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Alte Wunden aufgerissen

In Argentinien sprechen die Landwirtschaftsverbände und die Regierung wieder miteinander, nachdem sich die Spannungen erneut zugespitzt hatten

Von Nick Kaiser *

In der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires kam es am Dienstag zu einem mit Brisanz aufgeladenen Treffen. Erstmals seit dem Ende wochenlanger Auseinandersetzungen vor sieben Monaten sprachen Vertreter der argentinische Regierung und der einheimischen Landwirte wieder miteinander. Am dreistündigen Treffen nahmen seitens der Regierung Innenminister Florencio Randazzo, Produktionsministerin Débora Georgi und der Staatssekretär für Landwirtschaft Carlos Cheppi teil. Die vier großen Bauernverbände – Federación Agraria, Sociedad Rural, Coninagro und CRA – schickten ihre Präsidenten.

Das Gespräch fand wenige Stunden nach dem Ende eines fünftägigen Streiks am Dienstag mittag (Ortszeit) statt. 250000 Landwirte hatten mit Lieferstopps für niedrigere Exportsteuern wie für mehr Hilfe der Regierung nach der schlimmsten Dürre seit über 50 Jahren demonstriert.

Der Landwirtschaftssektor bestreitet etwa 40 Prozent der Exporte Argentiniens, die Ausfuhrabgaben auf Sojabohnen machen allein zehn Prozent der staatlichen Steuereinnahmen aus. Der seit fünf Monaten anhaltenden Dürre sind bisher etwa anderthalb Millionen Rinder, sowie unzählige Pflanzen zum Opfer gefallen. Argentinien, das vor sieben Jahren den Staatsbankrott erklären mußte, hat ohnehin große Schwierigkeiten, die in diesem Jahr fälligen Schulden in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar aufzubringen. Der Verlust der Einnahmen aus der Landwirtschaft könnte aus der Krise eine Katastrophe machen.

Im vergangenen Jahr hatte es einen 129tägigen Streik gegen die Resolution 125, einem Gesetz der Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, gegeben, das ein Staffelsystem der Ausfuhrsteuern für landwirtschaftliche Erzeugnisse vorsah. Dies bedeutete unter anderem eine Anhebung der Steuer auf Sojaexporte von 35 auf 44 Prozent. Ziel war die Finanzierung von Investitionen im Sozialbereich, sowie die Senkung der Lebensmittelpreise durch den Anreiz, Grundnahrungsmittel anzubauen. Die Bauernverbände riefen ab dem 11. März zu Lieferstopps auf. Im ganzen Land fanden Proteste statt, zum Teil auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Bauern und Regierungsanhängern. Im einst als »Kornspeicher der Welt« geltenden Argentinien, einer der weltweit größten Exporteure von Weizen, Soja, Rindfleisch und Mais, kam es zu Lebensmittelknappheit. Der Konflikt endete damit, daß Kirchner das Gesetz dem Parlament zur Abstimmung vorlegte. Der Senat kam nach einer 17stündigen Debatte am 17. Juli zu einem Ergebnis von 36 zu 36. Kirchners Vizepräsident Julio Cobos gab die entscheidende Stimme gegen die Resolution 125 ab und kippte damit das Gesetz. Präsidentin Kirchner büßte sowohl in der Bevölkerung als auch in ihrem politischen Bündnis »Frente para la Victoria« (Front für den Sieg) erheblich an Zustimmung ein. Die Voraussetzungen für die im Oktober bevorstehenden Parlamentswahlen könnten für sie bedeutend besser sein.

Beim Treffen am Dienstag (24. Feb.) wurde allerdings nicht mehr beschlossen als eine weitere Dialogrunde in der kommenden Woche. Es habe »teilweise Ergebnisse« gegeben, sagte Eduardo Buzzi, einer der Anführer der Landwirte. Der jüngste Streik war beschlossen worden, als das Treffen mit der Regierung bereits feststand. Er sollte der Präsidentin die Macht der Bauern vor Augen führen. Wahrscheinlich hatte sie den Hinweis nicht nötig.

* Aus: junge Welt, 26. Februar 2009


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