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Verlassen auf der Halde

Das argentinische Dorf La Planta besteht aus hochgiftigem Abraum des Goldbergbaus

Von Antje Krüger, San Juan *

Nach dem Goldbergbau kommen das Elend und die Krankheiten. Die Bevölkerung in San Juan, einer Provinz im kargen Nordwesten Argentiniens, muss mit den Hinterlassenschaften des einstigen Goldrausches leben.

Monoton zieht sich die Landschaft dahin. Weiß bestaubtes Buschwerk streckt trockene Zweige in den Himmel, die Erde rund herum ist gerissen, als sollte sie Muster bekommen. In der Hitze erstirbt jeder Laut. Durch die Wüste San Juans im Nordwesten Argentiniens fährt selten ein Auto. Ab dem Abzweig Marayes, wenn es auf den nur als zwei Fahrspuren erkenntlichen Weg geht, kommt gar keines mehr. Die Fahrspur wirkt wie ein Phantasma. Sie führt nach La Planta, mitten im Nirgendwo. Knapp 40 Familien hausen hier. Ihre Häuser sind so rot wie die Erde, die sie umgibt.

»Wir haben die Ziegel aus der Erde gebrannt, die wir hier haben«, erklärt Doña Rosa. Die Erde ließ sich gut verarbeiten, erinnert sich die 60-Jährige. Cintia, ihre Nachbarin, nickt dazu. Kinder unterschiedlichsten Alters lehnen an ihren Beinen. Die Nachbarinnen stehen vor Doña Rosas Hütte im spärlichen Schatten eines Busches, an dem verblichene Käfige hängen, Blumenersatz in der Wüste, Hausgestaltung. »Wir hatten hier ja nichts, also nahmen wir das, was da war«, sagt Cintia.

Was da war, stinkt entsetzlich. Zu roten Hügeln aufgehäuft, liegt es auf dem flachen, kargen Land, ganz anders als die graue Steppe. Ein Fremdkörper in der Einöde. Es sind die übrig gebliebenen Halden einer ehemaligen Goldwaschanlage.

Die Provinz San Juan, 1000 Kilometer von Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires entfernt an die Anden und Chile gedrängt, ist das Grenzgebiet zwischen Argentiniens reichem Süden und dem armen Norden. Und sie ist seit Anfang des 19. Jahrhunderts zweierlei – Bergbau- und Weingebiet. Entlang der Flüsse, die den Gletschern der 6000 Meter hohen Berge entspringen, gedeihen die verschiedensten Weinsorten. Gleichzeitig werden abgelegen von Ortschaften und Oasen Gold, Silber, Kupfer, Blei, Zink und andere Metalle gefördert. Über viele Jahre schienen beide Wirtschaftsstränge problemlos nebeneinander existieren zu können. Doch beide benötigen eines: Wasser. Um den Rohstoff entbrennt heute ein heftiger Streit. Mehr als 100 Tagebaue sind in San Juan geplant, ihre Auswirkungen auf die Provinz und ihre Flüsse sind unabsehbar. Und Spätfolgen der Minentätigkeit prägen mittlerweile Land und Leute. Geisterstädte werden die ehemaligen Bergbausiedlungen genannt. Über 75 gibt es davon in Argentinien und mindestens fünf sind noch bewohnt, wie La Planta.

Außer Gold ist nichts gewesen

La Planta bedeutet nichts anderes als »die Fabrik«, und das war das Dorf auch einst. In den umliegenden Bergen von Marayes wurde ab 1935 Gold geschürft und in La Planta am Fluss gewaschen. Damals lebten gut 6000 Menschen rund um die Mine und die Waschanlage. Das Fabrikgebäude, heute eine Ruine, zeigt ursprünglich solide Arbeit. Die Reste, die noch stehen, verschärfen den Kontrast zu den umliegenden Hütten. Gerade gezogene Wände, gut verputzte Ziegel, grau, nicht haldenrot die Farbe. Die Fabrik stand am Flussufer. Mit Pumpen holte sie das Wasser für die Goldwäsche, ein kostenloser Rohstoff für die Fabrikanten.

Doña Rosa lebte hier schon, als die Mine noch in Betrieb war. Oder besser gesagt, sie lebte hier, weil die Mine funktionierte. Denn ohne Mine gibt es keinen Grund und kaum Lebensgrundlage in dieser Gegend. Der Fluss gab zwar das Wasser für ein wenig Ackerbau und Viehzucht, doch dieser Teil der Wüste jenseits aller Oasen ist unwirtlich. Er wurde nur interessant durch das Gold. »Damals gab es Arbeit. Mein Vater arbeitete dort. Zuerst war die Mine da drüben«, erinnert sie sich und zeigt Richtung Berge. »Da haben sie das Gold rausgeholt. Hier haben sie das nur aufgearbeitet, nichts weiter, also dieses Auswaschen, was sie mit der Erde so machen. Sonst nichts. Und dann haben sie es wegtransportiert. Ich weiß nicht wohin«, erzählt Doña Rosa. Sie ist sparsam mit Worten, merkt beim Erzählen, wie wenig sie eigentlich weiß davon, was La Planta ausmachte.

Solange es Gold gab, wurde selbst in die Wüste investiert. Durch Marayes, 1,5 Kilometer von La Planta entfernt, liefen einst Schienen. Die ehemalige Eisenbahnstation verband San Juan mit Córdoba. Von da aus war es nicht mehr weit bis zur Hauptstadt Buenos Aires mit ihrem Hafen und den Schiffen in alle Welt. Seit die Stollen vor 40 Jahren nichts mehr hergaben, vegetiert Marayes vor sich hin. La Planta dagegen schien vor 15 Jahren noch einmal einen Aufschwung zu erleben, doch der war flüchtig. Ein neuer chemischer Prozess machte es möglich, die Halden erneut zu waschen. Dieses Mal waren es nicht mehr Engländer, die das Gold holten. Dieses Mal kam die Firma aus Buenos Aires. Wie sie heißt? Doña Rosa und Cintia zucken mit den Achseln. Die Betreiber haben sich nie vorgestellt. Sie kamen, wuschen und dann … »Nichts weiter«, sagt Doña Rosa. »Nur wir sind hier geblieben. Die Besitzer haben alles eingepackt und sind abgefahren«, erklärt sie.

Reste von Arsen und Quecksilber

Das Gold wird mit Blausäure gewaschen, in den Halden lagern zudem Reste von Arsen und Quecksilber. Gesetzlich ist die Nachbereitung der Minen vorgesehen, doch weder von der Regierung noch von den ehemaligen Betreibern wurden die Halden entsorgt. Und die Bewohner von La Planta sind mittellos an Geld und Wissen, um sich zu wehren. Ihnen bleibt einzig die Beobachtung, und die schützt nicht vor Folgen. Omar, eine Mütze zum Schutz gegen die Sonne ins Gesicht gezogen, ist zu seinen beiden Nachbarinnen getreten. Ob ihm klar war, dass ihn die Erde vergiftet, aus der sein Haus ist und die hier noch immer bergeweise rumliegt? »Na, wir trinken ja nicht davon. Aber wenn es regnet und die Tiere davon trinken, dann sterben sie«, sagt Omar. Wenn die Erde feucht wird, stinkt sie noch mehr als heute. Und wenn der Wind weht, lassen sie die Kinder nicht raus zum Spielen. Aber Gefahr für sich selbst – nein. »Im Haus ist es nicht gefährlich, denn als wir die Ziegel brannten, haben wir sie ja mit Zement gemischt. Dadurch wird das überdeckt«, ist Cintia überzeugt.

La Plantas Halden gehören zum Dorfalltag dazu. Das große Übel wird gar nicht (mehr) wahrgenommen. Es sind andere Sorgen, die Cintia und Omar beschäftigen. Die Männer schlagen sich als Saisonarbeiter im Weinanbau durch. Seit 15 Tagen schon ist Omar mal wieder ohne Arbeit, die Weinlese noch lange nicht in Sicht. Die Frauen versuchen, die wenigen dürren Ziegen am Leben zu halten. Fast alle Bewohner haben Chaga, eine tödlich verlaufende Krankheit, die durch Insekten übertragen wird, die in den Strohdächern wohnen. Wie nebensächlich berichtet Cintia diesen Fakt. Und dann ein Schulterzucken – mehr passiert im Dorf nicht.

Nur wenn Fremde kommen, fürchten alle Gefahr. Die ehemaligen Arbeiter leben illegal hier, das Land gehört ihnen nicht. Und so wollten die drei Nachbarn zunächst auch gar nicht reden. Sie sind auf diesem Stückchen verseuchter Erde nur geduldet. Das Ergebnis: eine fatale Mischung aus Ohnmacht und Scheu, die so tief sitzt, dass La Plantas Bewohner nicht einmal auf die Idee kommen, selbst etwas zu versuchen. So warten sie darauf, dass etwas geschieht. Doch es dauerte Jahre, bis sich wenigstens die Provinzregierung ihrer annahm. Und auch das nur mit einem einzigen pompösen Akt. Im Jahr 2006 wurde eine Wasserleitung in La Planta eingeweiht. Ein einziger Hahn versorgt nun alle Familien von 18-23 Uhr mit Wasser, wenn es überhaupt fließt. Freitags kommt ein Arzt und an zwei Tagen der Woche ein Lehrer für die gut 100 Kinder.

Aus roter Erde wird giftiger Morast

Kinder und Gift sind das Einzige, woran es in La Planta nicht mangelt. Und nur die berüchtigten Sommergewitter bringen Abwechslung – keine schöne. Dann flüchten alle in die sogenannte Schule, neben der Fabrikruine das einzige feste Gebäude. Der Regen durchschlägt die Strohdächer, rinnt herab an roten Haldenwänden, und das Wasser, das in dieser Erde nirgendwo versickern kann, verwandelt die rote Erde in tiefen, stinkenden Morast. Und dann kommt keiner mehr nach La Planta rein. Und auch keiner mehr aus La Planta raus.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juli 2011


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