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Der neue Star der Opposition

Sergio Massa schickt sich in Argentinien an, in die Fußstapfen von Präsidentin Cristina Kirchner zu treten

Von Diego Hernán Serra *

Sergio Massa ist der Mann der Stunde in der politischen Landschaft Argentiniens. Der junge Peronist hat große Ambitionen und weiß die mächtigste Mediengruppe des Landes hinter sich – programmatisch überzeugt er dagegen nur wenig. Die Parlamentswahlen Ende Oktober sollen für Massa eine Durchgangsstation zur Präsidentschaft sein.

Monatelang wurde seit Anfang dieses Jahres über eine Kandidatur von Sergio Massa bei den Parlamentswahlen spekuliert. Dank seiner guten Resonanz bei den Wählern erhielt Massa viel Zuspruch innerhalb und außerhalb des peronistischen Spektrums, das die politische Landschaft in Argentinien seit den Zeiten von Juán Peron dominiert. Der von seinen Gegnern als machthungrig und opportunistisch Kritisierte musste sich entscheiden, ob er für oder gegen den Kirchnerismus kandidiert, wie die peronistische Strömung um Präsidentin Cristina Kirchner bezeichnet wird. Seine Entscheidung fiel rechtzeitig vor den Parlamentsvorwahlen im August: Nach langen Überlegungen und quasi in letzter Minute wählte er wie ein Schachspieler die zweite Option – und wie es bisher aussieht, scheint es sich für ihn gelohnt zu haben.

Der aus einer bürgerlichen Familie stammende Massa machte schnell politisch Karriere. In seiner Jugend trat er der liberal-konservativen Partei UCD bei und gehörte der konservativen Strömung der Partei an. Der junge und ehrgeizige Politiker war in den 90er Jahren begeisterter Anhänger der Wirtschaftspolitik des neoliberalen Präsidenten Carlos Saúl Menem, eines Rechtsperonisten. Später wechselte er, wie viele andere Liberale, zu den Peronisten.

Dort machte er schnell Karriere, und schließlich berief ihn die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner 2008 gar zum Kabinettschef. Im Juli 2009 distanzierte er sich jedoch vom Kirchnerismus und übernahm das Bürgermeisteramt von Tigre. Im selben Jahr gründete er mit weiteren Bürgermeistern der Provinz Buenos Aires die peronistische Gruppe »Erneuerungsfront«.

Der 41-Jährige setzt bei öffentlichen Auftritten auf ein freundliches Lächeln und schöne Worte. Seine Reden strotzen vor Gemeinplätzen, die den Kampf gegen Kriminalität und Korruption beschwören sowie leeren Phrasen wie dem Ruf nach Hoffnung, Versöhnung und Toleranz. »Addieren bedeutet, die Abspaltungen der Vergangenheit hinter sich zu verlassen«, lässt uns Sergio Massa in einem Werbespot wissen. Die Forderung nach einer unabhängigen Justiz sowie die Ablehnung einer angestrebten Verfassungsänderung der Kirchner-Regierung machte er ebenfalls zu seinen Wahlkampfthemen.

Aber sein bisheriger Erfolg, der sich unter anderem in einem klaren Vorsprung bei den parlamentarischen Vorwahlen im August zeigte, gründet sich nicht nur auf Rhetorik. Anders als andere argentinische Oppositionspolitiker wie der Mitte-rechts-Parlamentarier Francisco de Narváez oder Mauricio Macri, Bürgermeister von Buenos Aires, setzt er in einem politisch sehr gespaltenen Land auf einen moderaten und versöhnlichen Diskurs. Seine peronistische »Erneuerungsfront« verzichtet nicht nur auf Aggressivität gegenüber der Regierung, sondern erkennt sogar ihre Errungenschaften und Erfolge der vergangenen Jahre an. Sie präsentieren sich der Wählerschaft weder als Kirchneristen noch Anti-Kirchneristen.

Eine entscheidende Rolle spielt aber auch die Unterstützung der Clarín-Gruppe und ihrer Medienpartner. Die mächtige Mediengruppe, die außerhalb der politischen Sphäre eine offene Auseinandersetzung mit der Kirchner-Regierung führt, setzt auf den Machtwechsel und hat in Massa ihren perfekten Kandidaten gefunden. Massa wurde daher in der öffentlichen Berichterstattung der letzten Monate mit Samthandschuhen angefasst.

Es ist ein offenes Geheimnis in Argentinen, dass das Land zurzeit nur von Peronisten regiert werden kann. Diese in der Bevölkerung tief verwurzelte Ansicht hat historische Hintergründe: Seit 1928 konnte kein nicht-peronistischer Präsident seine Amtszeit regulär beenden. Sie wurden entweder vom Militär abgesetzt oder gaben das Amt vor Ablauf der Amtszeit ab. Die Erinnerung an die großen Plünderungen und gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei, die das Land 2001 erschütterten sowie die Flucht des damaligen Präsidenten Fernando de la Rúa per Helikopter vom Präsidentenpalast sind im öffentlichen Bewusstsein immer noch sehr präsent.

Sergio Massa hat große Ambitionen, und vorausgesetzt, dass er bei den kommenden Teilwahlen zum Parlament am 27. Oktober keine überraschende Schlappe einstecken muss, ist der 41-Jährige der Oppositionskandidat mit den derzeit besten Chancen für die Präsidentschaftswahlen 2015. Der aussichtsreichste Kandidat der Regierung ist im Moment der Gouverneur Daniel Scioli. Dieser würde Cristina Fernández de Kirchner beerben, die aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht nochmals kandidieren kann. Der lange Wettlauf um das Präsidentenamt hat bereits begonnen, und ein Ergebnis scheint jetzt schon festzustehen: Hauptsache Peronist.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Oktober 2013


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