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Ungewöhnliche Härte

Argentinien: Regierung verbietet Streiks bei staatlicher Fluggesellschaft

Von Johannes Schulten *

Die frisch im Amt bestätigte argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner gilt als gewerkschaftsnah. Der Großteil der Lohnerhöhungen der letzten Jahre wurde ohne Arbeitskämpfe erreicht. Hielten es die Beschäftigten einer Branche einmal für nötig, ihren Forderungen durch Streiks Nachdruck zu verleihen, wurden sie in der Regel von ihr unterstützt.

Ein gerade zu Ende gegangener Arbeitskampf in der staatlichen Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas hat jedoch ungewöhnlich harte politische Reaktionen der Regierung nach sich gezogen. Als sich Fluglotsen vom 11. bis 13. November weigerten, die Start- und Landebahnen freizugeben und alle internationalen Verbindungen für drei Tage gestrichen werden mußten, stellte die Präsidentin die Flugsicherung prompt unter Militärverwaltung. Arbeitsminister Carlos Tomada kündigte sogar ein Verbotsverfahren gegen die Gewerkschaft des technischen Luftpersonals (APTA) an. Erst Ende der Woche gab das Unternehmen bekannt, daß der Flugverkehr wieder nach Plan verlaufe.

Das Besondere an diesem Arbeitskampf war nicht nur, daß es im Vorfeld weder Tarifverhandlungen noch Entlassungen gegeben hatte. Die harte Haltung der Regierung resultiert vor allem aus der Tatsache, daß es sich bei Aerolineas Argentinas um ein Staatsunternehmen handelt. Die 2009 nationalisierte Fluggesellschaft gilt als Symbol für den von Fernández de Kirchner propagierten Wandel vom neoliberalen Entwicklungsmodell der 90er Jahre zu einer stärker staatszentrierten Wirtschaft. 1950 gegründet wurde die Airline 1990 von der Regierung Carlos S. Menem privatisiert und an die spanische Fluggesellschaft Iberia verkauft. Iberia verhökerte große Teile der Flotte, um ihre Bilanzen aufzubessern. Nach mehreren Beihnahepleiten wurde Aerolineas 2001 an den spanischen Tourismusmulti Marsans weitergereicht. Doch auch die neuen Eigentümer betrachteten die Fluggesellschaft vor allem als Melkkuh. Nach einer Insolvenz ließ Fernández de Kirchner das Unternehmen schließlich enteignen, was zu nicht unerheblichen Verstimmungen seitens der spanischen Regierung führte.

Für die Regierung ist der Streik der Techniker daher ein Angriff auf den Status der Fluglinie als Staatsbetrieb. der Staatssekretär für Transport, Juan Pablo Schiavi, beschuldigte die APTA, nur zu streiken, um ihren Einfluß im Management auszubauen. Die ehemalige Vorsitzende der Luftfahrtgewerkschaft und heutige Botschafterin in Venezuela, Alicia Castro, warf dem APTA-Vorsitzenden Ricardo Cirielli vor, auf einen Eigentümerwechsel bei Aerolineas hinzuarbeiten.

Tatsächlich ist Ciriellis Position nicht unumstritten. Seit 20 Jahren steht er unangefochten an der Spitze der APTA, und sein Gremium ist das einzige von sieben bei Aerolineas aktiven Gewerkschaften, das den Streik unterstützte. Zudem gehört er dem rechten Gewerkschaftsflügel an, der auf Kriegsfuß mit der Regierung steht.

Cirielli bestreitet gleichwohl, daß es sich überhaupt um einen Streik gehandelt hat. Die Fluglotsen und Techniker hätten die Maschinen aufgrund von Sicherheitsmängeln nicht abgefertigt, heißt es in einer Stellungnahme. Er kritisiert die »Ineffizienz« und »Unerfahrenheit« des Managements der Fluggesellschaft, besonders von deren Geschäftsführer, Mariano Recalde. Recalde ist ein 39jähriger Anwalt, der wie zahlreiche Mitglieder der Unternehmensführung aus der Jugendorganisation der Regierungspartei »Front für den Sieg« stammt. Unterstützung findet Cirielli beim Großteil der Medien, die genüßlich die Kosten der Verstaatlichung für den argentinischen Steuerzahler nachrechnen.

Tatsächlich ist Aerolineas tief in den roten Zahlen. Im laufenden Jahr erwartet das Unternehmen ein Defizit in Höhe von mindestens 387 Millionen US-Dollar, mehr als das Doppelte der ursprünglich geplanten Betrages. Gleichwohl gehen die Verluste seit der Verstaatlichung stetig zurück. 2008, im letzten Jahr unter Marsans, hatte das Unternehmen noch mit 942 Millionen US-Dollar in den Miesen gestanden. Aerolineas-Chef Recalde führt das Minus vor allem auf die hohen Investitionen zurück, die nötig gewesen seien, um den komplett heruntergewirtschafteten Konzern wieder konkurrenzfähig zu machen.

* Aus: junge Welt, 22. November 2011


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