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Enteignung als Notfall

Zu teure Energieimporte: Argentinien verstaatlicht größten nationalen Ölproduzenten YPF und verärgert den Mutterkonzern Repsol sowie Spanien

Von Fernando Krakowiak, Buenos Aires *

Mit der Entscheidung, YPF, die Tochter des spanischen Ölriesen Repsol, zu enteignen, hat die argentinische Regierung für Schlagzeilen gesorgt. Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner begründete die Maßnahme in erster Linie mit der seit Jahren sinkenden Öl- und Gasproduktion des Unternehmens. »Es ist kein beispielloses Ereignis, wir sind das einzige Land in Lateinamerika, das seine natürlichen Ressourcen nicht selber verwaltet.« Repsol dagegen bewertete die Enteignung als »rechtswidrig und zutiefst diskriminierend«. Das Unternehmen fand sofort die Unterstützung der spanischen Regierung. Madrid forderte Argentinien auf, einen »angemessenen« Preis für den 51prozentigen Anteil an Repsol zu zahlen. Jenseits der juristischen Auseinandersetzung um die Entschädigung des spanischen Ölkonzerns hat dieser aktuell keinerlei Einfluß mehr bei YPF. Die Regierung stellte das Unternehmen am 16. April unter Staatskontrolle. Am 3. Mai wird der argentinische Kongreß voraussichtlich die Enteignung mit großer Mehrheit abnicken.

Mit der Verstaatlichung von YPF beginnt eine neue Etappe in der mehr als hundertjährigen Geschichte der argentinischen Ölindustrie. 1907 wurde in der La-Plata-Republik zum ersten Mal Öl gefunden. Knapp 15 Jahre später wurde mit Yacimientos Petrolíferos Fiscales (YPF) das staatliche Monopol zur Rohölproduktion gegründet. Es war weltweit das erste Mal, daß ein Staat sich direkt in das Ölgeschäft einmischte. So wurde YPF zu einem internationalen Vorbild für weitere Verstaatlichungen der Ölindustrie, besonders in Lateinamerika. Als Brasilien im Jahr 1953 Petrobras gründete, bezog sich die Regierung explizit auf das Beispiel aus dem Nachbarstaat.

Mit viel Licht und Schatten stellte YPF 70 Jahre lang die nationale Öl-Versorgung Argentiniens sicher. Das Ende kam mit dem »Gesetz zur Föderalisierung der Kohlenwasserstoffe«, das am 24. September 1992 vom argentinischen Senat auf Initiative der Regierung Carlos S. Menem (1989 bis 1999) verabschiedet wurde. Es übertrug die Hoheit über die Ölquellen vom Staat an die Provinzen. Ein Teil der öffentlichen Beteiligungen am Unternehmen wurde verkauft. 1999 sicherte sich Repsol die Kontrolle über YPF. Zwischen Januar und Juni erwarben die Spanier 97,8 Prozent der Anteile. Der Preis für ein Barrel Rohöl (Faß; 159 Liter) lag damals zwischen zehn und zwölf US-Dollar.

Seitdem konzentrierte sich der Konzern auf die Ausbeutung der existierenden Ölquellen und profitiert vom steigenden internationalen Ölpreis, der inzwischen auf mehr als 100 US-Dollar pro Barrel anwuchs. Die Gewinne schaffte Repsol freilich außer Landes. Sie bildeten die Voraussetzung für die folgende globale Expansion des Unternehmens. Mit Investitionen in den USA, Brasilien, Mexiko, der Karibik, Algerien und Libyen etablierte sich das Unternehmen zu einem der zehn größten Ölproduzenten der Welt.

Geld für die Erforschung neuer Lagerstätten und die Erweiterung der Produktion in Argentinien waren jedoch nicht mehr vorgesehen. Die Zahl der neuen Bohrungen pro Jahr fiel systematisch, was zu einem deutlichen Rückgang der Öl- und Gasproduktion führte. Offiziellen Angaben zufolge reduzierte sich die Rohölförderung zwischen 1998 und 2011 von 19,8 auf 11,3 Millionen Kubikmeter pro Jahr, ein Minus von 43 Prozent. Die Gasproduktion stieg zwischen 1998 und 2004 zwar noch von 13 auf 17 Millionen Kubikmeter. Als jedoch die noch während der staatlichen Phase erschlossenen Felder ausgebeutet waren, reduzierte sich die geförderte Menge auf 10,6 Millionen Kubikmeter. 1997 hatte YPF noch einen Anteil von 42 Prozent an der Öl- und 35 Prozent an der Gasproduktion Argentiniens. 2011 waren es 34 bzw. 23 Prozent.

Die Politik schien das kaum zu stören: Wie schon ihre Vorgängerinnen hatte auch die Regierung Christina Fernández de Kirchner keine Maßnahmen ergriffen, um YPF zu einer Änderung des Kurses zu bewegen. Das Unternehmen wurde nicht einmal öffentlich kritisiert.

Grund für das Umschwenken an der Staatsspitze war der massive Anstieg teurer Energieimporte im vergangenen Jahr. 2011 mußte Argentinien erstmals seit der Privatisierung von YPF in großem Maßstab Gas und Öl einführen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Nach einem Überschuß 2010 gab es im darauffolgenden Jahr ein Defizit von umgerechnet rund drei Milliarden US-Dollar. Die Regierung ist besorgt, daß ihre Handelsüberschüsse zunichte gemacht werden. Eine positive Handelsbilanz ist seit dem Staatsbankrott von 2001 aber von außerordentlicher Bedeutung für das Land. Weil die Regierung weitgehend von der Kreditaufnahme auf den internationalen Finanzmärkten ausgeschlossen ist, muß der Großteil der Staatsausgaben aus dem laufenden Haushalt gezahlt werden.

Beobachter sind sich einig, daß die große Herausforderung nun darin besteht, das Unternehmen effizient zu verwalten und private Partner zu finden, die die nötigen Investitionen mitbringen. Präsidentin Christina Fernández de Kirchner hat angekündigt, die Leitung von YPF zu professionalisieren. Als Vorbild dient die brasilianische Petrobras. Planungsminister Julio De Vido verhandelt momentan mit Ölmultis wie Total, Chevron, Exxon und Petrobras über gemeinsame Projekte. Die Erfolgsaussichten für mögliche Kooperationen gelten jedoch als beschränkt. Neben Zweifeln, das selbe Schicksal zu erfahren wie Repsol, dürften vor allem die geringen Renditeaussichten auf dem stark regulierten argentinischen Energiemarkt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen hemmen. Argentinien erhebt nicht nur vergleichsweise hohe Steuern auf Rohölexporte, die Regierung hält zudem die Kraftstoffpreise durch gesetzlich verfügte Obergrenzen unter dem regional üblichen Niveau.

* Aus: junge Welt, Montag, 30. April 2012


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