"Der russische Geheimdienst kann sich gern dazu äußern"
Gespräch mit Gaby Weber. Über ihre Recherchen zur Eichmann-Entführung, die Unhaltbarkeit der Mossad-Version und darüber, daß möglicherweise der KGB seine Finger im Spiel hatte *
Die Journalistin Gaby Weber arbeitet in Buenos Aires und in Berlin. Seit Jahren befaßt sie sich mit Recherchen zur Eichmann-Entführung und zur Verwicklung von Mercedes Benz in die Menschenrechtsverletzungen der argentinischen Militärjunta.
Sie haben soeben ein Buch unter dem Titel veröffentlicht: »Eichmann wurde noch gebraucht«. Verraten Sie uns darin auch, von wem und wofür?
»Wofür« – also die Hintergründe – verrate ich schon. »Von wem« – da gibt es ein großes Durcheinander, und vieles ist noch offen. Klar ist nur, daß die offizielle Geschichtsschreibung – die des israelischen Geheimdienstes Mossad nämlich – falsch ist. Ich habe jahrelang Archive in Argentinien, Deutschland und den USA durchgeforstet, alles in meinem Buch durch Quellen belegt. Mir ging es erstens darum, die offizielle Darstellung zu widerlegen, mit der sich der Mossad rühmt, 1960 den Naziverbrecher Adolf Eichmann aus Buenos Aires entführt zu haben. Schon aus technischen Gründen wäre das gar nicht möglich gewesen – das Flugzeug, mit dem Eichmann nach Tel Aviv gebracht wurde, hatte nämlich gar nicht die Reichweite, um von Argentinien aus den Atlantik zu überqueren. Ich halte diese Darstellung auch deswegen für falsch, weil der Mossad 1960 zu einer solch komplexen Operation noch gar nicht in der Lage war. Und noch eins: Eichmann wurde am 11. Mai entführt – und traf am 21. Mai in Tel Aviv ein. Wo war er in diesen zehn Tagen? Die israelischen Darstellungen klammern diese Frage sorgsam aus.
Das Wichtigste sind mir aber die Rahmenbedingungen: Bundeskanzler Konrad Adenauer und Israels Staatspräsident David Ben Gurion hatten sich im März 1960 am Rande einer UN-Vollversammlung im New Yorker Hotel Astoria getroffen. Wie freigegebene Akten des Auswärtigen Amtes belegen, gab es einen Deal zwischen den beiden alten Männern, die »Operation Geschäftsfreund«: Israel verpflichtete sich, keine Kampagne dagegen zu führen, daß viele Naziverbrecher im Regierungsapparat der Bundesrepublik untergekommen waren. Und Geschäftsfreund Adenauer versprach im Gegenzug, Israel heimlich zwei Milliarden DM zu zahlen.
Das Geld wurde tatsächlich in mehreren Tranchen gezahlt – allerdings wurden die Überweisungen nach der für Adenauer völlig überraschenden Eichmann-Verhaftung erst einmal gestoppt. Die weiteren Zahlungen wurden an die Bedingung geknüpft, daß im Prozeß nichts zur Sprache kommt, was die Bundesregierung in Mißkredit gebracht hätte. Konkret ging es darum, ob Eichmann öffentlich vor Gericht über die Rolle des damaligen Staatssekretärs Hans Globke, der rechten Hand Adenauers, aussagen würde. Globke war nicht nur Kommentator der Nürnberger Rassengesetze von 1935, sondern auch Ministerialdirigent im Reichsinnenministerium, also in der Hierarchie deutlich über Eichmann. Er war auch, so heißt es in den BND-Dokumenten, persönlich für die Sterilisationen von Juden verantwortlich.
Die Bundesregierung hat also zwei Milliarden DM eingesetzt, um eine öffentliche Diskussion darüber zu verhindern, daß ihr faschistische Verbrecher angehören? Schweigegeld also?
Das kann man wohl so nennen. Auch das Auswärtige Amt, das im übrigen gegen den »Geschäftsfreund« war, schrieb, daß es sich bei diesem Deal um alles andere als um einen legalen zwischenstaatlichen Vertrag handle. Das Parlament war nicht informiert, der Finanzminister auch nicht, das Ganze war als »Kredit« deklariert, aber von Rückzahlung war nie die Rede.
Gab es beim Gesamtkomplex »Operation Eichmann« eine Zusammenarbeit zwischen dem US-Außenministerium, dem Bundesnachrichtendienst (BND) und der Bundesregierung?
Nein. Der BND hatte von Tuten und Blasen keinen blassen Schimmer. Und das meiste wurde ohnehin nicht geplant, sondern improvisiert – und zwar nach dem Unfall in Südargentinien, bei den US-Nuklearsprengungen. Aber dazu später.
Meine Recherchen deuten darauf hin, daß in dieser Sache zunächst ein oder mehrere osteuropäische Geheimdienste am Werk waren, mit Unterstützung linker Aktivisten und Angehörigen der jüdischen Gemeinde Argentiniens. Absicht war offenbar, die Entführung als Propagandacoup mit Blick auf den Pariser Abrüstungsgipfel zu inszenieren – der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow arbeitete damals auf ein frei gewähltes, entnazifiziertes und paktungebundenes Gesamtdeutschland hin.
Tatsache ist, daß Ben Gurion wegen seiner lukrativen Vereinbarung mit Adenauer überhaupt kein Interesse daran haben konnte, Eichmann entführen zu lassen. Offen ist noch, wie es dann doch dazu kam.
Hat ihm etwa sein eigener Geheimdienst dieses Ei ins Nest gelegt?
Darüber kann man nur spekulieren, solange keine näheren Fakten vorliegen. Es gibt aber noch einen weiteren Mitspieler, der bisher immer so getan hat, als habe er mit der Eichmann-Geschichte gar nichts zu tun: Washington. Die damaligen Atommächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion hatten sich im Oktober 1958 auf den Stopp aller Atombombenversuche geeinigt. Dieses Moratorium wollten die USA aber umgehen, weil damals geplant war, durch Mittelamerika, wahrscheinlich durch Nicaragua, einen Ersatz für den Panamakanal zu bauen. Dafür hätte man eine tiefe Rinne in die Felsen sprengen müssen – und das wollte man mit kleinen Atombomben machen, weil dies billiger gewesen wäre als mit herkömmlichem Sprengmaterial. Um diese neue Technologie zu testen, vereinbarten die USA mit Argentinien, in Südpatagonien Probesprengungen vorzunehmen – im Rahmen des bereits bestehenden »Projekts Plowshare« – »Pflugschar« auf deutsch. Auch die Argentinier waren Feuer und Flamme und hatten sich, mehr oder weniger, beschwatzen lassen – denn eigene Atomwaffen hatten sie ja nicht.
Diese Sprengungen fanden in der Tat statt, und unmittelbar danach erschütterte ein verheerendes Erdbeben den Süden Chiles – das heftigste, das jemals auf der Welt gemessen worden ist, mit 9,5 Einheiten auf der Richter-Skala. 1700 Menschen kamen ums Leben. Der anschließende Tsunami machte im Pazifikraum etwa zwei Millionen Menschen obdachlos. Über das Eintreffen der US-Bombenträger und die gemeinsamen Testversuche haben argentinische Zeitungen, Fernsehsender und Rundfunkstationen damals lang und breit berichtet – die USA mußten also fürchten, für den Bruch des Teststopp-Abkommens und die Auslösung des Erdbebens verantwortlich gemacht zu werden und versuchten, mit einer riesigen Mediengeschichte abzulenken. Da kam die Erklärung von Ben Gurion, daß Eichmann nach Israel entführt wurde, gerade richtig. Von der Verletzung des Moratoriums und einem Zusammenhang zwischen ihren Nukleartests in Patagonien und dem Erdbeben in Chile war anschließend keine Rede mehr.
Welche Beweise gibt es dafür, daß ein osteuropäischer Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte?
In Akten des US-Außenministeriums finden sich mehrere Einträge darüber, daß die Eichmann-Entführung eine Ostblock-Operation mit Blick auf die Pariser Konferenz war. Entsprechende Vermerke findet man auch in Unterlagen des BND. Ein Indiz könnte sein, daß der deutsche Emigrant und frühere KZ-Häftling Lothar Herrmann, der Eichmann in Buenos Aires auf die Spur kam, schon 1957 den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer informiert hatte. Ich kenne Herrmanns Familie in Buenos Aires und die Briefe, die er an das Justizministerium in Tel Aviv geschrieben hat, um die ausgelobte Belohnung von 10000 Dollar zu erhalten. In einem dieser Briefe heißt es, daß diese Operation ganz anders verlaufen sei als vorgesehen. Der Justizminister widersprach dem nicht, wollte aber nicht bezahlen. Hermann drohte, daß – wenn er das Geld nicht bekomme – er die Öffentlichkeit informieren würde. Seine 10000 Dollar hat er schließlich 1972 erst bekommen.
So richtig harte Beweise sind das aber nicht ...
Der russische Geheimdienst kann sich gern dazu äußern. Er tut es aber nicht.
Sie arbeiten als Journalistin hauptsächlich in Argentinien. Was hat überhaupt den Anstoß dazu gegeben, daß Sie sich mit dem Fall Eichmann beschäftigen?
Ich habe seit 1999 die Menschenrechtsverletzungen während der letzten Militärdiktatur in Argentinien recherchiert. Mir ging es dabei vor allem um die 14 verschwundenen Betriebsräte der argentinischen Mercedes-Benz-Werke. Dieser Betrieb war nach dem Zweiten Weltkrieg eine riesige Geldwaschanlage für Nazigelder aus Europa. Glücklicherweise wurde das Werk 1955, nach dem Putsch gegen General Perón, beschlagnahmt und die lokalen Manager verhaftet. Eine parlamentarische Untersuchungskommission wurde einberufen. Diese Unterlagen habe ich gefunden und ausgewertet. Nachdem die Wiedereröffnung der Fabrik beschlossene Sache war, wurde auch Adolf Eichmann angestellt, 1959. Aus Polizeiakten weiß ich, daß die eingereisten israelischen Agenten der argentinischen Polizei schnell aufgefallen sind, sie wurden fortlaufend observiert.
Mir fiel bei weiteren Recherchen auch auf, daß Eichmann in der argentinischen Naziszene relativ isoliert war, er soll sogar gute Kontakte zu jüdischen Familien gehabt haben. Ich habe viele deutsche Faschisten interviewt, die sich nach dem Krieg nach Argentinien geflüchtet hatten. Z.B. Wilfred von Oven, früher Pressesprecher von Propagandaminister Joseph Goebbels und eine zentrale Figur der Exilfaschisten. Den fragte ich, ob er nicht entsetzt gewesen war, als Eichmann entführt und hingerichtet wurde. »Nee, das sei ihm gegönnt«, sagte er.
Ein Vermerk des BND weist darauf hin, der Oberkommandierende der argentinischen Streitkräfte halte ihn für einen Doppelagenten des Mossad und des BND zugleich. Letzteres glaube ich allerdings nicht – die zu diesem Komplex zugänglichen BND-Akten sähen anders aus. Die Akten des Mossad sind immer noch geheim.
Noch mal zu Daimler-Benz. Welche Rolle spielte das Vorstandmitglied Hanns-Martin Schleyer?
Das NSDAP-Mitglied Schleyer war im Zweiten Weltkrieg im besetzten Prag für die Bereitstellung von Zwangsarbeitern zuständig. Sein Name taucht mehrfach in Akten über die erwähnten Geldwäsche-Operationen auf, er soll auch ein ordentliches Aktienpaket von Mercedes Benz gehabt haben. Im Archiv der IG Metall habe ich einen interessanten Aktenvermerk gefunden. Nachdem in Argentinien 1975 ein Manager entführt worden war, versicherte Schleyer dem damaligen Gewerkschaftsboß Eugen Loderer, er arbeite bei der Bekämpfung der Subversion Schulter an Schulter mit dem argentinischen Militär zusammen. Andere Akten deuten darauf hin, daß Schleyer im Gesamtkonzern für alles verantwortlich war, was mit den früheren Nazis zusammenhängt.
Wie sind Sie eigentlich an die Akten, Dossiers und Dokumente gekommen, die Sie ausgewertet haben?
Den BND mußte ich erst auf Akteneinsicht verklagen. Das deutsche Informationsfreiheitsgesetz hat die Geheimdienste ausdrücklich ausgenommen, mein Anwalt, Reiner Geulen, hat sich auf das Bundesarchivgesetz berufen. Danach müssen alle Akten, die älter als 30 Jahre sind, im Bundesarchiv landen. Der BND hält sich aber nicht daran.
Ich habe also einen Brief an den BND geschrieben mit der Bitte, mir alles zur Verfügung zu stellen, was er über Eichmann und die nukleare Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Argentinien und Israel besitze. Ich vermute, die haben sich erst einmal totgelacht. Dann hieß es: Jawohl, wir haben etwa 4500 Blatt dazu, worin genau das steht, was Sie wissen wollen – kriegen Sie aber nicht! Also habe ich das Bundesverwaltungsgericht eingeschaltet und den Prozeß gewonnen. Nach und nach habe ich die Akten bekommen, wobei viele Seiten immer noch geschwärzt sind oder ganz fehlen. Wahrscheinlich haben sich die BND-Leute vorher mit dem Mossad beraten, was herausgegeben werden kann. Etwa 100 Blatt sind noch gesperrt.
Sie erwähnten die nukleare Zusammenarbeit von Israel, Argentinien und der BRD. Worin bestand die?
Die Entwicklung der israelischen Atombombe ist von der BRD mit 630 Millionen DM finanziert worden. Das Auswärtige Amt hatte ja damals Bedenken gegen diese »Operation Geschäftsfreund« angemeldet – etwa, daß die Beziehungen zur arabischen Welt gefährdet werden, daß diese Länder aus Protest die DDR anerkennen könnten, daß es dazu nicht einmal einen Staatsvertrag gebe. Kein Finanzminister würde sein Okay dazu geben, der Bundestag erst recht nicht. Einschlägige Akten habe ich auch in Argentinien gefunden, die des militärischen Geheimdienstes sind mittlerweile zugänglich. Im August 2010 wollte ich zu Recherchen in der Nationalbibliothek in die USA fliegen, wurde aber erst gar nicht ins Land reingelassen, sondern mit der nächsten Maschine nach Berlin zurückgeschickt. Ohne Begründung.
Ich bin schließlich doch zu den Sachen gekommen – eine Freundin ist für mich in die Archive gegangen und hat mir die Dokumente zugemailt. Eichmann kommt darin zwar nicht vor, wohl habe ich aber vieles zur Operation »Plowshare« gefunden.
Haben Sie Ihre Recherchen mit Historikern diskutiert? Wie reagiert die Fachwelt darauf?
Es gibt richtige Historiker und es gibt Leute, die die Erklärungen des Mossad abschreiben und aus anderen Büchern das übernehmen, was ihnen in den Kram paßt. Ich bin mit einigen Wissenschaftlern in Kontakt, zu meinen neuen Recherchen wollen sie sich nicht äußern. Vielleicht wollen sie auch erst die Quellen überprüfen.
Sie halten also an der Mossad-Version fest?
Im Grunde ja. Und das ist schon enttäuschend, wenn Historiker einfach eine Geheimdienstversion als bare Münze nehmen, wobei doch jeder weiß, daß es zum Tagesgeschäft eines jeden Geheimdienstes gehört, zu lügen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Filme und Bücher zu dem Eichmann-Komplex, die drehen sich aber alle mehr oder weniger um den vom israelischen Geheimdienst vorgegebenen Plot. Leider schreiben Zeitgeschichtler, Historiker und Journalisten gerne ohne eigene Recherche, ohne den Versuch, Originaldokumente einzusehen, gegenseitig voneinander ab. Irgendwann glauben sie fest daran, daß das alles auch stimmt.
Wie reagieren die Medien, haben sie das aufgegriffen?
Bestenfalls in publizistischen Nischen wie in der jW. Auch der Deutschlandfunk hat darüber berichtet. Die großen Medien aber feiern die Eichmann-Saga immer noch als Heldentat des Mossad. Alles andere interessiert nicht – weder das Abkommen zwischen Gurion und Adenauer noch die Unstimmigkeiten bei der angeblichen Entführung, noch die Aktion »Plowshare«, noch der große Einfluß von Altnazis auf die Adenauer-Regierung. In einer kürzlich ausgestrahlten TV-Sendung »History« von Guido Knopp zum Eichmann-Prozeß wurde Globke nicht einmal erwähnt.
Das letzte Kapitel Ihres Buches befaßt sich mit den noch offenen Fragen. Welche wären das denn?
Zum Beispiel hätte ich gern Einblick in die Archive des KGB, des Geheimdienstes der ehemaligen Sowjetunion. Es ist auch immer noch unklar, wo Eichmann zwischen dem 11. und 21. Mai 1960 war. Wurde er anfänglich mit Wissen des KGB von argentinischen Linken entführt und ist dann in die Hände der argentinischen Polizei gefallen, die ihn an Israel weitergereicht hat? Dazu dürfte auch einiges in den Akten der CIA zu finden sein.
Ich verstehe nicht so recht, warum sich die osteuropäischen Archive in dieser Frage so bedeckt halten. Auch die israelische Zivilgesellschaft sollte sich dieses Themas annehmen – in Israel gibt es doch eine Menge kluger Köpfe. Ich verstehe nicht, warum sie es sich bieten lassen, von diesen historischen Informationen ausgeschlossen zu werden. Interessant wären natürlich auch die Archive des Mossad, der seine Version lautstark in die ganze Welt hinausposaunt aber seine eigenen Dokumente sorgsam geheim hält.
Interview: Peter Wolter
* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Mai 2012
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