Deutschland, deine Leichen
Über Argentinien während der Militärdiktatur und das heimliche Einverständnis der deutschen Regierung
Von André Dahlmeyer *
Bibliothek des Widerstands heißt eine vom Hamburger Laika Verlag herausgegebene Reihe, in der 100 Bücher mit den wichtigsten Filmen des Widerstands seit 1967, sogenannte Mediabooks, geplant sind. Genauer gesagt, sollen jährlich zwölf davon erscheinen, jeweils mit bis zu drei Filmen. Nach der bisherigen Lesart beginnt Widerstand für die Herausgeber mit den Geschehnissen um den Tod des Studenten Benno Ohnesorg am »2. Juni 1967« – so der Titel des ersten Bands.
Das gerade erschienene »Mediabook 8« thematisiert das Argentinien der letzten Militärdiktatur (1976–1983) respektive die damals verschwundenen Deutschen (an die hundert) und geht der Frage nach, warum sie sterben mußten. In Lateinamerika wütete allerorten der staatliche Terror. Zahlreiche Militärs hatten die »Schule der Amerikas« in Panáma durchlaufen, wo sie u.a. von amerikanischen Schlächtern im Kampf gegen die »marxistische Gefahr« trainiert worden waren. Auf der Basis des »Plan Cóndor« arbeiteten viele Militärdiktaturen zusammen. Ihr Auftrag lautete: Mord. In Argentinien geschah das auf eine besonders perfide Weise, dem sogenannten »Verschwindenlassen« von Menschen. 30000 sollen es insgesamt gewesen sein, doch es gibt viele Anhaltspunkte dafür, das die Zahlen stark untertrieben sind. Bis heute wurden an die 700 Folterzentren bzw. Konzentrationslager in Argentinien registriert; viele sind erst jüngst entdeckt worden.
Acht Wochen nach dem Putsch, im Mai 1976, verkündete der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, General Ibérico Saint-Jean, auf einer Pressekonferenz: »Zuerst werden wir alle Subversiven töten, dann ihre Kollaborateure, danach ihre Sympathisanten, dann die Gleichgültigen, und am Schluß töten wir die Ängstlichen.« Junta-Chef General Videla hatte bereits im Spätherbst 1975 – also lange vor dem Putsch – in Montevideo öffentlich erklärt: »In Argentinien werden so viele Menschen sterben wie nötig, um die Sicherheit im Lande wieder herzustellen.« Die Militärs schafften es, die gesamte Intelligenz des Río de La Plata-Staates, die sich nicht außer Landes hatte retten können, auszulöschen. Mit ihr starben die Ideen, die Illusionen. Der Neoliberalismus hatte freie Fahrt: aus den Katakomben auf die Autobahn. Erst jetzt wächst eine neue Generation nach, die diesen vakanten Platz in der Gesellschaft zu besetzen sucht.
Der Putsch gilt als einer der bestangekündigtsten in der Geschichte überhaupt, Westeuropa war informiert, der deutsche Botschafter in Buenos Aires, Jörg Kastl, erfuhr die Nachricht bereits im Februar 1976 und gab sie nach Bonn weiter. Während fast im gesamten Land die Todesschwadronen der »Triple A« (»Alianza Anticomunista Argentina«) wüteten, hatte der Menschenschlächter General Massera beim Tennisspiel mit Kastl in der deutschen Residenz geplaudert. Daraufhin riet ihm Kastl, Genschers Mann in Buenos Aires: »Exekutionen ohne eine legale Grundlage sind undenkbar, sondern in diesem Falle brauchen Sie Standgerichte und den Ausnahmezustand. Dann begreift das Ihr Volk, und das begreift dann auch das Ausland.« Gesagt, getan.
Als es zu den ersten bewiesenen Entführungen deutscher Staatsbürger kommt, betreiben das Auswärtige Amt und Genscher eine Strategie der Scheintätigkeit. Diese Deutschen sind ihnen und der Regierung Schmidt völlig wurscht. Schließlich hatten Videla & Co. versichert, daß es sich um »Subversive« handele – und hatte man mit denen nicht gerade genug Probleme in der Bundesrepublik selbst? Es muß nicht extra erwähnt werden, daß die Regierung Schmidt keinem einzigen Deutschen in Argentinien das Leben rettete (während das anderen Staaten mit ihren Landsleuten sehr wohl gelungen war). Der Mord an der Pfarrerstochter Elisabeth Käsemann etwa wurde per Dekret von Genscher so lange geheimgehalten, bis die deutsche Fußballnationalmannschaft ihr Freundschaftsspiel am 5. Juni 1977 in Buenos Aires absolviert hatte. 63000 Zuschauer sahen in der »Bombonera«, dem Stadion der Boca Juniors, beim 3:1 Sieg des Weltmeisters zwei Fischer-Tore. Bis heute der einzige Erfolg einer deutschen Mannschaft in Argentinien. Drei Tage später wurde Deutschland der Leichnam Käsemanns übergeben. Die junge Frau war auf einer fingierten »Flucht« hingerichtet worden, vier Schüsse von hinten, ein Genickschuß mit Geschoßfund. Der Bundesrepublik war das keinerlei Protest wert. Warum auch, die Bild frohlockte seinerzeit über die Haftbedingungen in den Kerkern der Junta, und die FAZ verharmloste die Putschisten als »Konkursverwalter«, während Schmidt und seine Schergen Verträge in Milliardenhöhe mit den Massenmördern abschlossen. Die BRD avancierte unter »Schwiegermutters Liebling« zum Waffenlieferanten Nummer 1, verdoppelte die eigenen Argentinien-Exporte nach dem Putsch bis 1979, dasselbe geschah bis 1980 mit deutschen Investitionen in Argentinien. Siemens Argentina, vor dem Putsch wegen Korruption verstaatlicht, wurde vom neuen Wirtschaftsminister der Militärs, José Alfredo Martínez De Hoz – zuvor Siemens-Anwalt – sogar noch »entschädigt«. Die deutsche Botschaft in Buenos Aires verfügte zwischen 1975 und 1980 über ein Sicherheitskorps, das von Mitgliedern der Todesschwadronen durchsetzt war. Das wurde begrüßt. Wenn deutsche Angehörige nach ihren entführten Familienmitgliedern fragten, wurden sie von Kastl (s.o.) an den »Major Peirano« (Klarname: Carlos Antonio Españadero) verwiesen, einem in die deutsche Botschaft eingeladenen Spitzel, der die Angaben der Angehörigen zu weiterer Repression benutzte. Seine »Berichte« entschieden über Leben und Tod der Deutschen. Das wurde begrüßt. Zur Ermordung der Tübinger Pfarrerstochter bemerkte der deutsche Botschafter Kastl lapidar: »Die Käsemann überquerte den Schießplatz und geriet in die Schußlinie, so einfach ist das.« Der für seinen Antikommunismus bekannte Kastl wurde später aus Buenos Aires abgezogen und schließlich, zu Amtsbeginn Helmut Kohls, in die Moskauer Botschaft »befördert«.
Interessanterweise war Kastl bereits zwischen 1953 und 1957 an den BRD-Botschaften in Buenos Aires und Asunción akkreditiert, just zu einer Zeit also, in der eine immense Fluktuation untergetauchter deutscher Nazis Richtung Argentinien stattfand. Zufall?
Dem späteren totalen Waffenembargo der Regierung Carter schloß sich die EG erst an, als im Falklandkrieg (1982) der Einsatz europäischer und da vor allem deutscher Waffen gegen Großbritannien abzusehen war. Helmut Schmidt sprach erstmals von einer »militärischen Diktatur« in Argentinien.
Der längste Beitrag im Buch widmet sich der Berichterstattung der bundesdeutschen Presse (hier wurden willfährige Handlangerdienste für das argentinische Militärregime geleistet) und der Komplizenschaft des DFB im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft 1978, für deren Organisation die Militärs eine Firma aus den USA verpflichteten.
Daß hier ausgerechnet der Dortmunder »Manni« Burgsmüller in eine Reihe mit Duckmäusern und Nazianhängern gestellt wird, ist nicht korrekt, vor allem, wenn beim angegebenen Zitat die folgenden Sätze fehlen: »Man hätte die Weltmeisterschaft da gar nicht hingeben sollen. Was ›Amnesty International macht‹, finde ich richtig.« Wegen dieses Statements wurde Burgsmüller seinerzeit von Bundestrainer Helmut Schön für die WM ausgebootet. Begründung: Burgsmüller sei zu alt (er war knapp 29). Berti Vogts, damals Kapitän, forderte die Todesstrafe für RAF-Mitglieder und fuhr hin. Vizepräsident der FIFA war damals DFB-Präsident Neuberger, der die Geschäfte seiner »Firma« in Gefahr sah – schließlich hatte Paul Breitner gefordert: »Verweigert Argentiniens Generälen den Handschlag!« Heute ist der zweite Mann der FIFA Julio Grondona, seit 1979 Präsident des argentinischen Fußballverbands (AFA).
Willi Baer/Karl-Heinz Dellwo: »Daß du zwei Tage schweigst unter der Folter!«. Laika Verlag, Hamburg 2010, 200 Seiten, 24,90 Euro * Bibliothek des Widerstands, Mediabook 8 (inkl. zwei Filmdokumentationen auf DVD).
* Aus: junge Welt, 16. November 2010
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