Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sieg für Indigene

Hungerstreik gegen die Armut in Argentiniens höchstgelegener Stadt beendet. Regierung verspricht Infrastrukturmaßnahmen

Von Timo Berger *

Am Wochenende wurde in La Quiaca in der Provinz Jujuy gefeiert. In Argentiniens höchstgelegener Stadt hatten Hunderte Ureinwohner einen spektakulären Hungerstreik erfolgreich beendet. Die argentinische Zentralregierung verpflichtete sich zuvor, den Ausbau der mangelhaften Infrastruktur der Kleinstadt mit etwa 14700 Einwohnern in Angriff zu nehmen und Arbeitsplätze zu schaffen. La Quiaca liegt auf mehr als 3400 Metern Höhe im kargen Puna-Hochland -- von der benachbarten bolivianischen Stadt Villazón trennt sie nur der Grenzfluß La Quiaca.

Forderungskatalog

Seit Montag vergangener Woche hatten 400 Ureinwohner, in der Mehrzahl Frauen, die Nahrungsaufnahme ausgesetzt, um auf die extreme Armut in der Region aufmerksam zu machen: Im vergangenen Jahr lag die Armutsrate in Argentinien im Durchschnitt bei 18 Prozent, in der Provinz Juyjuy stieg sie hingegen auf 30 Prozent. Organisiert wurde der Hungerstreik von einem »multisektoriellen« Bündnis aus Indigenenorganisationen und Basisgewerkschaften.

In einer Pressekonferenz hatte das Bündnis vor einer Woche seine Forderungen dargelegt. Verlangt werden die Zuteilung von Grundstücken für den Wohnungsbau, die Erhöhung von Sozialhilfen für arme Familien, Stipendien für den Schulbesuch, die Schaffung von Arbeitsplätzen in selbstverwalteten Kleinunternehmen und die Finanzierung der von den Basisorganisationen betriebenen Kantinen -- und das alles ohne die Vermittlung lokaler Autoritäten. Besonders der Bürgermeister, Daniel Suárez, steht in der Kritik des Bündnisses. Ihm wird Korruption und Gleichgültigkeit gegenüber dem Hunger vorgeworfen. Bezeichnenderweise wirbt die Homepage von La Quiaca mit idyllischen Fotos um Treckingtouristen, die Unterernährung der Bewohner bleibt unerwähnt.

Der argentinische Friedensnobelpreisträger von 1980 Adolfo Pérez Esquivel unterstützte den Hungerstreik. Den örtlichen und nationalen Behörden warf er in Interviews am vergangenen Dienstag vor, am Elend der verarmten Ureinwohner schuld zu sein. Sie müßten ihnen sofort Hilfe zukommen lassen. Die Proteste begannen dann mit einer Demonstration, die vom Priester von La Quiaca, Jesús Olmedo, angeführt wurde. Der Geistliche ist landesweit bekannt, weil er immer wieder auf die sozialen Probleme im mehrheitlich von Indigenen bewohnten Norden Argentiniens hingewiesen hat. Laut Olmedo sind besonders die Kinder der Gegend von der Armut betroffen. 50 Prozent von ihnen seien unterernährt. Im vergangenen Jahr hatte der Geistliche an zahlreichen Protestaktionen teilgenommen. Um Aufmerksamkeit zu erregen, hatten Demonstranten sich auf den Hügeln über La Quiaca symbolisch ans Kreuz schlagen lassen.

Doch weder diese Aktion noch zahlreiche Protestmärsche führten damals zu einer nachhaltigen Reaktion der Regierenden. Auch die Medien schwiegen das Thema tot, bis es zu Gewalt kam: Am 6. Juni 2008 ordneten die Behörden die Niederschlagung der Proteste an, nachdem Demonstranten La Quiacas Rathaus besetzt hatten. Die Fernsehnachrichten zeigten, wie Sondereinsatzkräfte der Provinzpolizei auf Frauen und Kinder einprügelten, Gaspatronen in Wohnhäuser feuerten und mit Gummigeschossen auf unbewaffnete Demonstranten zielten. In der Folge reisten Delegationen von Regierungsvertretern aus Buenos Aires in die Region. An den Mißständen änderte dies allerdings nichts.

Behörden lenken ein

Bei den diesjährigen Aktionen war das Ziel ganz klar. Das »multisektorielle« Bündnis wollte sich nicht mit vagen Zusagen abspeisen lassen. Jesús Olmedo hatte zu Beginn des Hungerstreiks angekündigt: »Wir sind bereit, bis zu den letzten Konsequenzen zu gehen. Sie müssen uns anhören, es kann nicht sein, daß ihre einzige Antwort - wie am 6. Juni - Knüppel sind«.

Allem Anschein nach haben die Behörden nun eingelenkt. Am Freitag mittag gingen die Vertreter der Protestierenden vor die Presse. Die argentinische Zentralregierung hat sich demnach verpflichtet, Gelder für den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung zu stellen sowie 300000 argentinische Peso (65000 Euro) für Löhne. Die Provinzverwaltung will weitere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unterstützen und ihre Sozialprogramme ausweiten. Eine kommunale Behörde nimmt am Februar die Durchführung der Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem sozialen Bündnis auf. Damit haben die Ureinwohner eine wichtige Hürde in Richtung größerer Selbstverwaltungsrechte genommen.

* Aus: junge Welt, 19. Januar 2009

Lesen Sie auch:

Argentiniens Indígenas begehren auf
Tausende Ureinwohner verlangten in Buenos Aires die Respektierung ihrer Rechte (23.05.2010)




Zurück zur Seite "Argentinien"

Zurück zur Homepage