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Mediendemokratie

Argentiniens Kongreß beschließt Neuordnung der Radio- und Fernsehlandschaft. Widerstand der Konzerne

Von Johannes Schulten *

Am Wochenende wurde in Buenos Aires gefeiert. Schon am Freitag morgen (9. Okt.) hatten sich Tausende Menschen vor dem Kongreßgebäude in der Hauptstadt versammelt, um der Abschaffung eines der letzten Relikte der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) beizuwohnen. In einer Mammutsitzung von fast 20 Stunden verabschiedete das argentinische Oberhaus in der Nacht zum Samstag mit 44 zu 24 Stimmen das Gesetz zur Neuordnung der Radio- und Fernsehlandschaft. Damit setzte es die von Juntageneral Jorge Videla im Jahr 1980 eingeführte und bisher gültige Regelung außer Kraft. Nach der bereits Mitte September erfolgten Bestätigung durch das Parlament fiel mit der Entscheidung nun die letzte Hürde für eine Demokratisierung der hochmonopolisierten argentinischen Medienlandschaft.

Im einzelnen sieht das neue Mediengesetz vor, das gesamte Sendevolumen innerhalb eines Jahres zu je einem Drittel zwischen privaten, öffentlich-rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern aufzuteilen. Neben einer Bedeutungszunahme der staatlichen Sender, bietet sich so vor allem für nicht gewinnorientierte Organisationen wie Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen oder Universitäten die Möglichkeit, Radio- oder Fernsehlizenzen zu erwerben – was ihnen nach der bisher gültigen Regelung verboten war. Auch wird die bisher ausschließlich von Militärs besetzte Regulierungskommission durch ein siebenköpfiges Gremium mit Vertretern aus Legislative, Exekutive und Judikative ersetzt, in welchem drei Sitze der Regierung zustehen. Die pro Mediengruppe zulässigen Sendelizenzen werden von bisher 20 auf zehn begrenzt – wer mehr besitzt, muß sie binnen eines Jahres verkaufen.

Nach den verpatzten Kongreßwahlen vom 28. Juni ist die Abstimmung der erste ernsthafte Erfolg für die Regierung um Cristina Fernández de Kirchner. Der Opposition war es trotz des politischen Rückenwindes nicht gelungen, zu einer gemeinsamen Position zu finden. Schon im Vorfeld hatten die linken Parteien außerhalb des Regierungsbündnisses Frente para la Victoria (Front für den Sieg) klargestellt, das Projekt zu unterstützen. Als dann überraschend am Mittwoch auch noch mit den Senatoren Maria Dora Sánchez von der Radikalen Bürgerunion (UCR) und Carlos Salázar vom Block Republikanische Kraft zwei Vertreter des rechten Oppositionslagers die Seiten wechselten, war der Weg für eine erfolgreiche Abstimmung frei.

Begleitet wurde die Debatte um das neue Gesetz von einer der heftigsten Medienkampagnen der letzten Jahre. Ein Großteil der Mainstreampresse ließ in den vergangenen zwei Monaten keine Möglichkeit aus, das schlicht als »Projekt K« bezeichnete Gesetz als zutiefst antidemokratisch zu diskreditieren. An vorderster Front stand stets der Medienkonzern Clarín, der seit dem im März 2008 ausgebrochenen Konflikt um die Erhöhung der Agrarsteuern seinen persönlichen Kleinkrieg gegen die Regierung führt. Die Fundamentalopposition ist dabei durchaus nachvollziehbar, denn die neue Regelung ist kaum mit der marktbeherrschenden Konzernstruktur vereinbar. 1945 gegründet, hat sich Clarín während der neoliberalen 90er Jahre zu einem der größten Medienkonzerne Lateinamerikas gemausert. Das Meinungsimperium beschränkt sich nicht nur auf das Zeitungsgeschäft, sondern umfaßt heute eine Vielzahl von Fernsehsendern und Radiostationen und ist Haupteigner des größten Anbieters für Pay-TV des Landes. Mit einer Tagesauflage von 400000 Exemplaren beherrscht es 53 Prozent des argentinischen Zeitungsmarktes, beim Bezahlfernsehen liegt der Marktanteil sogar bei 73 Prozent. Was die Gruppe verbreitet, wird wahrgenommen.

Wie zu erwarten, nahm Clarín die Entscheidung nicht kampflos hin und bläst munter zum Gegenangriff. Schon am Montag kündigte ein Konzernsprecher an, alle zur Verfügung stehenden »rechtlichen Mittel« auszuschöpfen und die »verfassungswidrigen« Bestimmungen rückgängig zu machen. Auf die argentinischen Gerichte wird viel Arbeit zukommen.

Anders als Clarín bewertet die UNO das Mediengesetz als fortschrittlich. Deren Sonderberichterstatter für Meinungs- und Redefreiheit, Frank La Rue, hatte Mitte September im argentinischen Fernsehen dessen demokratischen Charakter gelobt, es diene nicht nur »als Beispiel für den Kontinent …, sondern als Beispiel für die ganze Welt«.

* Aus: junge Welt, 13. Oktober 2009


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