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Argentiniens giftiges grünes Gold

Der lukrative Anbau von Gensoja bringt drastische ökologische und soziale Folgen mit sich

Von Bettina Hoyer *

Soja ist das grüne Gold Argentiniens, das Geld in die Kassen der Agrarindustrie und des Staates spült. Mit beträchtlichen ökologischen und sozialen Nebenwirkungen, denn Soja wird genverändert als Monokultur mit hohem Pestizideinsatz angebaut.

Auf rund 20 Millionen Hektar wächst in Argentinien genveränderte Soja - Tendenz steigend, denn damit lässt sich prächtig Geld verdienen. Eine Ausfuhrsteuer von 35 Prozent beschert auch dem Staat eine klingende Kasse. Die Felder werden meist mit einem Cocktail aus Agrochemikalien besprüht, gegen die das genveränderte Soja resistent ist. Hauptwirkstoff: Glyphosat. Der renommierte Embryologe Dr. Andrés Carrasco von der Universität Buenos Aires veröffentlichte 2010 eine Studie, in der er feststellt, dass Glyphosat zu schweren Missbildungen bei Embryonen führt, wenn diese mit Glyphosat in Kontakt kommen. Doch wer schlachtet schon gern das Huhn, das goldene Eier legt?

Von über 300 Millionen Litern Agrochemikalien, die in Argentinien jährlich versprüht werden, sind 200 Millionen Liter Glyphosat. Sie landen nicht nur auf den Feldern. Die Dörfer, die von den Sojafeldern umgeben sind, bekommen auch einiges ab. Der Wind trägt es hinüber. Oder der Pilot nimmt es eben nicht so genau. Auch Bewohner mittelgroßer Ortschaften klagen über »Verdauungsstörungen oder Atemwegsbeschwerden«, wenn die Flugzeuge unterwegs waren. »Das sind Symptome akuter Vergiftungserscheinungen«, konstatiert Carrasco im ND-Gespräch.

Bereits im Jahr 2005 kamen dem Wissenschaftler beunruhigende Informationen zu Ohren. Die Menschen berichteten, »dass es viele Fehlgeburten und Abgänge gab und es in den letzten Jahren immer mehr geworden seien, dass Missbildungen aufgetaucht sind, die es vorher so nicht gegeben habe. Sie begannen, sich Sorgen zu machen, dass es einen Zusammenhang mit den Agrochemikalien gibt.«

Carrasco und sein Forscherteam untersuchten die Auswirkungen von Glyphosat auf Embryonen von Hühnern und Fröschen - sowohl von reinem Glyphosat als auch von dem mit Zusatzstoffen ausgelieferten Breitbandherbizid Roundup vom Genmulti Monsanto. Den Zweifeln bezüglich der Übertragbarkeit seiner Ergebnisse auf den Menschen begegnet Carrasco mit dem Hinweis auf die Ähnlichkeit der frühen Embryonalentwicklung bei Wirbeltieren. Die Untersuchungsergebnisse wurden 2009 erstmals veröffentlicht. Herausgefunden hatten die Forscher, dass Glyphosat den Gehalt der Retinsäure im Embryo verändert. Die Folge sind entweder Missbildungen oder der Embryo hört auf zu wachsen. Terratogene Effekte nennt man diese Wirkung in den ersten Wochen der Embryonalentwicklung. »Mir erscheint es wichtig zu betonen, dass es möglicherweise andere Pestizide, Herbizide, Insektizide oder was weiß ich noch gibt, die denselben Mechanismus bewirken«, unterstreicht Carrasco.

Eine von der Regierung der Provinz Chaco eingesetzte Untersuchungskommission wertete die Krankenhausstatistiken der letzten Jahre aus. Sie kam im Jahr 2010 zu dem Schluss, dass die Zahl der Krebserkrankungen bei Kindern sich in der Stadt La Leonesa, wo die umliegenden Soja- und Reisfelder stark besprüht werden, von 2000 bis 2009 verdreifacht hat. In der Provinz Chaco, wo in riesigen Ausmaßen genveränderte Pflanzen angebaut werden, ist die Zahl von Geburtsfehlern insgesamt um fast das Vierfache angestiegen. »Wenn sich angesichts des Vorsichtsprinzips jemand hinsetzt und das untersucht, würden einige Agrochemikalien auf der Strecke bleiben, weil sie die Kontrollen nicht bestehen«, sagt Carrasco. Über den Agrochemikalien schwebe »ein Damoklesschwert«, aber man sei nicht bereit, die Klassifizierung zu ändern. Stattdessen werden die Ergebnisse von Carrascos Studie in Zweifel gezogen.

Ein nach Veröffentlichung seiner Studie vor Gericht beantragtes Verbot von Glyphosat wurde abgelehnt. 2009 wurde auf mehr als der Hälfte des argentinischen Ackerlandes - 19 Millionen Hektar - gentechnisch verändertes Soja der Marke Roundup Ready des US-Gengiganten Monsanto angebaut, das gegen Glyphosat und Roundup resistent ist. Würde Glyphosat verboten, so »könnten wir in Argentinien keine Landwirtschaft mehr betreiben«, hatte Guillermo Cal, Geschäftsführer der Handelsorganisation für Pflanzenschutzmittel, gegenüber der »Financial Times« erklärt. Auch Carrasco sagt, »dieses Landwirtschaftsmodell ist angewiesen auf Direktsaat, genverändertes Saatgut, Agrarchemikalien und Landkonzentration. Wenn ich nur einen Faktor davon aushebele, funktioniert das ganze Modell nicht mehr.«

Eine gesellschaftliche Debatte über Gensoja findet kaum statt. »Die öffentliche Debatte wird sehr gut blockiert, ob nun durch Unternehmen, Institutionen oder durch die Produktionssysteme«, erzählt Carrasco und redet sich in Rage: »Wenn die Sprühflugzeuge mit den Agrochemikalien über die Städte fliegen würden, würde diese Regierung schlichtweg umfallen. Die Städter fühlen sich nicht als Geschädigte.« Doch etwas anderes sei noch viel schlimmer: »Alle Welt weiß, während wir weitermachen, mehr Land verpachten, mehr Soja produzieren, werden wir noch mehr Geld haben. Der Bauer verpachtet sein Land für den Soja-Anbau an eine ausländische Firma. Er selbst geht in die Stadt. Dort lebt er in seinem Apartment und erhält jeden Monat einen Scheck. Verpachte 1000 Hektar Land und du kannst davon leben, ohne dafür einen Finger krumm zu machen.«

Von den Soja-Erlösen profitieren zwar nicht alle und schon gar nicht gleichermaßen. Dennoch trug der Soja-Boom dazu bei, dass der Staat Umverteilungspolitik machen konnte: Renten und Löhne seien gestiegen, das System der Krankenversicherung wurde verbessert, so Carrasco. Dünger für eine fruchtbare öffentliche Diskussion über die Nebenwirkungen des grünen Golds ist das freilich nicht.

* Aus: neues deutschland, 8. November 2011


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