen und einen Streik ausgerufen. Die Blockaden richten sich
gegen den Lkw-Transport von Soja und Getreide zu den Verladehäfen und von Rindern und
Geflügel zu den Schlachthöfen. Bestreikt wird auch der Transport von Milch und Milchprodukten.
Aus Supermärkten und Fleischereien werden inzwischen bereits die ersten leeren Regale gemeldet.
Der Regierung ist es bisher nicht gelungen, einen Keil in den Viererbund zu treiben. Ganz im
Gegenteil: Nach der jüngsten Rede der Präsidentin haben sich die Verbände noch enger
zusammengeschlossen und die unbefristete Fortsetzung ihrer Proteste angekündigt.
* Aus: Neues Deutschland, 27. März 20087
Aufklärung!
Am Jahrestag des Militärputsches von 1976 in Argentinien haben Demonstranten Aufklärung über das Schicksal der seinerzeit Verschwundenen gefordert. Zehntausende zogen am Montag durch die Straßen der Hauptstadt Buenos Aires und hielten Fotos ihrer vermißten Angehörigen in die Höhe. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen etwa 30000 Menschen ermordet oder verschwanden spurlos. Der Protest in Buenos Aires wurde von der Gruppe "Mütter der Plaza de Mayo" angeführt. Der 24. März wird alljährlich als Tag der Erinnerung und der Gerechtigkeit begangen.
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