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"Unwohlsein spürt man nicht"

Mit "Panteón Militar" kümmert sich die "Bibliothek des Widerstands" um die Beziehungen der BRD zur argentinischen Militärdiktatur 1976–1983

Von André Dahlmeyer *

Auch Band 9 der »Bibliothek des Widerstands«, herausgegeben vom Laika-Verlag in Kooperation mit junge Welt, beschäftigt sich mit dem »Kreuzzug gegen die Subversion« im Argentinien der letzten Militärdiktatur (1976–1983). Der große argentinische Schriftsteller und Historiker Osvaldo Bayer, seinerzeit im Exil in der Bundesrepublik Deutschland, leitet das Buch mit einem zum 30.Jahrestag des Militärputsches verfaßten Beitrags über die Folgen der Diktatur in Argentinien ein. Er berichtet von den Bücherverbrennungen, davon daß die »picana eléctrica«, die Elektrofolter, eine argentinische Erfindung sei, die bereits während der Militärdiktatur 1930 angewandt wurde. »Wer hat sie hergestellt? Wer hat sie verkauft?«

Auch das »Verschwindenlassen« von Personen, von dem man sagt, US-amerikanische Geheimdienste hätten es als Terrorinstrument »entwickelt«, schreibt Bayer seinen Landsleuten zu. Der Filmemacher Frieder Wagner merkt dazu jedoch in Band 8 der »Bibliothek« an, daß »diese Perversion eine deutsche Erfindung ist und von den Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien geflohen waren, den Militärs als Repressionsidee zur Verfügung gestellt worden« sei und beweist das mit dem sogenannten Nacht- und Nebelerlaß Hitlers, den Generalfeldmarschall Keitel im Dezember 1941 so beschreibt: »Es ist der lange erwogene Wille des Führers, daß in den besetzten Gebieten bei Angriffen gegen das Reich oder die Besatzungsmacht den Tätern mit anderen, abschreckenden Maßnahmen begegnet werden soll als bisher. Solche Täter sollen künftig heimlich nach Deutschland gebracht werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme liegt a) in dem spurlosen Verschwinden dieser Personen und b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf.«

Die immensen, illegalen Waffenlieferungen (Panzer, Maschinengewehre und Raketen zur »Partisanenbekämpfung«, U-Boote etc.) der bundesdeutschen »sozial-liberalen« Regierungskoalition (illegal deshalb, weil in Argentinien massiv Menschenrechte verletzt wurden und zudem allerorts ein Krieg mit Chile wegen des Konfliktes um den Beagle-Kanal befürchtet wurde) an die Militärs machten denen das Morden leicht: Mindestens 30000 Menschen »verschwanden« für immer. Doch das stand in einer langen Tradition. So war es der preußische Oberst Rauch, der die letzten »Indígenas« der Pampa ausrotten ließ, weil es sich bei denen, so der Oberst, um »Anarchisten« gehandelt habe. Die Massaker rechtfertigte Rauch mit der »Verteidigung des heiligen Rechtes des Privatbesitzes« der Latifundisten.

Von den »Sozis« der Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt hatten Menschen wie Bayer oder seine im eigenen Land eingeschlossenen Landsleute nichts zu erwarten. So erklärte der in der Arbeitsgruppe für Menschenrechtsfragen des Bundestages »engagierte« SPD-Abgeordnete Willfried Penner nach einer Argentinien-Reise seiner Gruppe in der Westfälischen Allgemeinen Zeitung: »Wirtschaftlich geht es Argentinien gut, sieht man von einer Jahresinflation von 900 Prozent ab. Es ist mehr die Mentalität der Menschen, die an baskische Anarchie und sizilianisches Mafiositum erinnert, offenbares Unwohlsein spürt man nicht. Man hat es dort zwar mit einem autoritären, aber nicht totalitären Regime zu tun. (…) Aber es wird dem Mann auf der Straße nicht zur Qual.«

Die zahlreichen Entführungen von Menschen mit deutschem Paß, über die die Bundesregierung, wie heute ohne jeden Zweifel erwiesen ist, informiert war, erwähnt er mit keinem Wort. Nicht mal mit deutschen Leichen kam das Auswärtige Amt zurecht: Den – wie es in Argentinien heißt – »Cadáver« der von den Militärs ermordeten Tübinger Pfarrerstochter Elisabeth Käsemann etwa mußten deren Eltern gegen die Zahlung von 28000 US-Dollar aus den Händen ihrer Mörder »freikaufen«.

Der ehemalige DDR-Geheimdienstmann Klaus Eichner plaudert in seinem Beitrag aus dem Nähkästchen. US-Geheimdienste, Rattenlinien, Dokumentendiebstahl des BND in Jerusalem während des Eichmann-Prozesses, Waffenlieferungen Adenauers an Israel (als Gegenleistung sollten in der BRD in Freiheit lebende Nazis nicht weiter belangt werden); ein Zeuge, der während des Priebke-Prozesses in Rom von einem Balkon fällt; die Colonia Dignidad des Siegburger Nazis und Kinderschänders Schäfer in Chile et cetera. An einigen Stellen wird es schwammig. Einmal ist Eichmann 1948 nach Argentinien gekommen, dann wieder 1950. Offenbar ist sich der Autor selbst nicht so sicher. General Perón übrigens hatte drei Amtszeiten, nicht zwei. Und bei den argentinischen Streitkräften und ihren Führungen, glaubt der Exgeheimdienstler, sei nicht immer alles schlecht gewesen. So lobt er ausgerechnet deren »demokratische Auffassungen der Treue zur geltenden Verfassung« und auch ihr Eintreten »für nationale Würde und Unabhängigkeit und nicht zuletzt für wirtschaftlichen Fortschritt bei mehr sozialer Gerechtigkeit«.

Wiederum Osvaldo Bayer ist es vorbehalten, solche bizarren Ansichten in der DVD zum Buch (90-Minuten-Film von Wolfgang Landgraeber) zurechtzurücken. Bayer nimmt sich den traditionellen Einfluß preußischen Militärs in Argentinien zur Brust. Bereits 1910 wurde die preußische Pickelhaube beim argentinischen Militär eingeführt (für die »Ausgeh- bzw. Paradeuniform«). Bayer beweist mittels akribisch vorgetragener Details, daß deutsche und argentinische Militärs schon immer »verschwippschwägert« waren. Nicht zuletzt schreiben die Argentinier die »Aufbauleistung« der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem deren »militärischen Geist« zu. Auf die Frage der Interviewerin: »Was bedeuten für Sie die Worte Vaterland, Fahne, Patriotismus?« gibt ein zackiger Soldat Auskunft: »Das Heer ist ein Reservoir dieser Werte. Das wurde vor allem im antisubversiven Kampf deutlich. Im Heer befand sich die moralische Reserve der Nation, d.h., alle Werte, die für die Tradition unseres Landes wichtig sind. Wir wurden von Spanien unter dem Zeichen Gottes, des Kreuzes und des Schwertes kolonisiert– so sind wir entstanden. Das kann man nicht verleugnen. (…) Gott ist das geistliche Reservoir für unser Heer, dem eine abendländische, christliche Tradi­tion zugrunde liegt.«

Außerdem bietet das Buch Beiträge zu Mercedes Benz Argentina, dessen Werksleitung bekanntlich mit der Militärdiktatur »kollaboriert« hat. Im Falle des Ende 1975 von der Stadtguerilla »Montoneros« entführten Produktionschefs Metz zahlte das Mutterhaus des Konzerns (als dieser nach zwei Monaten immer noch nicht tot ist) eine »Geldstrafe« (Lösegeld) von zwei Millionen US-Dollar – gab aber beim Fiskus 7,5 Millionen an, die das Finanzamt Stuttgart als »Betriebskosten« anerkannte. Später erklärte die Firma die Differenz von 5,5 Millionen gegenüber der Staatsanwaltschaft Nürnberg mit »weiteren Ausgaben«. Das seien »Flugtickets etc.« gewesen. Hat das Lösegeld am Ende der deutsche Steuerzahler berappt?

Willi Baer/Karl-Heinz Dellwo (Hg): Panteón Militar – Kreuzzug gegen die Subversion: Argentinien 1976–1983. Laika Verlag, Hamburg 2010, 152 Seiten, 19,90 Euro * Bibliothek des Widerstands, Mediabook 9 (inkl. 90-Minuten-DVD)

* Aus: junge Welt, 27. November 2010


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