Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angezapfte Telefone

Bürgermeister von Buenos Aires soll jüdische Gemeinde ausspioniert haben

Von Johannes Schulten *

Mauricio Macri, der derzeitige Bürgermeister der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, kandidiert für seine rechtspopulistische Partei »Propuesta« (Vorschlag, PRO) als Präsident seines Landes. Doch keine Woche nach der medial vielbeachteten Bekanntgabe seiner Kandidatur für die Wahl 2011 mußte sich Macri am Montag wegen mutmaßlicher Verwicklung in illegale Telefonabhörungen vor einem parlamentarischen Untersuchungsgremium verantworten.

Macri wird vorgeworfen, Telefongespräche von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde von Buenos Aires belauscht zu haben. Deren Vertreter Sergio Burnstein hatte im vergangenen Jahr eine Kampagne gegen Macris Favoriten für das Amt des Chefs der neu gegründeten Hauptstadtpolizei organisiert. Dieser, Jorge Palacios, stand nicht nur als sicherheitspolitischer Hardliner in der Kritik. Er wurde auch beschuldigt, während der Ermittlungen zu dem Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA im Jahr 1994 Beweise manipuliert zu haben. Bei dem schwersten Bombenanschlag in der argentinischen Geschichte wurden 85 Menschen ermordet und Hunderte verletzt.

Während der über fünfstündigen Befragung durch den Untersuchungsausschuß, dem auch Abgeordnete der oppositionellen Radikalen Bürger­union angehören, zeigte sich Macri wenig auskunftsfreudig, bestritt aber die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als »völlig unhaltbar« Er sei das Opfer »einer politischen Intrige der Regierung, getarnt als Gerichtsprozeß«. Auf die konkreten Anliegen der Ausschußmitglieder wollte er hingegen nicht eingehen. Fragen seien bis zu vier Mal gestellt worden, ohne daß es eine Antwort gab, beschwerten sich Mitglieder der Kommission.

Der Abgeordnete der Regierungspartei Frente para la Victoria (Front für den Sieg, FPV), Diego Kravetz, sagte, er habe »mit mehr Zweifeln als Antworten« den Raum verlassen. In einem Untersuchungsbericht der Bundespolizei heißt es, daß auch Mitglieder oppositioneller Parteien, Unternehmer und sogar ein Schwager des Bürgermeisters ausspioniert wurden.

Ob der Abhörskandal Auswirkungen auf Macris Präsidentschaftsambitionen haben wird, ist noch nicht absehbar. Problematisch könnte es vor allem werden, wenn sich die Verfahren gegen ihn bis ins Wahljahr 2011 hinschleppen. Häßliche Flecken auf der Weste des ehemaligen Präsidenten des Fußballvereins Boca Junios gibt es jedenfalls schon lange. Doch weder ein Skandal über eine von ihm gegründete halb-polizeiliche Einheit, die Anfang des Jahres brutal gegen Obdachlose vorging noch rechtskräftige Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung und Schmuggel von Autoteilen konnten seiner Popularität bisher Abbruch tun. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage zu den Wahlen 2011 sprachen sich immerhin 30 Prozent der Wähler für ihn aus.

* Aus: junge Welt, 25. August 2010


Zurück zur Argentinien-Seite

Zurück zur Homepage