Späte Strafe für Mord an Elisabeth Käsemann und anderen
Argentinisches Gericht verurteilte sieben Schergen der Militärdiktatur wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *
34 Jahre nach ihrer Ermordung in Argentinien hat ein Bundesgericht in Buenos Aires Elisabeth Käsemann Gerechtigkeit widerfahren lassen: Am Donnerstagabend (14. Juli) wurden sieben Peiniger der damals 30-jährigen Studentin verurteilt.
Sie hatte den Opfern der argentinischen Militärdiktatur ein Gesicht gegeben: Elisabeth Käsemann. Die Tochter des Tübinger Theologieprofessors Ernst Käsemann wurde nach ihrer Ermordung am 24. Mai 1977 in der damaligen BRD noch vor Klaus Zieschank zum bekanntesten Gesicht jener 30 000, die unter dem argentinischen Militärregime (1976-83) umgebracht wurden.
Lebenslänglich bekamen nun zwei ehemalige Offiziere, General Héctor Gamen (84) und Oberst Hugo Pascarelli (81). Fünf frühere Gefängniswärter des Folterlagers El Vesubio in dem Hauptstadtvorort Matanzas müssen Haftstrafen zwischen 18 und 22,5 Jahren verbüßen. Die sieben Angeklagten wurden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 156 Fällen verurteilt.
Einer entging buchstäblich in letzter Minute seiner Strafe: Pedro Durán Sáenz alias »Delta«, der Kommandant des berüchtigten Geheimlagers, eines von landesweit 600. Durán starb am 6. Juni im Alter von 76 Jahren.
Die Stuttgarter Historikerin Dorothee Weitbrecht sieht in dem Urteil eine »Rehabilitierung der Opfer und ein internationales Signal zur Wahrung der Menschenrechte«. Die Aufarbeitung der Diktatur bilde »das stabile gesellschaftliche und politische Fundament für die Zukunft Argentiniens«, meint Weitbrecht.
Der Vesubio-Prozess, der im Februar 2010 eröffnet worden war, endete mit einem Fest, zu dem mehrere lokale Rockbands aufspielten. Vor dem Gerichtsgebäude in der argentinischen Hauptstadt hatten linke Aktivisten, Studierende, Gewerkschafter und Mitglieder der Gruppe H.I.J.O.S., in der Kinder von während der argentinischen Militärdiktatur (1976-83) »Verschwundenen« organisiert sind, die Geschehnisse im Gerichtssaal über eine Großleinwand begleitet.
Drinnen fielen sich nach dem Urteil Überlebende und Angehörige in die Arme, 150 von ihnen hatten ausgesagt. »Es lebe das Vaterland«, schmetterte ein Verwandter der Verurteilten von den Rängen. Als Replik ertönten Sprechchöre: »Wie den Nazis geht's euch, seht – wir suchen euch, wohin ihr geht«, und: »30 000 Compañeros – sind da«.
So enthusiastisch das Urteil auch gefeiert wurde – der Vesubio-Prozess ist nur einer unter vielen, seit im Jahre 2005 der Oberste Gerichtshof die Aufhebung der Amnestiegesetze durch den 2010 verstorbenen Präsidenten Néstor Kirchner bestätigte.
In Südamerika betreibt Argentinien die Aufarbeitung der Diktaturvergangenheit am konsequentesten. Seit 2005 wurden 1755 Personen wegen politischer Verbrechen angeklagt, 191 von ihnen zu Haftstrafen verurteilt, nur 15 freigesprochen. Elisabeth Käsemann ist dort eher Eingeweihten bekannt – immerhin sollen mindestens mindestens 1500 linke Oppositionelle in El Vesubio gefoltert worden sein.
In der BRD der 70er Jahre jedoch verkörperte Käsemann die Lateinamerika-Begeisterung vieler junger Linker. Ab 1968 arbeitete sie in bolivianischen und argentinischen Armenvierteln. »Ich bin dabei, mich mit dem Schicksal dieses Kontinents zu identifizieren«, schrieb sie an ihre Eltern, »vielleicht wird das zu Entscheidungen führen, die Ihr nicht versteht oder die Euch viel Kummer bereiten könnten.«
Nach dem argentinischen Putsch im März 1976 half sie Verfolgten, außer Landes zu gelangen. Ein Jahr später wurde die sanfte Aktivistin verhaftet und wochenlang gefoltert. Rund eine Woche verbrachte sie in El Vesubio, auch als »Hölle« gefürchtet. In der Nacht zum 24. Mai wurde sie mit 15 Leidensgenossen verschleppt und ermordet, die Militärs gaben sie als gefallene »Terroristin« aus.
Der Prozess ist auch bemerkenswert, weil Deutschland als Nebenkläger auftrat. Es ist eine kleine Wiedergutmachung: Während andere Botschaften seinerzeit mit Erfolg auf die Freilassung ihrer Bürger drängten, blieben die bundesdeutschen Diplomaten trotz aller Appelle der Familie untätig. »Ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als Leben«, sagte Ernst Käsemann damals bitter.
Die Historikerin Weitbrecht hofft nun, dass das Auswärtige Amt mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Diplomatie in den 70er und 80er Jahren beginnt. Weitbrecht weiß, wovon sie spricht: Sie war die Patentochter Elisabeth Käsemanns. Im März 1977 erhielt die damals Zehnjährige eine Postkarte ihrer Tante aus Argentinien. Es war das letzte Lebenszeichen an die Familie.
* Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2011
Endlich Gerechtigkeit
Von Johannes Schulten **
Rund 2500 Menschen wurden im argentinischen Foltergefängnis »El Vesubio« gequält, mindestens 156 ermordet. Eine von ihnen war die deutsche Soziologin Elisabeth Käsemann. 34 Jahre versuchten Angehörige und Menschenrechtsgruppen, den Mord aufzuklären und scheiterten dabei genauso an den argentinischen Behörden wie am deutschen Auswärtigen Amt.
Am Donnerstag (14. Juli) hat nun ein Gericht in Buenos Aires die Schuldigen bestraft. Zwei ehemalige Lagerkommandanten wurden wegen Entführung, Folter, Vergewaltigung und Mord in 156 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Ansicht der Richter erfüllten die Vorwürfe gegen den 84jährigen Exgeneral Héctor Gamen und den 81jährigen ehemaligen Oberst Hugo Pascarelli den Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für den Oberkommandierenden von »El Vesubio«, den Exoberst Pedro Durán Sáenz, kam die Entscheidung zu spät, er war im Juni während des laufenden Verfahrens gestorben.
Die 1947 in Gelsenkirchen geborene Tochter des Tübinger Theologen Ernst Käsemann war während ihres Soziologiestudiums an der Freien Universität Berlin Ende der 60er Jahre nach Argentinien gekommen. Dort arbeitete sie als Entwicklungshelferin und war später im Widerstand gegen die im März 1976 durch einen Putsch an die Macht gekommenen Generäle aktiv. In der Nacht zum 8. März 1977 wurde sie vom argentinischen Militär gemeinsam mit ihrer britischen Kollegin Diana Austin verhaftet. Austin kam nach einigen Tagen wieder frei, die britische Botschaft hatte zügig interveniert. Nicht so die deutschen Behörden. Am 23. Mai 1977 wurde Elisabeth Käsemann gemeinsam mit 15 anderen Gefangenen an einen unbekannten Ort gebracht und erschossen.
»Die Behörden hätte wissen müssen, was die Gefangene nach ihrer Verhaftung erwartet«, sagt Wolfgang Kaleck gegenüber junge Welt. Der Rechtsanwalt ist Mitglied der »Koalition gegen Straflosigkeit« und begleitet den Fall Käsemann seit 1998 juristisch. Statt dessen wären nur einige Briefe geschrieben und zaghafte Gespräche geführt worden.
Die Anzeichen waren mehr als deutlich. Die Blutspur der argentinischen Militärs war bereits in den ersten neun Monaten unübersehbar. Tausende Kommunisten, Gewerkschafter, Christen und Studenten waren zum Zeitpunkt von Käsemanns Verhaftung ermordet worden oder in den über 300 Gefangenenlagern verschwunden.
Doch versagt habe nicht nur das Auswärtige Amt, sagt Kaleck, für alle Akteure in der damaligen Bundesregierung hätte der Fall keine Priorität gehabt. Ihr sei es nur um die »Sicherung der Wirtschaftsinteressen« von Siemens und Mercedes gegangen, die zu dieser Zeit viel im Land investierten.
Doch auch nach der Ermordung hätte die Familie Käsemann sich lange vergeblich um die Unterstützung des Auswärtigen Amts bei der Verfolgung der Täter bemüht, so die Grünen-Abgeordnete und Vorsitzende der Deutsch-Südamerikanischen Parlamentariergruppe, Ingrid Honlinger, in einer Pressemitteilung. Eine Änderung der Linie erfolgte erst in den 90er Jahren. Im aktuellen Prozeß trat die deutsche Regierung als Nebenkläger auf.
Die Nichte der Ermordeten, die Historikerin Dorothee Weitbrech, nahm das Urteil am Freitag (15. Juli) »mit Freude« auf. Nun wünsche sie sich, daß das Außenministerium sich daran orientiere und mit der »wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Diplomatie in den 70er und den 80er Jahren beginnt.«
** Aus: junge Welt, 16. Juli 2011
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