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Fracking mit Chevron

Argentinien schließt Deal mit US-Ölmulti. Linke Opposition kritisiert Ausverkauf. Regierung von Cristina Fernández de Kirchner setzt auf Pragmatismus

Von Johannes Schulten *

Utopie und Pragmatismus liegen oft nicht weit auseinander. Im vorliegenden Fall sind es gerade einmal 14 Monate. Im Mai 2012 hatte die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner unter Beifall der rechten und linken Opposition das Ölunternehmen YPF nationalisiert und dessen Hauptaktionär, die spanische Repsol, aus dem Land geworfen. In der vergangenen Woche hat sie nun ein Abkommen mit dem US-Multi Chevron geschlossen. Der Ölkonzern will in Argentinien kräftig in die Schiefergas- und Schieferölförderung in der südlichen Provinz Neuquén investieren. Dummerweise ist die dafür angewendete Methode, das »Fracking« umweltpolitisch hochumstritten. Doch laut dem im US-Energieministerium angesiedelten Amt für Energiestatistik befinden sich auf der gut 400 Quadratkilometer großen Fläche die größten unkonventionellen Öl- und Gasreserven Lateinamerikas und die zweitgrößten der Welt.

Während sowohl die Linke als auch die rechte Opposition den Deal mit ­Chevron als Verrat kritisierte, bezeichnete die Regierung den Abschluß als »notwendig«, er sei ein »erster Schritt, um die Energiesouveränität des Landes wiederherzustellen«, so die Präsidentin Anfang vergangener Woche in einer Ansprache. Chevron werde gemeinsam mit der staatlichen YPF 1,5 Milliarden US-Dollar investieren. Bis 2014 sollen zunächst 100 Bohrlöcher niedergebracht werden, weitere 1500 Bohrungen sollen dann später die Förderung von 50000 Barrel (Faß; je 159 Liter) Öl und drei Millionen Kubikmeter Gas täglich ermöglichen.

Am Tag nach der Vereinbarung, am vergangenen Dienstag, besetzten Vertreter von Mapuche-Gemeinden aus Neuquén aus Protest zwei Bohrtürme. Der linke Ökonom und oppositionelle Parlamentsabgeordnete Claudio Lozano bezeichnete den Deal in Hinblick auf zu erwartende Umweltschäden als »verfassungswidrig« und forderte die Gerichte auf, diesen nachträglich zu verbieten.

Kritik kam auch vom Friedensnobelpreisträger Adolfo María Pérez Esquivel. Er beschuldigte die Regierung, die Ressourcen des Landes an die USA auszuliefern. YPF werde durch die Zusammenarbeit mit ­Chevron zu einem umweltschädlichen Unternehmen. Damit spielte er darauf an, daß die Öl- und Gasbestände in »vaca muerta« (tote Kuh), wie das Fördergebiet genannt wird, nur in einem technisch hochkomplizierten Verfahren abgebaut werden können. Beim Fracking werden Gas und Öl unter Einsatz von Wasser, Sand und Chemikalien mit hohem Druck aus dem Schiefergestein getrennt. Es gilt als relativ unstrittig, daß es dabei immer wieder zu Grundwasserverschmutzungen und anderen Umweltschäden kommt. Wenig beruhigend ist zudem, daß Chevron nicht als Unternehmen gilt, das dafür bekannt ist, sonderlich behutsam in Umweltfragen vorzugehen. In Ecuador wurde es im vergangenen Jahr wegen Umweltzerstörung zur Zahlung von 19 Milliarden US-Dollar Schadenersatz verurteilt.

Die Gefahren des Fracking werden von der Regierung, wie aber auch von breiten Teilen der Öffentlichkeit, wenig thematisiert. Die Präsidentin verspricht sich von dem Deal vielmehr eine starke Reduzierung der Energieimporte. Argentinien, ein Netto­energieimporteur, fördert seit Jahren zu wenig Öl und Gas, um seinen Verbrauch zu decken. 2011 wies die Energiebilanz ein Minus im Wert von drei Milliarden US-Dollar auf. Das war auch der Grund für die Enteignung der spanischen Repsol. Das Unternehmen hatte in den vergangenen zwölf Jahren die Investitionen in neue Quellen enorm heruntergefahren und gilt für die Regierung als verantwortlich für den Förderungsrückgang.

Die teuren Importe bedrohen zunehmend die Handelsbilanz des Landes. Ein Überschuß – er betrug 2011 noch 10,3 Milliarden US-Dollar – ist für Argentinien nach dem Staatsbankrott von 2001 überlebenswichtig. Seitdem Buenos Aires sich weigert, einen Großteil der privaten Gläubiger zu bedienen, bekommt es praktisch keine internationalen Kredite. Ob Sozialpolitik oder Subventionen, alles muß aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden.

Die Enteignung von Repsol war von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit einem finanzkräftigen Partner ausgelegt. Doch die Suche gestaltete sich schwieriger als erhofft. Keiner der großen Ölmultis war bereit, die hohen Investitionen zu tätigen. Auch die strikten Preis- und Exportkontrollen sowie die Sorge, bei Zuwiderhandlung das gleiche Schicksal wie Repsol zu erfahren, dürften die Investitionsbereitschaft nicht gesteigert haben. Um die Schieferöl- und Schiefergasbestände mit der Fracking-Methode alleine zu fördern, fehlt Argentinien sowohl das Know How als auch das Geld.

Die Regierung sah sich zu einer pragmatischen Lösung gezwungen. Und dafür war sie bereit, Zugeständnisse zu machen. 20 Prozent der von Chevron geförderten Menge darf der Multi steuerfrei auf dem Weltmarkt verkaufen. Zudem erlaubte die Regierung dem Unternehmen, die Währungsbeschränkungen im Lande zu umgehen. So muß der Konzern seine eingenommenen Petrodollars nicht mehr bei der argentinischen Zentralbank in Pesos umtauschen, einer Verpflichtung, der andere Unternehmen unterliegen.

Das Kalkül der Regierung liegt dabei vor allem auf der Kooperation und den daraus entstehenden Lerneffekten. Chevron »kommt nicht, um sich das Feld mitzunehmen, sondern um mit einem nationalen Unternehmen zusammenzuarbeiten«, erklärte Vize-Wirtschaftsminister Axel Kicillof im Radio. »Chevron stellt das Kapital, YPF stellt die Arbeiter, so lernen wir die Förderung von einer Firma, die Erfahrung mit nichtkonventionellen Rohstoffen hat.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Juli 2013


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