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Regierung in der Krise

Argentinien: Präsidentin Cristina Fernández benennt neuen Kabinettschef. Erhöhung der Exportabgaben auf Agrarprodukte vom Tisch

Von Timo Berger *

Späte Einsicht: Mitte Juli hatte der argentinische Senat ein Gesetzesvorhaben der Regierung zur Erhöhung von Exportsteuern für Agrarprodukte zu Fall gebracht. Nun sprach Cristina Fernández zum ersten Mal von einer »Niederlage«. Am Freitag (25. Juli) verteidigte die argentinische Präsidentin vor Anhängern ihrer peronistischen »Gerechtigkeitspartei« (PJ) allerdings das von ihrem Mann, Expräsident Néstor Kirchner, 2003 eingeleitete, gemeinsame Regierungsprojekt. Anläßlich des 56. Todestages von Evita Perón erklärte sie in Berazategui, einem Vorort von Buenos Aires: »Es wird verlorene Schlachten geben, momentane Niederlagen, doch die Geschichte wird von den Völker geschrieben. Zweifelt nicht daran.«

Die Krise ihrer Regierung hatte sich in den vergangenen Tagen weiter verschärft. Stimmen aus der Opposition, aber auch der Regierungspartei forderten den Austausch von Ministern. Am Mittwoch (23. Juli) hatte der seit 2003 amtierende Kabinettschef, Alberto Fernández, das Handtuch geworfen. Fernández galt als Garant für die Stabilität der Regierung, der es schon unter Néstor Kirchner immer wieder geschafft hatte, die Opposition in einen Dialog einzubinden. In letzter Zeit war es zunehmend zur Entfremdung zwischen ihm und dem Ehepaar Kirchner gekommen. Vor allem mißfiel Fernández der Konfrontationskurs der Regierung gegenüber den Interessenverbänden des Agrarsektors, wie er nach seinem Rücktritt gegenüber der Presse erklärte.

Im Streit um die Kopplung der Exportabgaben auf Sojabohnen und Sonnenblumenkernprodukte an die Weltmarktpreise waren die Agrarverbände monatelang in Streik getreten und hatten immer wieder Fernstraßen blockiert. Anfang März hatte der damalige Wirtschaftsminister Martín Losteau die progressive Erhöhung der Abgaben per Dekret angeordnet. Obwohl Cristina Fernández im Laufe des Konflikts auf Forderungen kleinerer und mittlerer Erzeuger nach Ausnahmeregelungen eingegangen war und versprach, die zusätzlichen Steuereinnahmen für soziale Zwecke zu verwenden, schaffte sie es nicht, die neu geschmiedete Allianz der zuvor teilweise verfeindeten Agrarverbände zu brechen. Immer mehr Gouverneure der Provinzen und auch die rechte Opposition schlugen sich auf die Seite der Farmer.

Der vereinte Druck veranlaßte sie schließlich das Projekt dem Kongreß zur Abstimmung vorzulegen. Das Abgeordnetenhaus votierte Anfang Juli noch knapp für die Vorlage, die erste Abstimmungsrunde im Senat am 17. Juli endete mit einem Patt: 36 der aus den Provinzen entsandten Vertreter stimmten für das Gesetz, 36 dagegen. Es war ausgerechnet Fernández’ Vize, Julio César Cobos, der das Vorhaben dann mit dem ihm als Senatsvorsitzenden zustehenden Extravotum kippte und die Regierung damit in die Krise stürzte.

Einen Tag nach der Schlappe im Oberhaus hob die Präsidentin das Dekret auf –die Exportabgaben sind damit wieder auf dem Stand von 2007. Als neuer Kabinettschef wurde am Donnerstag der ehemalige Oberbürgermeister der Gemeinde Tigre, Sergio Massa, vereidigt. Er gilt als linientreuer Peronist. Fernández schloß gleichzeitig eine weitere Kabinettsumbildung aus. Es werde »keine Veränderungen geben« erklärte sie laut Medienberichten.

* Aus: junge Welt, 28. Juli 2008


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