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Keine Kursänderung vorgesehen

Argentinien: Nach Tod von Kirchner erläutert Präsidentin künftiges Programm

Von Johannes Schulten *

Die Botschaft war eindeutig: Am bisherigen Kurs der Regierung wird es keine Änderungen geben. Eine Woche nach dem Tod ihres Ehemannes hat Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auf ihrer ersten öffentlichen Veranstaltung die zukünftigen Leitlinien der Regierung dargelegt. In der Politik gehe es immer darum »welche Interessen vertreten werden und 2003 haben wir entschieden, die Interessen Menschen zu vertreten, die Arbeit und Gleichheit wollen«, sagte sie am Dienstag unter »Nestor-Nestor«-Rufen jubelnder Anhäger in einer Automobilfabrik in Córdoba.

Néstor Kirchner hatte zwar vor seinem plötzlichem Tod kein offizielles innenpolitisches Amt mehr inne, sein politisches Gewicht wog jedoch schwer. 2007 hatte er zugunsten seiner Frau auf eine Präsidentschaftskandidatur verzichtet, um sich der Parteiarbeit zu widmen. Seit einigen Monaten arbeitete er unter Hochdruck an seiner Kandidatur für die Wahlen Ende 2011.

Die Opposition wittert unterdessen Morgenluft. In Hoffnung auf einen anstehenden Kurswechsel schossen die Kurse argentinischer Unternehmen an der New Yorker Börse um 13 Prozent in die Höhe und in im traditionell reichen Norden von Buenos Aires wurde der Tod Kirchners mit hupenden Autokorsos gefeiert.

Die konservative Tageszeitung La Nación hatte bereits in einem Leitartikel darüber sinniert, daß die Präsidentin nun aus dem Schatten ihres Ehemannes springen könnte, um zu einer »verantwortungsvollen« Politik zurückzukehren.

Dem erteilte Fernández de Kirchner eine Absage. Überhaupt waren ihre bisherigen drei Regierungsjahre alles andere als eine simple Fortführung der Politik ihres Gatten. Sie legte sich, wenn auch erfolglos, zum ersten Mal in der argentinischen Geschichte ernsthaft mit der übermächtigen Agrarlobby an. Und mit der Reform des noch aus der Diktatur stammenden Mediengesetzes sowie der Einführung eines bedingungslosen Kindergeldes nahm sie Anliegen auf, die argentinische Linke schon seit Jahren forderte.

Trotzdem könnten die politischen Folgen des Todes von Néstor Kirchner enorm sein. Denn trotz guter Zustimmungswerte ist die Basis der Regierung alles andere als stabil. Die politische Elite, die im Dezember 2001 mit den Worten »sie sollen alle abhauen« des Landes verwiesen wurde, verließ nur die politische Bühne. Ihren Einfluß in den Apparaten gab sie jedoch nicht auf. Der Preis für die Reformpolitik der vergangenen sieben Jahre waren Bündnisse auch mit diesen Sektoren.

So finden sich in der sozialen Basis der Regierung neben Menschenrechtsorganisation wie den Müttern der Plaza de Mayo auch Teile der mafiösen Gewerkschaftsbürokratie, die während der 90er Jahre die Privatisierungspolitik der Regierung Carlos Menem offen billigte. Im Parlament ist die Regierung sowohl auf die Stimmen linker Parteien wie dem »Zusammenschluß für Demokratie und Gleichheit« des Lokalpolitikers Martín Sabatella sowie auf die Zustimmung des einflußreichen Provinzfürsten Daniel Scioli, der über die Provinz von Buenos Aires regiert, angewiesen. Kirchner verstand es wie kein anderer, die widersprechenden Interessen in einigermaßen stabile Bündnisse zu gießen. Sowohl Scioli als auch die Gewerkschaften bekräftigten in diesen Tagen jedoch die Präsidentin zu unterstützen.

Das Konfliktpotential solcher Allianzen brachte der Mord an dem trotzkistischen Aktivisten Mariano Ferreyra bei Protesten gegen ein Eisenbahnunternehmen vor etwa zwei Wochen zutage. Nach bisherigen Erkenntnissen gingen die Todesschüsse auf das Konto der Eiserbahnengewerkschaft (UF), die zumindest als regierungsnah gilt. Zwar verurteilte die Präsidentin den Mord unverzüglich und kündigte sofortige »Ermittlungen« an. Eine klare Ansage an die Gewerkschaftsspitzen, daß solche Cowboymethoden nicht akzeptiert werden können, blieb jedoch aus.

* Aus: junge Welt, 4. November 2010


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