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Argentinien enteignet Ölkonzern YPF

Spanischer Konzern Repsol verliert Mehrheitsanteil / Diplomatische Verstimmung in Madrid

Von Andreas Knobloch *

Die argentinische Regierung möchte mit einer spektakulären Enteignung die Ölförderung vorantreiben - und bringt damit das finanziell angeschlagene Spanien gegen sich auf.

Nun ist es offiziell: Argentinien will den größten Ölkonzern im Lande teilweise verstaatlichen. Am Montagnachmittag legte die Regierung einen Gesetzentwurf vor, nach dem 51 Prozent der Anteile von YPF enteignet werden; bislang gehören dem spanischen Erdölriesen Repsol 57,4 Prozent. In einer Erklärung, die bei einem Treffen von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner mit ihren Ministern und Gouverneuren verlesen wurde, wird YPF zum »öffentlichen Versorgungsunternehmen« erklärt. Die verstaatlichten Anteile sollen zwischen der Zentralregierung und den erdölfördernden Provinzen aufgeteilt werden. Es handele sich um »eine Politik der Wiederherstellung von Souveränität«, heißt es in der Erklärung Kirchners. Im vergangenen Jahr habe Argentinien erstmals seit 17 Jahren Gas und Öl importieren müssen. Außerdem weise die Handelsbilanz für 2011 ein Milliardendefizit aus, wofür die Regierung vor allem die mangelnden Investitionen der Privatunternehmen in die Ausbeutung der Lagerstätten verantwortlich macht.

Über die Entscheidung war seit Wochen spekuliert worden. Das Thema hatte zu diplomatischen Spannungen zwischen Buenos Aires und Madrid geführt. Spaniens Industrieminister José Manuel Soria hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, seine Regierung werde die Interessen spanischer Unternehmen verteidigen. Dagegen versuchte Repsol-Präsident Antonio Brufau bis zuletzt, Spannungen abzubauen und die argentinische Regierung zu Verhandlungen zu bewegen.

Begonnen hatte der Streit mit der Entdeckung eines riesigen Öl- und Gasfeldes in der Provinz Neuquen durch Repsol-YPF im vergangenen November. Mit dem vermuteten Vorkommen könnte Argentinien laut Repsol zehn Jahre lang seinen Energiebedarf decken, doch müssten bis zu sieben Milliarden US-Dollar investiert werden. Das sei den Aktionären nicht zu vermitteln, ließ die Konzernspitze wissen. Die argentinische Regierung reagierte aufgebracht. Seit Januar entzogen sechs Provinzen Repsol-YPF Konzessionen für Öl- und Gasfelder. Begründet wurde dies mit fehlenden Investitionen. Die Aktien des Konzerns sind seither um gut ein Drittel eingebrochen. Einige Analysten mutmaßten, die Regierung wolle den »Marktwert« von YPF nach unten treiben, um zu einem günstigen Preis die Aktienmehrheit erwerben zu können. Tatsächlich wählt Buenos Aires nun den Gesetzesweg.

YPF (Yacimientos Petroliferos Fiscales - Staatliche Erdöllagerstätten) war in den 1920er Jahren gegründet worden, um die neu entdeckten argentinischen Ölvorkommen auszubeuten. Unter Präsident Juan Domingo Peron wurde der Konzern zu einer Stütze der nationalen Autarkiepolitik. Unter dem Firmenkürzel wurden Krankenhäuser, Straßen und Schulen gebaut. Im kollektiven Gedächtnis ist auch geblieben, dass YPF zeitweilig fast den gesamten Ölbedarf des Landes deckte. Anfang der 1990er Jahre setzte auf Druck von IWF und Weltbank der Prozess der Deregulierung und Privatisierung ein - 1998 kaufte Repsol die Mehrheit an dem Unternehmen. Kein Land der Region habe für so viel so wenig erhalten, schreibt Mario Wainfeld in der argentinischen Tageszeitung »Pagina 12«.

In den vergangenen Jahren ging die Regierung in Buenos Aires dazu über, ehemals privatisierte Unternehmen wieder zu verstaatlichen, darunter die Rentenversicherung, Wasserbetriebe und die Post. Nun wird auch die Energiepolitik korrigiert. »Das Problem war die Entnationalisierung«, sagte Präsidentin Kirchner am Montag. Nach dem Vorbild Venezuelas oder Brasiliens könnte bei Ölprojekten die technische Ausführung von privaten Unternehmen übernommen werden, aber Kontrolle der Förderung und Zuteilung von Ressourcen liegen in Staatshand. Kurzfristig jedoch ist die Teilverstaatlichung von YPF mit enormen Kosten verbunden - finanziell wie auch außenpolitisch.

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy berief noch am Montag eine Dringlichkeitssitzung seines Kabinetts ein. Die regierende Volkspartei (PP) kündigte eine »passende Antwort« auf die Verstaatlichung an. Wie die aussehen könnte, war zunächst unklar. Die spanische Regierung kann sich der Unterstützung durch die sozialistische Opposition, durch die Krone und Medien sicher sein. Argentinische Medien, vor allem die linke Presse, dagegen wittern »Neo-Kolonialismus«. Der Ton dürfte sich in den nächsten Tagen weiter verschärfen. Am Dienstag brach der spanische Ministerpräsident zu einer Reise nach Mexiko und Kolumbien auf, um sich in dem Konflikt Beistand in Lateinamerika zu sichern.

Repsol wiederum kündigte rechtliche Schritte an. Geplant ist eine Schadenersatzklage bei einem Schiedsgericht der Weltbank. Der Konzern fordert eine Entschädigung von acht Milliarden Dollar.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. April 2012


Lösung à la Venezuela

Von André Scheer **

Argentiniens Präsidentin greift zur venezolanischen Lösung und verstaatlicht die Mehrheit des nationalen Erdölkonzerns YPF. Am Dienstag hat der Senat in Buenos Aires begonnen, einen am Vortag von Cristina Fernández de Kirchner eingereichten Antrag zu beraten, 51 Prozent der YPF-Anteile zu enteignen und wieder in Staatseigentum zu überführen. Bereits am Montag hatten die Behörden die Leitung des Unternehmens unter ihre Kontrolle gestellt.

Betroffen von der Maßnahme ist in erster Linie der spanische Energiemulti Repsol. Dieser hatte sich bei der 1991 unter der damaligen argentinischen Regierung von Carlos Menem vollzogenen Privatisierung des bis dahin staatlichen YPF den Löwenanteil der Aktien gesichert und hielt zuletzt 57,43 Prozent der Anteile. Weitere gut 25 Prozent befinden sich derzeit im Eigentum der argentinischen Unternehmensgruppe Petersen, während 17 Prozent von wechselnden Besitzern an den Börsen gehandelt werden.

Die hinter der Präsidentin stehende Mehrheitsströmung im argentinischen Kongreß kündigte bereits ihre Unterstützung für den Regierungsantrag an und forderte dessen schnelle Verabschiedung. Die Opposition stellte sich zwar nicht offen gegen die Pläne, kündigte aber »Fragen« an. So erklärte die Senatorin María Eugenia Estenssoro, sie verstehe nicht, warum nur das spanische Unternehmen von der Enteignung betroffen sei, während die einheimische Petersen-Gruppe verschont werde, »obwohl sie kein Geld gibt und keine Erfahrung hat«.

Die Staatschefin kündigte an, daß YPF künftig durch die Regierung kontrolliert werden solle. Ein Viertel der Anteile solle die Zentralmacht halten, ein weiteres Viertel auf die Provinzen aufgeteilt werden. Das sei jedoch »keine Verstaatlichung«, erklärte die Präsidentin am Montag (Ortszeit) in einer über alle Rundfunk- und Fernsehsender des südamerikanischen Landes ausgestrahlten Ansprache, sondern eine »Rückgewinnung der Souveränität und Kontrolle des Landes über seine Bodenschätze«. Argentinien sei inzwischen das einzige Land Südamerikas, dessen Naturressourcen kein Staatseigentum seien. Den bisherigen YPF-Eigentümern warf sie vor, mangelhaft in das Unternehmen investiert und es zudem zu politischen Zwecken mißbraucht zu haben. So sei 2011, mitten im Präsidentschaftswahlkampf, plötzlich das Benzin knapp geworden. Ein Verzicht auf die Übernahme von YPF würde deshalb dazu führen, daß das Land unregierbar werde, so die Präsidentin.

Der spanische Außenminister José Manuel García Margallo reagierte mit heftigem Protest auf die Ankündigung und bestellte den argentinischen Botschafter ein. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso äußerte sich am Dienstag in Brüssel »sehr enttäuscht« über das Vorgehen und sorgte sich um das Vertrauen der Investoren. Eine für Donnerstag geplante bilaterale Beratung zwischen Buenos Aires und Brüssel wurde von der EU abgesagt.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez begrüßte hingegen in einer offiziellen Erklärung die Entscheidung Argentiniens und wies die »Drohungen und Einschüchterungsversuche aus Europa« zurück. Er rief die Länder Südamerikas auf, Buenos Aires bei der Durchsetzung seiner souveränen Rechte zu unterstützen. Man werde der argentinischen Regierung »alle technischen, operativen, juristischen und politischen Erfahrungen« des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA zur Verfügung stellen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. April 2012


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