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"Argentiniens Diktatur-Schulden sind sittenwidrig"

Attac und erlassjahr.de fordern Expertenanhörung bei laufendem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - Dokumentation

Im folgenden dokumentieren wir einen höchst interessanten Vorstoß argentinischer Politiker und deutscher NGOs zu einem umfassenden Schuldenerlass für Argentinien. Zunächst kommt die Presseerklärung, die den Vorgang errläutert, dann der Brief an das Bundesverfassungsgericht und schließlich die Gesetzesinitiative im argentinischen Parlament.


"Argentiniens Diktatur-Schulden sind sittenwidrig"

Attac und erlassjahr.de fordern Expertenanhörung bei laufendem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht


Frankfurt/Düsseldorf 17.11.2004. Das Bundesverfassungsgericht soll in einem derzeit laufenden Verfahren internationale Experten anhören, um die Rechtmäßigkeit der argentinischen Schulden aus der Zeit der Militärdiktatur und die Rechtskräftigkeit der aktuellen Anleiheverträge zu überprüfen. Das fordern das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das bundesweite Entschuldungsnetzwerk erlassjahr.de und der argentinische Kongressabgeordnete Mario Cafiero heute in einem Brief an das Bundsverfassungsgericht. "Die Militärjunta in Argentinien hat mit internationalen Geldern schwere Menschenrechtsverletzungen finanziert", sagte Markus Meinzer von der Attac-AG Finanzmärkte. "Darum sind auch die zugrundeliegenden Schuldverträge nach deutschem und internationalem Recht sittenwidrig und unwirksam."

In der Bundesrepublik sind derzeit etwa 100 Verfahren gegen die Republik Argentinien anhängig. Damit wollen Privatgläubiger ihre Forderungen gegen das Land eintreiben, das seine Zahlungen im Rahmen seines finanziellen Staatsnotstands suspendiert hat. Mehrere dieser Verfahren liegen derzeit zur Prüfung beim BVG (AZ: 2 BvM 1-5/03 und 2 BvM 6-7/03). Auf dem Wege eines so genannten "Amicus-Curiae-Verfahrens" haben Attac und erlassjahr.de nun die Anhörung von sachkundigen Dritten in diesem Prozess gefordert, darunter einen Botschafter und einen Richter aus Argentinien sowie die Professoren Günther Frankenberg (Frankfurt/M.) und Ashfaq Khalfan (Quebec).

Mit diesem juristischen Vorstoß untermauern Attac und erlassjahr.de ihre politische Forderung nach einem Schuldenerlass für Argentinien. "Bei den heutigen Schuldenkrisen muss die Legitimität der Schulden viel stärker hinterfragt und die Verantwortung der Gläubiger und der Banken ins Blickfeld genommen werden" sagte Jürgen Kaiser, Politischer Koordinator von erlassjahr.de. Im Rahmen der Kampagne "Argentiniens Schulden müssen weg" haben die Organisationen diese Forderung in den letzten Wochen mit Postkarten, E-Mails und einer Vortragstour vorangetrieben.

Auszug aus dem Schreiben ans BVG:

Gegen die Republik Argentinien sind derzeit allein in der Bundesrepublik etwa 100 Verfahren anhängig, in denen Privatgläubiger aus Anleihescheinen auf dem Klageweg ihre Forderungen zu realisieren suchen. Gegenstand der Verfahren sind insbesondere Rechtsfragen, die sich darauf beziehen, dass Argentinien sich auf die völkerrechtlichen Regeln beruft, dass (1) im Staatsnotstand ein Suspensionsrecht bestehe, die Anleihen also solange nicht bedient werden müssten, wie Argentinien sich in einem finanziellen Notstand befände, und dass (2) der in den Anleiheverträgen vereinbarte Immunitätsverzicht durch die Republik Argentinien wegen der nicht erfolgten Spezifizierung unwirksam sei. In fast identischen Vorlagebeschlüssen haben die Zivilgerichte diese beiden Rechtsfragen am Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht und die untergerichtlichen Verfahren bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die nach Art. 100 Abs. 2 GG vorgelegten Fragen ausgesetzt.

Beide Fragestellungen sind allerdings nur entscheidungserheblich, wenn die Rechtswirksamkeit der Schuldverträge festgestellt werden kann. Die Zivilgerichte haben hierbei die allgemeinen Sittenwidrigkeitsregeln und auch die über Art. 25 GG in das deutsche Recht inkorporierten völkerrechtlichen Normen zu beachten. Danach ist mehr als zweifelhaft, ob den streitgegenständlichen Schuldverträgen überhaupt Rechtswirksamkeit zukommt. Diese Fragen sind den Vollstreckungs- und Suspendierungsrechten logisch vorrangig, mit anderen Worten: Die Vorlagefragen sind nicht entscheidungserheblich und die Zivilgerichte müssen zunächst die Frage der rechtswirksamen Entstehung der Verbindlichkeit überprüfen. Die beklagte Republik Argentinien hat aus nachvollziehbaren Gründen bislang keine Einreden geltend gemacht, die diese Rechtswirksamkeitsumstände betreffen. Die Motivlage für diese Zurückhaltung dürfte einerseits in der organisationalen Kontinuität (neben argentinischen Funktionären gilt dies im Hinblick auf die beteiligten Banken, internationale Organisationen [zu Rolle und Fehlern des IWF im Fall Argentiniens siehe den Expertenbericht von Shinji Takagi u.a., The IMF and Argentina, 1991-2001, IMF, Independent Evaluation Office, 2004, abrufbar über: www.imf.org] und die mit der Restrukturierung beauftragte Anwaltskanzlei Cleary Gottlieb, New York) bei den betreffenden Ver- und Umschuldungen zu suchen sein. Andererseits aber dürfte die Entscheidung für eine Verteidigungsstrategie, die sich vornehmlich auf Rechtsfragen der Suspension und mangelnden Vollstreckbarkeit bezieht, auch darin begründet liegen, möglichst rasch auf die internationalen Finanzmärkte zurückkehren zu können. Diese Motivationslage und die Tatsache, dass sich die Republik Argentinien bislang aus pragmatischen Gründen nicht zur Einrede der Sittenwidrigkeit hat durchringen können, ist aber im Hinblick auf die Pflicht der Zivilgerichte, das Entstehen der Ansprüche rechtlich vollumfänglich zu überprüfen, unbeachtlich, da es sich hierbei nicht um Einreden im technischen Sinn handelt, sondern diese Rechtsfragen von den Zivilgerichten unabhängig vom Vorbringen der Parteien zu berücksichtigen sind. Ferner ist im Hinblick auf die geltende Rechtslage eine Umkehr der Substantiierungslast festzustellen, d.h. es liegt nicht an Argentinien, die Umstände der Sittenwidrigkeit darzulegen, sondern es liegt an den jeweiligen Gläubigern, die Umstände des rechtswirksamen Vertragsschlusses substantiiert darzutun.

Hierbei ist zu beachten, dass die in der Bundesrepublik anhängig gemachten Rechtsfragen aufgrund der vertraglichen Rechtswahlentscheidungen (Art. 27 Abs. 1 EGBGB) nach bundesdeutschem Recht zu beantworten sind. Zwei Aspekte sind hierbei im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit der Schuldverträge besonders relevant:
  • Die streitgegenständlichen Verträge sind das Produkt einer Verschuldung der Republik Argentinien, die auf einen Zeitraum (1976-1983) zurückzuführen ist, in dem in Argentinien eine Militärjunta regiert hat, der schwerwiegende und systematische Menschenrechtsverbrechen, wie bspw. das Verschwindenlassen von Menschen, der Krieg um die Falkland-Inseln und ein interner bewaffneter Konflikt gegen sog. 'Subversive' zu Last zu legen sind. In zahlreichen, auch internationalen Prozessen ist dies mittlerweile dokumentiert. Auch in der Bundesrepublik sind diesbzgl. - bspw. im Fall Käsemann - noch Verfahren gegen Mitglieder der Junta anhängig. Die Junta hat mittels der internationalen Kreditpolitik ihre Machtposition stärken können. Insbesondere dt. Unternehmen haben in der Folgezeit zahlreiche Aufträge in Waffengeschäftsangelegenheiten erhalten. Thyssen-Henschel bspw. entwickelte eigens für die argentinischen Streitkräfte den mittelschweren 30 t-Kampfpanzer TAM - Tanque Argentino Mediano (Konstantin Thun, Menschenrechte und Außenpolitik. Bundesrepublik Deutschland-Argentinien 1976-1983, Bremen 1985, S. 127 ff.; zu den Urteilen und Verfahren gegen argentinische Funktionäre wegen des Delikts des Verschwindenlassens: Wolfgang Kaleck, Späte Gerechtigkeit, ila. Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika 5/1999, S. 225 ff.).

  • Im Hinblick auf die Prozesse der Ver- und späteren Umschuldung ist relevant, dass mit der Ausarbeitung und Durchführung der Umschuldung der auf die Juntazeit zurückgehenden Anleihen Bankinstitute und internationale Organisationen beauftragt wurden, die bereits in die Kreditvergabe an das diktatoriale Argentinien verwickelt waren. Die diesbzgl. Kontinuitäten kommen in den Feststellungen in der Entscheidung "Olmos, Alejandro s/ Denuncia" (Az. 14.467) des Juzgado Criminal y Correccional No. 2, Richter Dr. Jorge Ballestero, vom 13. Juli 2000 zum Ausdruck, u.a. wird dort auf die Rolle der Deutschen Bank eingegangen. Ferner sind in der derzeit vor den argentinischen Gerichten anhängigen Rechtssache "CAVALLO, Domingo F. y otros s/falta de mérito" (C.C.C.Fed., Sala II, reg. 22.469, rta. 20-5-04. Juzg.Fed.n 2, Sec.n 4., Causa n 20.375) deliktische Handlungen im Zuge der Umschuldung Untersuchungsgegenstand. Die zuständige Kammer entschied mit Beschluss vom 20. Mai 2004, deliktische Handlungen der beiteiligten Funktionäre (d.h. insbesondere Amtsmissbrauch und Betrug zu Lasten der öffentlichen Kassen) im Zuge der Restrukturierungsmaßnahmen der Schulden in den Jahren 1997, 1998 und 2000 zu untersuchen.
Argentinien hat sich in den Prozessen bislang nicht offiziell auf die Nichtigkeit der Schuldverträge berufen. Es ist allerdings erwähnenswert, dass Ende Oktober 2004 eine überparteiliche Gruppe von Abgeordneten des argentinischen Kongresses einen Gesetzentwurf in den Kongress eingebracht hat, der die Nichtigkeit der auf die Zeit der Militärjunta rückführbaren Schuldverträge vorsieht. Dieser Entwurf knüpft an das Gesetz 23.854 aus dem Jahr 1990 an (Boletín Oficial 31/10/1990 - ADLA 1990 - D, 3706), in dem der argentinische Kongress alle Investment Accounts (cuentas de inversión) geschlossen hat, die von den diversen Exekutiven der Jahre 1976-1983 eröffnet wurden. Das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf die Deklaration der Nichtigkeit der Schuldverträge dauert noch an. Der rechtliche Wert des Gesetzgebungsprojektes liegt in der deklaratorischen Bestätigung der Rechtssituation de lege lata, denn die Nichtigkeit der Anleihen, die auf fraudulentes und menschenrechtswidriges Verhalten der beteiligten Regierungsvertreter zurückgeht, folgt bereits aus dem bestehenden Recht.

Grob skizziert stellen sich hierbei die rechtlichen Implikationen wie folgt dar:

1. Es versteht sich von selbst und ergibt sich im deutschen Recht unmittelbar aus den §§ 134, 138 BGB, dass Verträge, die der Finanzierung von Menschenrechtsverbrechen dienen, keine Rechtswirksamkeit entfalten. Die völkerrechtliche Parallelnorm ist Art. 53 der Wiener Vertragskonvention, der über Art. 25 GG in das deutsche Recht inkorporiert wird und vorsieht: "Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht." Auf diesem ius cogens beruhende Rechte der Berufung auf Rechtsunwirksamkeit unterliegen nicht der Verwirkung. Das Recht, sich auf die Unverbindlichkeit der Staatsschulden zu berufen, hat die Republik Argentinien daher nicht verwirkt, wie auch immer sich die Regierungen nach 1984 aus politischen Erwägungen zum Schuldenproblem verhalten haben sollten. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass ein Vertrag, der gegen ius cogens verstößt, nicht bestätigt und auf die dadurch eingeräumte Rechtsposition nicht verzichtet werden kann (Andreas Fischer-Lescano, Odious Debts und das Weltrecht, Kritische Justiz 2003, S. 223 ff.). Dass auch die Umschuldungen den Sittenwidrigkeitszusammenhang haben nicht unterbrechen können, ergibt sich daraus, dass auf Seiten der beteiligten Finanzintermediäre eine personale und organisationale Kontinuität zu verzeichnen ist. Die Wissenszurechnung erfolgt über § 278 BGB, da die Intermediäre als Anlagevermittler als Erfüllungsgehilfin der Anleger tätig geworden sind. Was die Nichtigkeit bei Kettenverträgen betrifft, so hat der BGH bereits 1987 entschieden, dass im Fall eines Sittenwidrigkeitszusammenhangs die Unwirksamkeit früherer Verträge auf aktuelle Verträge durchschlagen kann: "Bei der rechtlichen Beurteilung des Vertrags vom 14.8.1979 kann nämlich die Nichtigkeit der vorangegangenen fünf Kreditverträge nicht unberücksichtigt bleiben. Der Inhalt der neuen Vereinbarung ist von der Vorstellung bestimmt worden, die vorangegangenen Verträge seien wirksam: Nur weil sich die Bekl. zu deren Erfüllung verpflichtet glaubten, haben sie in dem neuen Vertrag Belastungen in der vereinbarten Höhe übernommen. Stellt man diesen neuen Belastungen die in Wahrheit nur bestehenden Bereicherungsansprüche gegenüber, so ergibt sich ein Missverhältnis, das nicht ohne rechtliche Folgen bleiben darf." (BGH NJW-RR 1987, S. 679 ff.). Dass man es im Fall der argentinischen Umschuldungen mit einer vergleichbaren Konstellation zu tun hat, liegt auf der Hand, und es ist ebenso offensichtlich, dass die Einschaltung eines dolosen Dritten keine Möglichkeit sein kann, um den Sittenwidrigkeitszusammenhang zu durchbrechen, eine Umgehung der Rechtsfolge der Nichtigkeit wäre sonst allzu einfach. Mit anderen Worten, auch wenn den jeweiligen Anleihegläubigern das Wissen um die Herkunft der Schulden fehlte, ist Ihnen das Wissen der beteiligten Finanzinstitute, die die Inhaberschuldverschreibungen vermittelt haben, zuzurechnen. Die vom BGH für Kettenverträge interner Natur entwickelten Grundsätze des Sittenwidrigkeitsdurchgriffs vom Ausgangs- zum Umschuldungsvertrag (hierzu: BGHZ 99, 336; BGH, NJW-RR 1988, S. 363 ff.; Palandt-Heinrichs, § 138 Rdn. 31) sind daher aufgrund der Wissenszurechnungstatbestände auch im Fall der umgeschuldeten Juntakredite anzuwenden. Für die derzeit in kostspielige Prozesse gegen die Republik Argentinien verwickelten Anleihegläubiger bedeutet dies, dass Kompensationsansprüche gegen die beteiligten Bankinstitute und Anwaltskanzleien entstehen werden, die ungleich einfacher vollstreck- und feststellbar sind als die geltend gemachten Ansprüche gegen die Republik Argentinien. Die Ansprüche auf Kompensation sind keine Prospekthaftungsansprüche i.S.v. §§ 31 f. WpHG, da es gerade darum geht, dass wirksame Inhaberschuldverschreibungen nicht zustande gekommen sind. Daher folgt die Verjährung nicht § 34a WpHG sondern den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln. Eine Verjährung ist demnach noch nicht eingetreten.

2. Ähnliches gilt für die Auswirkungen des sittenwidrigen Handelns argentinischer Funktionäre im Zuge der Umschuldungsverfahren. Deren systematische persönliche Bereicherung, insbesondere durch Kapitalfluchtmaßnahmen, ist Gegenstand der o.g. Verfahren vor den argentinischen Gerichten. Es versteht sich von selbst und ergibt sich im deutschen Recht aus § 138 BGB (vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 138 Rdn. 40 ff.), dass im Fall eines kollusiven und deliktrechtlich relevanten Zusammenwirkens der handelnden Organe - in erster Linie: argentinische Funktionäre und Finanzintermediäre - eine rechtswirksame Schuldverpflichtung der Republik Argentinien nicht begründet werden kann. Die völkerrechtlichen Parallelnormen finden sich in den Artikeln 49 und 50 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) und der völkergewohnheitsrechtlich geltenden Figur der sog. odious debts - eine Rechtsfigur, die maßgeblich von Alexander Sack systematisiert worden ist und für die es zahlreiche Präzedenzfälle gibt (siehe die an der McGill-Universität, Montreal, durchgeführte Studie: Advancing the Odious Debt Doctrin, COM/RES/ESJ, 03.11.2003).

3. Bei alledem ist zu beachten, dass, wie Günter Frankenberg & Rolf Knieper im Anschluss an die von Alexander Sack ausgearbeitete und international bspw. mit der Entscheidung im Tinoco-Fall (Tinoco Arbitration, Great Britain v. Costa Rica, (1923) 2 Ann.Dig. 34) belegbare odious debts Doktrin hervorgehoben haben, für internationale Anleiheverträge eine Beweislastumkehr zu konstatieren ist (Günter Frankenberg & Rolf Knieper, Rechtsprobleme der Überschuldung von Ländern der Dritten Welt, Recht der Internationalen Wirtschaft 1983, S. 569 ff.); mit anderen Worten, dass es nicht Aufgabe der jeweiligen Schuldnerstaaten, sondern der Gläubiger ist, Tatsachen vorzubringen, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit entkräften.

Anlage: Gesetzesinitiative im argentinischen Kongress

(eingebracht im Oktober 2004)

Das Abgeordnetenhaus der Nation

Art. 1) erklärt die Gesamtheit der Auslandsschulden, die von der Militärdiktatur in den Jahren 1976, 1977, 1978, 1979, 1980, 1981, 1982 und 1983 aufgenommen wurden, für sittenwidrig.

Art. 2) erachtet gemäß des in Art. 1) dargelegten die Verschuldung in diesem Zeitraum als illegitim. Die Pflichten erlöschen entschädigungsfrei nach vorheriger Untersuchung mit dem Ziel, die Folgen der Verschuldung für spätere Zeitabschnitte und die Verantwortlichkeiten öffentlicher Funktionäre, natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts oder des Völkerrechts, die während der genannten Militärdiktatur aktiv waren, festzustellen.

Gesetzesbegründung

Es ist weitgehend bekannt, dass unter der letzten Militärdiktatur (1976-1983) schwerwiegende und systematische Menschenrechtsverletzungen verübt wurden.

Ferner ist bekannt, dass während dieses Zeitraums ein ungewöhnlicher Anstieg unserer Auslandsverschuldung stattfand, welche in diesem kurzen Zeitraum von US-$ 7,8 Milliarden auf ca. US-$ 46 Milliarden angestiegen ist.

Beides konnte nur in einer historischen Situation stattfinden, in welcher sich die Macht dem Recht aufzwang.

Die de facto Regierung begann mit der Erlassung einer "Norm" (Estatuto de Reorganización Nacional), der die gesamte übrige rechtliche Struktur des Landes, insbesondere die nationale Verfassung, untergeordnet war. Selbstverständlich löste diese "Norm" das nationale Parlament auf, was die legislativen Befugnisse zur Exekutive transferierte, die von einer legislativ-beratenden Kommission (Comisión de Asesoramiento Legislativo, C.A.L.), bestehend aus Mitgliedern der drei Streitkräfte, unterstützt wurde.

Jegliche Möglichkeit der demokratischen Kontrolle über das Regierungshandeln wurde abrupt abgeschafft. So konnte das Militärregime nach Belieben über das Leben und Erbe aller Bewohner dieses Landes verfügen und in der Tat machte es Gebrauch von dieser Möglichkeit.

Dieses rechtsbrechende Moment manifestiert sich auch in der Missachtung und dem Bruch von seinerzeit geltenden Prinzipien des Völkerrechts, anzuführen beispielsweise die Amerikanische Deklaration der Rechte und Pflichten des Menschen (Declaración Americana de los Derechos y Deberes del Hombre; Conferencia Internacional Americana de Bogotá en el ańo 1948) und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Declaración Universal de Derechos Humanos; proklamiert durch die Resolution 217 - A - I I I - der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1948).

Die Rückkehr zur Demokratie nach einer de facto Regierung hat immer eine Debatte darüber hervorgerufen, wie mit den Normen umzugehen sei, die während des institutionellen Versagens erlassen wurden. Im allgemeinen haben Doktrin und Entscheidungen unseres Höchsten Gerichts (Corte Suprema) diesbzgl. einen pragmatischen Standpunkt eingenommen und eine automatische Nichtigkeit aller Normen des de facto Regimes nicht angenommen, um eine daraus möglicherweise resultierende Rechtsunsicherheit zu vermeiden.

Die im Jahr 1994 reformierte nationale Verfassung bestimmt in Artikel 36, dass sie ihre Gültigkeit beibehält, auch wenn ihre Einhaltung durch Gewaltakte gegen die institutionelle Ordnung und das demokratische System nicht mehr gewährleistet ist. Sie qualifiziert solche Akte als unabdinglich nichtig.

Auch wenn diese Norm erst 1994 in Kraft getreten ist, besaß das ihr zugrundeliegende Prinzip bereits seit dem konstitutionellen Beginn Gültigkeit. Da die fundamentale Rechtsordnung eine juristisch-politische Matrix ist, auf welche sich die restliche normative Struktur gründet, kann diese schwerlich Raum für Interpretationen öffnen, die ihren Bruch durch de facto Regierungen zulässt.

Dass der Verfassungsgeber vor dem Hintergrund der blutigsten Diktatur in der Geschichte der Nation explizit auf die Nichtigkeit der Gewaltakte abstellt, kontraindiziert nicht die Tatsache, dass diese Nichtigkeit schon zuvor eingetreten war. Um es anders zu sagen, die Ungültigkeit der "de facto" Akte muss immer dann angenommen werden, wenn diese nicht ausdrücklich von dem für diese Entscheidung kompetenten juristischen Organ bekräftigt werden.

Was die Bekräftigung oder Ablehnung des Regierungshandelns während des de facto Zeitraums betrifft, so hat das nationale Parlament (Congreso Nacional) - nicht im entferntesten schweigend - ausdrücklich seine Zurückweisung durch die Bestätigung des Gesetzes 23.854/90, in welchem die Investitionshaushalte der Jahre 1976/1977/1978/1979/1980/1981/ 1982 und 1983 abgelehnt werden, offenkundig gemacht.

Dies stellt einen Präzedenzfall für die Frage dar, ob nachfolgende demokratische Regierungen die Legitimität der während der Militärdiktatur aufgenommenen Auslandsschulden anerkennen oder nicht anerkennen. Unserem Verständnis nach kann insbesondere die Verabschiedung von Gesetzen über Haushaltsposten, die die Bedienung von Schulden regeln, deren Ursprung direkt oder indirekt in den Zeitraum der Diktatur fällt, weder als ein die Schuld bestätigendes Element gelten, noch kann sie die in der o.g. Norm manifest werdende rechtliche Zurückweisung der Rechtsakte des de facto Regimes kontraindizieren.

Ein weiterer Präzedenzfall von einzigartiger Relevanz in Bezug auf die Analyse der Ungültigkeit der während der Diktatur aufgenommenen Schulden stellt die Sache vor dem Strafgericht Nr. 2 (Juzgado Criminal y Correccional Nro 2), Angelegenheit 14.467, tituliert "OLMOS, Alejandro s/ Denuncia" dar. In dieser Angelegenheit hat der berichterstattende Richter (magistrado interviniente) Dr. Jorge Ballestero im Juli 2000 in seiner Entscheidung die Verletzung von wenigstens vierhundertsiebenundsiebzig Straftatbeständen im Zusammenhang mit der während der Militärdiktatur aufgenommenen Auslandsschuld festgestellt.

In der genannten Sache wurde ebenfalls die Nichtexistenz oder das Verschwinden von Registern über die Auslandsverschuldung evident; ferner: das Erlassen von Normen mit dem Ziel den argentinischen Staat der Jurisprudenz ausländischer Gerichtshöfe zu unterstellen (Ej. El art. 1 del Código Procesal Civil y Comercial); die Verschuldung von Staatsunternehmen, um die Geldmittel anderen als den genannten Zwecken zuzuführen; die Nationalisierung oder Verstaatlichung privater Schulden, die durch dieses Vorgehen schließlich von der Nation übernommen wurden (Circulares A-31, A-137, A-251 der Zentralbank).

Im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des IWF drückt die Resolution des Richters Ballesteros aus, dass "daran erinnert werden sollte, dass das Land seit dem Jahr 1976 dem Willen ausländischer Gläubiger ausgeliefert wurde und dass in jenen Verhandlungen Funktionäre des Internationalen Währungsfonds aktiv beteiligt waren, wodurch eine bis zu einem gewissen Grad neue Art Assistenz begründet wurde, welche die aktuelle ökonomische Situation des Landes substanziell zu verbessern versprach. Auf diese Weise begründete der IWF seine umstrittene Existenz".

In Bezug auf die profitierenden Subjekte erklärt die genannte Entscheidung, dass die Auslandsschuld "seit dem Jahr 1976 durch das Handeln von Staatsbürgern und Ausländern drastisch angestiegen ist - zum Schaden staatlicher Gesellschaften und Unternehmen, die durch eine dirigistische Politik Tag für Tag ärmer wurden, was sich unter anderem im Vergleich mit dem Wert ausdrückt, der ihnen zu Beginn ihrer Privatisierungen noch beigemessen wurden".

Eine der Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Entscheidung ziehen lassen, ist die tatsächliche und notwendige Komplizenschaft internationaler Kreditorganisationen, internationaler Privatbanken und transnationaler Konzerne, welche im Bewusstsein über die herrschende Situation im Land dennoch entschieden haben, mit dem Militärregime Verträge abzuschließen. Dies trug vor dem Hintergrund fehlender republikanischer Kontrollen dazu bei, ein polit-ökonomisches Projekt ohne Opposition, das im Rahmen massiver Menschenrechtsverletzungen operierte, zu konsolidieren. Einige dieser Körperschaften sind in der genannten Entscheidung in der Sache "OLMOS, Alejandro s/ Denuncia" ausdrücklich genannt.

Aus dieser speziellen Verbindung zwischen Menschenrechtsverletzungen und dem beschriebenen Verschuldungsprozess resultieren spezifische Konsequenzen. Schon im Jahr 1927 hat Alexander N. Sack verabscheuungswürdige Schulden ("odious debts") als solche bezeichnet, die von einem despotischen Regime aufgenommen wurden und dabei nicht dem Vorteil des Staates dienen, sondern nur den Zweck haben, sich zu konsolidieren und die Bevölkerung zu unterdrücken, welche sich gegen ihn auflehnt. Sack fügte hinzu, dass die auf diese Art aufgenommenen Schulden keine Schulden des Staates sind, sondern Schulden des Regimes und deshalb mit seinem Verschwinden erlöschen.

Also lässt sich folgern, dass, wenn Menschenrechtsverletzungen unverjährbar sind, auch solche Maßnahmen unverjährbar, nicht verzichtbar und nicht verwirkbar sind, welche dazu dienen, die Schäden festzustellen und zu kompensieren, die aus der Verschuldung zum Zweck der Unterstützung des Regimes resultieren.

Unter diesem Blickwinkel hat sich das Recht, die Unwirksamkeit der so aufgenommenen Staatsverschuldung geltend zu machen, nicht verwirkt, und in Folge ist die Ablehnung, die dieses Gesetz den genannten Verträgen gegenüber zum Ausdruck bringt, angebracht.

Schließlich verstehen wir, dass es, genauso wie sich in der Frage der Menschenrechtsverletzungen die Wahrheitsfindung und die Bestrafung der für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verantwortlichen notwendigerweise schmerzhaft und anstrengend gestaltete, auch in der Frage der ungerechtfertigten, von der Militärdiktatur aufgenommenen Auslandsschuld angebracht ist, in der gleichen Art und Weise vorzugehen; im Verständnis darüber, dass beide Geschehnisse Teil einer gemeinsamen Grundproblematik waren, deren schädliche Folgen noch bis in die heutigen Tage zu spüren sind.

Aus all den dargelegten Gründen erbitte ich die baldige Annahme dieser Gesetzesinitiative.


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