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Der Gletscher soll nicht wandern

Der Oberste Gerichtshof in Argentinien stärkt den Umweltschutz gegen die Interessen der Multis wie Barrick Gold

Von Antje Krüger *

Der Oberste Gerichtshof Argentiniens macht den Weg frei für die Umsetzung des Gletscherschutzgesetzes. Eine einstweilige Verfügung seitens des Bergbaus gegen das Gesetz wurde aufgehoben. Die Verabschiedung des Gesetzes 2010 war eine Sensation, weil es die Interessen von Bergbaukonzernen massiv beschneidet.

»Wenn eine Schicht von einem Millimeter Staub auf einem Gletscher liegt, kann dieser die Sonne nicht mehr richtig reflektieren und schmilzt um 15 Prozent schneller. Beim Bergbau sind zusätzlich zu Straßen, die über Gletscher gebaut werden, die Sprengung ganzer Berge eine der Hauptgefahrenquellen für das Eis«, erklärt Ricardo Vargas vom Umweltbüro San Guillermo. Seit über zehn Jahren setzt sich Vargas mit den Umwelteinflüssen des Bergbaus in seiner Heimatprovinz San Juan auseinander, einer der Regionen Argentiniens, die am stärksten den Goldabbau in den Anden fördern. Mitte Juli nun hatten Umweltaktivisten Grund zum Feiern. Der Oberste Gerichtshof hob eine von drei Bergbaugesellschaften, der Bergbaugewerkschaft sowie der Provinzregierung von San Juan durchgesetzte einstweilige Verfügung gegen das Gesetz zum Schutz der Gletscher und ihres peripheren Umfelds auf. Damit ist der Weg frei für eine Erfassung aller Gletscher des Landes, eine Evaluation der nahegelegenen Projekte und deren möglicher Unterbindung, sofern die Eismassen in Gefahr sind.

Das Gletschergesetz, mit dem 75 Prozent der gefrorenen Süßwasserreserven des Landes geschützt werden sollen, wurde im Herbst 2010 nach jahrelangem Ringen verabschiedet. Es unterbindet bei möglicher Gefahr jede schädliche Aktivität in Gletschernähe, seien es Bergbau- oder touristische Projekte. Gegen das Gesetz jedoch gab es eine solch starke Lobbyarbeit, dass ein früheres Veto der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner gar den Spitznamen »Veto Barrick« erhielt, benannt nach einem der mächtigsten Bergbaukonzerne der Welt, der Barrick Gold Corporation. Sie betreibt zwei Megaprojekte in San Juan, die Mine Veladero mitten im Biosphärenreservat San Guillermo und das binationale Projekt Pascua Lama an der Grenze zu Chile. Es sind die größten Bergbauinvestitionen in Argentinien.

Die Barrick Gold Corporation gehört zu den drei Gesellschaften, welche die einstweilige Verfügung bewirkt hatten. »Die Aktivitäten der Firma werden nicht auf Gletschern ausgeführt«, erklärte der Vizepräsident der Barrick Gold in Südamerika, Rodrigo Jiménez. Umso unerklärlicher ist der Widerstand gegen das Gesetz. »Wenn die Barrick Gold wirklich keine Gletscher gefährdet, hat sie auch keinen Grund, sich deren Untersuchung zu widersetzen«, sagt Daniel Filmus, Autor des Gletscherschutzgesetzes.

Dieser Widerspruch wurde nun zum Hauptargument des Obersten Gerichtshofes bei der Zurückweisung der einstweiligen Verfügung. Jetzt kann die Katalogisierung der Eismassen beginnen, wie sie das Gesetz vorsieht. In einem Jahr, hofft Filmus, sind diese Arbeiten abgeschlossen, so dass die Auswertung der Gefahren erfolgen kann. Konsequenzen sind wahrscheinlich, hatte die Barrick Gold doch zumindest für die Mine Pascua Lama sogar Gletscher versetzen wollen. Dieses Vorhaben betraf zwar die chilenische Seite des binationalen Projekts, auf der gut zwei Drittel des Tagebaus liegen, doch ist die Geografie der Hohen Anden die gleiche, die Grenze menschengemacht und die Nähe zu Gletschern schon in der Antragstellung des Projektes klar herausgearbeitet.

Der Oberste Gerichtshof Argentiniens hat sich durch Urteile, die dem Umweltschutz zuträglich sind, mehrfach hervorgetan. Die jetzige Entscheidung macht auch Ricardo Vargas Mut. Seit sieben Jahre läuft sein Verfahren gegen Barrick Gold. Er klagt vom Konzern die Zahlung der in Argentinien obligatorischen Umweltversicherung ein, die für die Projekte in San Juan nicht beglichen wurde. Im Mai hatte der Oberste Gerichtshof hierfür Stellungnahmen von der Provinzregierung und dem Staat eingefordert. Vargas hofft nun auf mehr Bewegung seiner Sache. Denn sind Gletscher gefährdet, kann sich auch niemand mehr gegenüber einer fehlenden Umweltversicherung blind stellen. Die Waagschale von Bergbau und Umweltschutz könnte sich dann zugunsten der Natur neigen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Juli 2012


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