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Kirchner tritt zweite Amtszeit an

Argentiniens Präsidentin verspricht weitere Armutsbekämpfung

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Für die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner hat die zweite Amtszeit begonnen. Am 23. Oktober hatte sie die Wahl mit 54 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang gewonnen.

Ganz in Schwarz schwor die 58-jährige Cristina Kirchner im Kongress den Amtseid nicht nur bei Gott und dem Vaterland, sondern auch bei ihrem verstorbenen Ehemann Néstor Kirchner. Dann legte ihr Tochter Florencia die Präsidentenschärpe um. Während die Senatoren und Angeordneten stehend applaudierten, sang auf den oberen Rängen die Parteijugend »Néstor no murió - Néstor ist nicht tot«. Néstor Kirchner hatte das Präsidentenamt von 2003 bis 2007 inne und war im Oktober 2010 überraschend gestorben.

In ihrer Antrittsrede erinnerte die alte und neue Präsidentin an die Leistungen von acht Jahren Kirchner-Präsidentschaft. »Der Zahlungsunfähigkeit, die wir als Drama erlebten und unser Land als schlechtester Schüler aus der Weltgemeinschaft ausschloss, stehen heute viele andere Länder gegenüber«, so Kirchner. 2002 habe die argentinische Schuldenlast 140 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgemacht. Heute beträgt dieser Anteil noch rund 50 Prozent.

Einer der wenigen Personalwechsel fürs neue Kabinett betrifft das Wirtschaftsministerium. Neuer Wirtschaftsminister ist mit Hernán Lorenzino der bisherige Staatssekretär für Finanzen. Lorenzino folgt Amado Boudou nach, der als neuer Vizepräsident an der Seite von Cristina Kirchner sein Amt antrat.

Mit dem 39-jährigen international anerkannten Finanzexperten hofft die Regierung, den Zugang zum internationalen Kreditmarkt verbessern zu können. Seit dem Staatsbankrott im Jahr 2002 hat das Land noch immer erhebliche Schwierigkeiten, als Kreditnehmer akzeptiert zu werden.

Cristina Kirchner kündigte an, sie werde ihre bisherige Politik fortsetzen. Als vorrangig bezeichnete sie zwar die Bekämpfung der Armut durch eine gerechtere Verteilung des Reichtums. So hat die Regierung angekündigt, die erheblichen Preissubventionen bei Gas, Wasser und Strom bei der Mittel- und Oberschicht schrittweise abzubauen. Bei den unteren Einkommensschichten werde es jedoch keine Reduzierung der staatlichen Beihilfen geben. Auch das staatliche Unterstützungsprogramm für Kinder von einkommensschwachen Familien wird fortgesetzt.

Als dringliche Aufgabe forderte sie jedoch die Verabschiedung eines neuen Landgesetzes, mit dem zwar vor allem dem Verkauf von landwirtschaftlicher Nutzfläche an ausländische Firmen und Privatpersonen ein Riegel vorschieben soll, das aber auch ein bisher nicht existierendes landesweites Kataster vorsieht, mit dem aufgelistet werden soll, wer wie viele Hektar besitzt. Vor allem aus der alten Agraroligarchie und den neureichen Sojabaronen könnte dagegen Widerstand kommen.

Der Wind könnte der Präsidentin aber nicht nur aus dieser Richtung ins Gesicht blasen. Noch vor ihrer Wiederwahl hatte sie Mitte Oktober die Vorlage für ein Anti-Terrorgesetz im Kongress eingebracht. Menschenrechtsgruppen, Basisorganisationen und freie Gewerkschaften kritisieren die Vorlage als eine unpräzise und dehnbare Auflistung von möglichen Straftatbeständen. Sie befürchten vor allem eine Kriminalisierung von sozialen Protestmaßnahmen.

* Aus: neues deutschland, 12. Dezember 2011


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