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Argentinien zahlt Pariser Club aus

Kreditwürdigkeit an Finanzmärkten soll zurückgewonnen werden

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Völlig überraschend will Argentinien seine Schulden an westliche Gläubigerländer zurückzahlen.

»Ich habe den Wirtschaftsminister angewiesen, mit Hilfe der Reserven der Zentralbank die Schulden beim Pariser Club zu begleichen.« Mit diesen Worten teilte Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner am Mittwoch mit, dass das Land seine Schulden bei den Gläubigerstaaten des Pariser Clubs zurückzahlen will. Die Verbindlichkeiten in Höhe von 6,7 Milliarden Euro würden aus den Reserven der Zentralbank beglichen.

Mit dem Schritt will das südamerikanische Land seine Kreditwürdigkeit auf den internationalen Finanzmärkten zurückgewinnen. Die seit Jahren laufenden Verhandlungen über eine Umschuldung beim Pariser Club waren an der Forderung der Gläubigerstaaten nach einem Gutachten vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gescheitert. Diese Gutachten enthalten nämlich wirtschaftspolitische Empfehlungen, deren Umsetzung der Club vom Schuldner stillschweigend erwartet. Dies hatte Argentinien stets abgelehnt.

Der Pariser Club ist eine informelle Gruppe von 19 Staaten, darunter Deutschland, Japan und die USA. Die Staatengruppe bildete sich vor mehr als 50 Jahren, um die Forderungen gegenüber Schuldnerländern mit Zahlungsproblemen zu bündeln. Erstmals trat der Club 1956 gemeinsam auf – gegen Argentinien.

In den vergangenen Jahren konnte das Land wegen der ausstehenden Einigung Kredite nur noch in Venezuela aufnehmen. Hugo Chávez hatte sich stets bereit erklärt, argentinische Staatsanleihen zu kaufen. Bei dem erdölreichen Nachbarn im Norden steht Argentinien inzwischen mit rund sieben Milliarden Dollar in der Kreide. Und das mit einem satten Zinssatz von 15 Prozent.

Anfang des Jahres stellte die Regierung in Buenos Aires ein Loch im laufenden Haushalt fest. Mehrere Milliarden Dollar Auslandsschulden werden 2008 und vor allem 2009 fällig. Niemand weiß, woher das Geld für Tilgung oder Umschuldung kommen soll. Die finanzielle Situation hatte sich für die Regierung mit dem gescheiterten Versuch, die Agrarexportsteuer anzuheben, weiter verschärft.

Die Regierung Kirchner kann sich die jetzt verfügte Zahlung an den Pariser Club dennoch leisten. Die Devisenreserven der Zentralbank sind im Zuge des Wirtschaftswachstums der letzen sechs Jahre auf 47 Milliarden Dollar gestiegen. Mit dem Schritt umgeht die Regierung die Einmischung des IWF. Ob die zuständigen Stellen beim Pariser Club vorab informiert waren, ist nicht bekannt.

Die Regierung am Río de la Plata hatte sich im Januar 2002 für zahlungsunfähig erklärt. Die gesamte argentinische Auslandsschuld beläuft sich nach Angaben des Wirtschaftsministeriums vom Mai 2008 auf rund 145 Milliarden Dollar. Das entspricht 56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist die Verschuldung in den letzten zwei Jahren wieder gestiegen und liegt sogar über dem Stand des Krisenjahres 2001, als die Regierung des Ex- Präsidenten Fernando de la Rúa aus dem Amt gejagt wurde.

Die Ankündigung der Präsidentin kam überraschend. Die Art und Weise jedoch nicht. Wie so oft hatte Cristina Kirchner eilig in den Präsidentenpalast Casa Rosada geladen und in einer wie immer live vom Fernsehen ausgestrahlten Rede ihre Entscheidung mitgeteilt. Genauso hatte es Ende 2005 auch ihr Ehemann und Vorgänger im Amt Néstor Kirchner gemacht, als er verkündete, Argentinien werde vorzeitig seine gesamten Schulden beim IWF in Höhe von 9,8 Milliarden Dollar zurückzahlen.

* Aus: Neues Deutschland, 6. September 2008


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