Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Presidenta Cristina" stellte ihren Vize vor

Argentinien erwartet eine große Koalition

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Am Dienstagabend (14. August) präsentierten sich Cristina Fernández de Kirchner und Julio Cobos erstmals offiziell als Kandidaten-Tandem für die argentinische Präsidentschaftswahl am 28. Oktober. Der gegenwärtige Präsident Néstor Kirchner ist seinem Ziel – der Bildung eines neuen Mitte-Links- Bündnisses – damit einen Schritt näher.

Julio Cobos, der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, ist bisher Gouverneur der Provinz Mendoza und gehörte bis vor kurzem der oppositionellen Radikalen Bürgerunion (UCR) an. Nachdem sich seine Kandidatur für das Regierungslager angedeutet hatte, war er jedoch am 7. August aus der UCR ausgeschlossen worden – »wegen Handelns im Interesse der Regierung«, wie Parteichef Gerardo Morales sagte. »Darüber reden wir nach dem 28. Oktober«, entgegnete der Geschasste in einer ersten Reaktion.

Die sozialdemokratische UCR ist traditionell die zweitstärkte politische Kraft Argentiniens, nach den Peronisten. Die Partei geriet jedoch nach dem fluchtartigen Abgang des früheren Präsidenten Fernando de la Rúa während der Proteste im Dezember 2001 immer weiter in die Krise. De la Rúa war nach Raúl Alfonsín der zweite Präsident, den die Radikalen nach dem Ende der Diktatur 1983 gestellt hatten. Jetzt ist die Partei endgültig zerbrochen.

Präsident Kirchner selbst hatte kurz nach seinem Amtsantritt 2003 den Spaltpilz gesät, als er noch recht diffus die Bildung eines neuen Mitte-Links-Bündnisses ankündigte. Im Mai 2006 sprach er erstmals offiziell von der Bildung einer »Concertación Plural«. Damit hielt er die Widersacher in seiner eigenen Partei in Schach, ohne sich tatsächlich in das innerparteiliche Machtgerangel einzumischen. Gleichzeitig provozierte er damit die Opposition, sich mehr um die eigenen Richtungskämpfe als um die Kontrolle der Regierung zu kümmern.

Die Eheleute Kirchner hatten für die »Frente para la Victoria« (Front für den Sieg), einen eigens für sie gegründeten Wahlverein kandidiert, der mittlerweile den Flügel der Kirchner-Anhänger unter den Peronisten repräsentiert. Nachdem Néstor Kirchner zugunsten seiner Frau auf eine eigene neuerliche Präsidentschaftskandidatur verzichtet hat, wird heftig darüber spekuliert, ob er nach dem Ausscheiden aus dem Amt die Bildung einer neuen Partei unter seinem Vorsitz vorantreiben wird. Julio Cobos hat bereits eine neue »Partido para la Concertación Cívica y Plural« gegründet, um mit der Kirchner-Front bei den Wahlen im Oktober Bündnisse eingehen zu können. Es gehe darum, ein »Scharnier« zwischen dem Peronismus und der UCR zu bilden, sagte Cobos am Dienstag. Das Bündnis hatte bereits einmal Erfolg: In der Provinz Catamarca ließ sich Gouverneur Eduardo Brizuela, Mitglied der UCR, am 11. März mit Unterstützung der Front für den Sieg wiederwählen.

Wie sehr die UCR geschwächt ist, zeigt die Tatsache, dass sie selbst keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten präsentiert. Während ein Parteiflügel mit dem 49-jährigen Cobos ins Lager der Kirchner-Anhänger wechselt, unterstützt der andere die Kandidatur des ehemaligen parteilosen Wirtschaftsministers Roberto Lavagna, der im November 2006 von Kirchner entlassen wurde. Lavagna gründete wenig später die UNA (Concertación por una Nación Avanzada), erklärte seine Präsidentschaftsbewerbung und holte sich den UCR-Vorsitzenden Gerardo Morales als Vizekandidaten ins Boot.

Nach jüngsten Umfragen würde das Duo Kirchner-Cobos die Wahl bereits im ersten Durchgang für sich entscheiden. Es bekäme deutlich mehr als die erforderlichen 45 Prozent der Stimmen. Weit abgeschlagen, mit derzeit 19 Prozent, folgt das Tandem Lavagna-Morales. Alles deutet also derzeit darauf hin, dass eine Frau ins Präsidentenamt einzieht. »Gewöhnt euch schon mal dran: Es heißt ›Presidenta Cristina‹ und nicht ›Presidente‹«, sagte Frau Kirchner am Dienstag.

* Aus: Neues Deutschland, 16. August 2007


Zurück zur Argentinien-Seite

Zurück zur Homepage