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Daimler muss sich verantworten

Menschenrechtsverletzungen in Argentinien vor US-amerikanischem Gericht

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Der Daimler AG wird der Prozess gemacht. Der Konzern muss sich in den USA dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit der Militärdiktatur in Argentinien in den 70er Jahren stellen.

»Endlich!«, sagte der US-amerikanische Anwalt Terry Collingworth. »Jetzt muss das deutsche Unternehmen Rede und Antwort stehen.« Der Weg für eine zivilrechtliche Entschädigungsklage gegen Daimler wegen Tötung, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen an Mercedes-Benz-Arbeitern in Argentinien ist frei. Ein Berufungsgericht in San Francisco lehnte den Widerspruch von Daimler ab. Die Klage von 22 Argentiniern, die den Autokonzern für das Verschwindenlassen von mindestens 14 Betriebsräten der argentinischen Niederlassung des Unternehmens in den Jahren 1976 und 1977 zur Verantwortung ziehen wollen, ist zugelassen worden.

Mercedes-Benz Argentina habe damals unbequeme Arbeitervertreter in seinem Werk nahe González Catán in der Provinz Buenos Aires an die Militärdiktatur ausgeliefert, um einen Streik zu beenden, lautet der Vorwurf. Die Verhandlung vor einem Gericht in San Francisco könnte schon in einem Monat beginnen.

»Die Höhe der geforderten Entschädigung wird bei rund 200 Millionen Dollar liegen«, schätzt Eduardo Fachal, der 1976 und 1977 einige Monate Mitglied des Betriebsrats von Mercedes-Benz Argentina war. Überlebenden und Familienangehörigen der Opfer geht es jedoch vor allem um die Feststellung der Verantwortlichkeit für die Verbrechen. Im Falle einer Verurteilung Daimlers werden sie nur die Entschädigungssumme in Empfang nehmen, die ihnen nach argentinischer Rechtsauffassung zusteht. »Den Rest werden wir für den Bau eines Krankenhauses in González Catán spenden«, versichert Fachal.

Im Januar 2004 hatte Terry Collingsworth zusammen mit einem Kollegen die Klage in den USA eingereicht. Im August 2009 wurde sie von einem Bezirksgericht abgewiesen. Die Begründung: nicht zuständig. Das sahen die Richter am kalifornischen Berufungsgericht im Mai 2010 anders. Die USA und der Bundesstaat Kalifornien hätten in den fraglichen Jahren so viele in Argentinien montierte Daimler-Fahrzeuge importiert, dass der Autobauer in den USA vertreten war und demzufolge unter die US-Gerichtsbarkeit fällt, begründete das Gericht seine Entscheidung. Daimler legte umgehend Berufung ein, doch die wurde jetzt abgewiesen.

Die Entscheidung fußt auf einem Gesetz aus dem Jahr 1789, wonach in den USA vertretene Firmen auch für Vorkommnisse an ihren ausländischen Standorten verantwortlich sind. Daimler hatte durch seine Verkaufshäuser eine starke Verbindung nach Argentinien, erklärte Berufungsrichter Stephen Reinhardt im Mai 2010. Zudem müssten die Kläger schon zu lange auf eine Reaktion der argentinischen Justiz warten und es sei unklar, ob ein deutsches Gericht sich damit befassen wird.

Mercedes-Benz Argentina droht schwerer Ansehensverlust. Noch im September hatte das Unternehmen mit Pomp sein 60-jähriges Bestehen als älteste Daimler-Tochter im Ausland gefeiert. Jetzt könnte eine weitere Vorreiterrolle auf das Unternehmen zukommen - bei der juristischen Aufarbeitung mutmaßlicher Komplizenschaft ausländischer Konzerne mit der argentinischen Militärdiktatur.

* Aus: neues deutschland, 19. November 2011


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