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Zehn Jahre Korruption

Siemens-Schmiergeldaffäre erreicht Argentinien. Seit 1998 soll der Münchner Konzern bestochen haben. Durchsuchung von Büroräumen in Buenos Aires

Von Harald Neuber *

Der deutsche Großkonzern Siemens gerät wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen nun auch in Argentinien immer stärker unter Druck. Nachdem ein Ermittlungsrichter in Buenos Aires Untersuchungen wegen vermuteter Bestechungsgelder in Höhe von bis zu 100 Millionen US-Dollar aufgenommen hat, wurden am Freitag (15. August) in der Hauptstadt des südamerikanischen Landes mehrere Büros des Konzerns durchsucht. Im Unterhaus des Kongresses widmet sich indes die Opposition dem Thema. Ebenfalls in der vergangenen Woche leitete Patricia Bullrich von der Mitte-links-Gruppierung Bürgerunion die Gründung einer parlamentarischen Untersuchungskommission in die Wege. Bullrich will auch Mitglieder anderer Oppositionsgruppen mobilisieren, um den ermittelnden Bundesrichter Ariel Lijo zu unterstützen. Dies sei notwendig, weil die Regierung von Präsidentin Fernández zwar Untersuchungen ankündige, aber den Worten keine Taten folgen lasse, sagte Bullrich im Gespräch mit junge Welt. (Siehe weiter unten.)

Gegenstand der Untersuchungen sind mehrere Großaufträge von Siemens in Argentinien, bei denen Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen sein sollen. 1998 war der deutsche Konzern beauftragt worden, ein neues System für Grenzkontrollen und elektronische Ausweise aufzubauen und zu betreiben. Das Gesamtvolumen für dieses sogenannte DNI-System lag damals umgerechnet bei rund einer Milliarde US-Dollar. Im Jahr 2006 bekam Siemens zudem den Zuschlag für den Bau von zwei Kraftwerken. Der Wert dieses Auftrages: 1,6 Milliarden US-Dollar. In beiden Fällen sollen politische Funktionäre bis hin zur Staatsführung bestochen worden sein. Fragen stellt die Opposition auch bei der aktuellen Auftragsvergabe für den Bau eines Hochgeschwindigkeitszugs, der die Provinzen Buenos Aires, Rosario und Córdoba verbinden soll. Involviert in den mutmaßlichen Bestechungsskandal ist nicht nur das Regime des neoliberalen Expräsidenten Carlos Menem (1989--1999), sondern auch die auf ihn folgenden Regierungen unter Fernando de la Rúa (1999--2001), Eduardo Duhalde (2002--2003) und Néstor Kirchner (2003--2007).

Die argentinischen Ermittlungsbehörden verfolgen derzeit aufmerksam auch das Geschehen in Deutschland. Die Süddeutsche Zeitung hatte hier unlängst berichtet, daß die Konzernführung für die Bestechung argentinischer Funktionäre bis zu 100 Millionen US-Dollar vorgesehen hat. Der neoliberale Staatschef Carlos Menem, unter dem zahlreiche ehemalige Staatsbetriebe privatisiert wurden, habe allein für den DNI-Deal 16 Millionen einstreichen sollen, die über die Tarnfirma »Pepcon« mit Sitz in Costa Rica flossen. Nach bisherigen Erkenntnissen sind am Ende aber »nur« 4,4 Millionen US-Dollar an den Staatschef ausgezahlt worden. Menems Innenminister Carlos Corach habe über das Scheinunternehmen Mirror Development 6,4 Millionen US-Dollar erhalten, Staatssekretär Hugo Franco 1,9 Millionen. Dies geht aus einer Gesprächsnotiz von Siemens in Argentinien hervor, die der Staatsanwaltschaft in Buenos Aires vorliegt.

Für die amtierende Regierung von Cristina Fernández sind die Ermittlungen Chance und Bedrohung zugleich. Nach Angaben der nationalen Presse hat auch ihr Ehemann und Amtsvorgänger Néstor Kirchner von den Schmiergeldzahlungen profitiert. Zugleich befindet sich der argentinische Staat aber in einem Rechtsstreit mit Siemens. Weil die damalige Regierung von Fernando de la Rúa den Vertrag über das DNI-System im Mai 2001 inmitten der argentinischen Finanzkrise einseitig aufkündigte, reichte Siemens bei der Weltbank Klage ein. Die Schiedsstelle der Weltbank gab dem Münchner Konzern recht und verurteilte Buenos Aires im Februar 2007 zu einer Strafzahlung in Höhe von umgerechnet 208 Millionen US-Dollar. Im Rahmen der Ermittlungen besteht die amtierende Regierung von Präsidentin Cristina Fernández nun auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Denn würde Siemens Bestechung nachgewiesen, wäre der Schuldspruch der Weltbank nichtig. Allerdings könnten in diesem Fall auch politische Konsequenzen in Argentinien folgen.

* Aus: junge Welt, 19. August 2008

"Untersuchung im Kongreß dringend notwendig"

Abgeordnete der Opposition in Argentinien wollen zur Aufklärung der Korruption beitragen. Ein Gespräch mit Patricia Bullrich **

Frau Bullrich, Sie drängen in der Abgeordnetenkammer des argentinischen Kongresses auf die Bildung einer Kommission, die den Korrup­tionsskandal um das deutsche Unternehmen Siemens untersuchen soll. Wann erwarten Sie Ergebnisse?

Wenn die Untersuchungskommission ihre Arbeit beginnt, muß sie binnen 100 Tagen einen Bericht über die Korruptionsfälle vorlegen, in die Siemens und verschiedene Regierungen verwickelt waren.

Die Haltung der amtierenden Regierung von Cristina Fernández ist zwiespältig. Auf der einen Seite hofft sie auf einen Nachweis der Korruption. In diesem Fall könnte sie im Streit mit Siemens vor der Schiedsstelle der Weltbank eine Millionenstrafe abwenden. Auf der anderen Seite ist auch die Präsidentin ebenso wie ihr Ehemann sowie Amtsvorgänger Néstor Kirchner (2003--2007) in den Skandal verstrickt. Ist das kein Widerspruch?

Es ist ein Problem, daß selbst wir erst aus den Medien von Unregelmäßigkeiten im Ermittlungsverfahren gegen den Siemens-Konzern erfahren haben. Jüngst wurden in Argentinien Vorwürfe laut, nach denen auch unter der Regierung von Néstor Kirchner diese Bestechungsgelder geflossen sein sollen. Ich halte es zumindest für fragwürdig, daß die Staatsführungen unter Néstor Kirchner und Cristina Fernández trotz des Skandals und der Vorwürfe weiter Verträge mit Siemens geschlossen haben. Diese Abschlüsse könnten schließlich auch von Wirtschaftskriminalität betroffen sein. Es gibt vor diesem Hintergrund tatsächlich einen Widerspruch zwischen den Ankündigungen von Präsidentin Cristina Fernández und ihrer konkreten Politik. All dies mach die Einrichtung einer Untersuchungskommission im Kongreß dringend notwendig.

Ihre Initiative ist Teil einer weiterreichenden Kampagne gegen Korruption. Welche Konsequenzen hat dieses Phänomen in Argentinien?

Die Konsequenzen der Korruption machen sich in Argentinien nicht nur politisch bemerkbar, sondern auch wirtschaftlich und sozial. Sie hat maßgeblich zur andauernden Wirtschaftskrise beigetragen. In Argentinien ist die Korruption integraler Bestandteil eines vorherrschenden klientelistischen Systems, dessen Funktionäre sich aus den Staatstöpfen bedienen. Das befördert die Korruption natürlich in einem ganz erheblichen Maße, denn wer den Zugriff auf die größeren Konten hat, hat mehr politische Macht. Meine Partei, die Bürgerunion, tritt diesem System der institutionalisierten Korruption entschieden entgegen. Wir setzen uns für eine gerechte Verteilung des Staatseinkommens ein.

Die Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Schuldigen im Korruptionsskandal um Siemens in Argentinien stehen erst am Anfang. Welche Auswirkungen könnte es für die betroffenen Unternehmen haben, wenn die Vorwürfe bestätigt werden?

Zahlreiche Verträge müßten neu geprüft werden. Während der Präsidentschaft von Néstor Kirchner wurden im Jahr 2006 unter anderem zwei Staatsaufträge für den Bau von Kraftwerken vergeben. Darauf bewarben sich sowohl Siemens als auch der französische Alstrom-Konzern. Kurzfristig wurden Preise und Fristen geändert, so daß am Ende Siemens den Zuschlag bekam. Wegen dieses und anderer Fälle hat die Wettbewerbskommission der EU gegen beide Unternehmen schon Millionenstrafen verhängt, weil sie offenbar ein Kartell gebildet haben. Das betrifft in Argentinien auch den Bau eines neuen Hochgeschwindigkeitszuges zwischen den Provinzen Buenos Aires, Rosario und Córdoba. Auch dabei bewarben sich beide Unternehmen, doch Alstrom hat den Zuschlag bekommen, nachdem sich Siemens zurückzog. In allen diesen Fällen war der in Argentinien umstrittene Planungsminister Julio De Vido beteiligt. Der Chef von Siemens in Argentinien, Matthias Kleinhempel, ist am 24. Juni bereits zurückgetreten. In seiner Erkläung hieß es, diese Entscheidung habe nichts mit den laufenden Ermittlungen zu tun. Geglaubt hat das hier niemand.

** Patricia Bullrich ist Abgeordnete der oppositionellen Bürgerunion in Argentinien. Unter Präsident Fernando de la Rúa (1999--2001) war sie Arbeitsministerin

Interview: Harald Neuber

Aus: junge Welt, 19. August 2008




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