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Von Freunden zu Feinden

Argentinien: Lange waren die großen Gewerkschaften verläßliche Partner der Regierung. Seit einigen Monaten streiken sie gegen Fernández de Kirchner

Von Fernando Krakowiak, Buenos Aires *

»Frau Präsidentin, wenn Sie sich zur Wiederwahl stellen, wie Männern und Frauen, die ihr Leben gaben, wie Perón, Eva und Néstor Kirchner, werden diese in Frieden ruhen. Sie wissen, daß ihre Arbeit fortgesetzt wird.« Zwei Expräsidenten und eine First Lady hatte Gewerkschaftsführer Hugo Moyano bemüht, um Cristina Fernández de Kirchner zu einer zweiten Kandidatur zu bewegen. Das war im August 2011. Ein knappes Jahr später hat sich Moyanos Ton gewandelt. »Mich stört die Art, wie die Dinge von oben herab entschieden werden«, tönte der Vorsitzende des peronistischen Gewerkschaftsverbandes CGT Ende Juni auf einer Massendemonstration im Zentrum von Buenos Aires. Und fügte hinzu: »Als ob es eine Diktatur wäre«.

Sechs Jahre war die CGT mit ihren gut drei Millionen Mitgliedern eine der wichtigsten Stützen der Regierung um Fernández de Kirchner und zuvor die ihres 2010 verstorbenen Ehemanns Néstor Kirchner. Nun ist das Verhältnis zerrüttet. Alle bisherigen Versuche der Regierung, den renitenten Gewerkschaftschef durch Bündnisse mit anderen CGT-Fraktionen abzusetzen, blieben erfolglos. Moyanos Machtbasis ist zu stark. Der 66jährige kontrolliert die Gewerkschaft der Lkw-Fahrer, eine der bestorganisierten Branchen im Land.

Beim Streit geht es um politischen Einfluß. Für die Wahlkampfunterstützung durch die CGT wollte Moyano Regierungsposten für seine Leute. Doch die Präsidentin setzte lieber Funktionäre aus ihren eigenen Reihen auf die Listen. Nach den Wahlen weigerte sich Fernández de Kirchner zudem, Lohnforderungen der Gewerkschaft zu erfüllen. Im Juni schließlich eskalierte der Konflikt: Tausende Lkw-Fahrer gingen in den Streik. Sie blockierten die wichtigsten Raffinerien des Landes. Es kam zu Treibstoffengpässen. Beide Seiten einigten sich zwar innerhalb weniger Tage. Doch Moyano hatte ein für allemal seine Mobilisierungskraft unter Beweis gestellt. Und er tat es wieder: Nur einige Tage später streikten die Lkw-Fahrer erneut für eine Anhebung der Bemessungsgrenze für die Einkommenssteuer. Von der Regierung gab es keine Reaktion.

Die CGT hat von jeher eine wichtige Rolle in der argentinischen Politik gespielt. Sie war der gewerkschaftliche Arm des von Juan Domingo Perón begründeten Peronismus – sogar als dessen Partei zwischen 1955 und 1973 verboten war. An diesem Selbstverständnis änderte sich auch nach dem Ende der Militärdiktatur 1983 nichts. Während der Präsidentschaft Raul Alfonsíns, einem Politiker der traditionsreichen Radikalen Bürgerunion, rief die CGT zu 13 Generalstreiks auf, trotz Alfonsíns zumindest im ersten Jahr fast sozialdemokratischen Kurses. Die Privatisierungspolitik des Peronisten Carlos Menem, der Alfonsín 1989 ablöste, unterstützte die Mehrheit der CGT-Gewerkschaften dagegen nahezu widerspruchslos. Moyano und seine Lkw-Fahrer waren in diesen Jahren eine der wenigen Gewerkschaften, die gegen Menem auf die Straße gingen.

Als Néstor Kirchner nach dem Staatsbankrott von 2001 mit dem neoliberalen Kurs der 90er Jahre brach, wurde Moyano einer seiner engsten Verbündeten. Die Allianz funktionierte prächtig. Die Gewerkschaften konnten regelmäßig zweistellige Lohnerhöhungen durchsetzen, Arbeitslosigkeit und Armut gingen stark zurück. Getragen wurde das Modell von den höchsten Wachstumsraten aller westlichen Länder.

Die sich abzeichnende wirtschaftliche Abkühlung hat diesen sozialpolitischen Spielraum der Regierung eingeschränkt. Im ersten Halbjahr 2012 blieb das Wachstum von drei Prozent weit hinter den acht Prozent des vergangenen Jahres zurück. Im Juni gab es sogar einen Rückgang von 0,5 Prozent verglichen zum Juni 2011. Für Moyano ist es daher Fernández de Kirchner, die das Bündnis mit den Gewerkschaften gebrochen hat. Um Widerstand gegen anstehende Einschnitte im Staatshaushalt zu vermeiden, suche sie die Allianz mit den weniger kämpferischen CGT-Strömungen. Tatsächlich sind es momentan vor allem die alten Gewerkschaftsführer der 90er Jahre, die die Politik der Regierung unterstützen.

Die wirft Moyano wiederum vor, politische Ziele zu verfolgen, anstatt die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten. Seit kurzem hat sich Moyano dem Gouverneur der Provinz Buenos Aires und einstigem Kirchner-Verbündeten Daniel Scioli angenähert. Scioli, der politisch rechts von der Präsidentin steht, gilt als einer ihrer schärfsten Rivalen um die Präsidentschaftswahlen 2015. Die Regierung mache nach wie vor Politik für die arbeitende Bevölkerung, sagt Innnenminister Florencio Randazzo. »Moyano ist nur Teil der Opposition geworden«.

* Unser Autor ist Wirtschaftsredakteur der argentinischen Tageszeitung página 12

Aus: junge Welt, Montag, 6. August 2012



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