Argentinisches Gericht verurteilt Giftsprüher, aber milde
Bewährungsstrafen für den Einsatz von Agrochemie nahe Wohngebieten
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
In Argentinien hat die Justiz ein historisches
Urteil gesprochen. Im Prozess
um den Einsatz von Agrochemikalien
in unmittelbarer Nähe eines
Wohngebietes hat das Strafgericht
von Córdoba zwei Angeklagte zu jeweils
drei Jahren Gefängnis auf Bewährung
verurteilt, ein dritter Angeklagter
wurde freigesprochen.
Die historische Dimension war bereits
außerhalb des Justizgebäudes
sichtbar: Hunderte von Menschen
hielten seit Montagabend eine
Mahnwache und warteten auf das
Urteil der Richter, das im Verlaufe
des Dienstags bekannt gegeben
werden sollte.
Die Richter sahen es als erwiesen
an, dass einer von zwei angeklagten
Sojaproduzenten und der
Eigentümer eines Kleinflugzeugs
bei wiederholter Besprühung von
Feldern aus der Luft vorsätzlich
gegen gesetzliche Bestimmungen
für den Umgang mit gefährlichen
Stoffen verstoßen haben. Bei
Sprüheinsätzen in der Nähe des
Ortsteils Ituzaingó von Córdoba
wurden nachweislich das Herbizid
Glyphosat und das Insektizid Endosulfan
ausgebracht.
Der Prozess im zentralargentinischen
Córdoba war der erste
dieser Art in Lateinamerika, das
Urteil hat Signalwirkung weit über
Argentinien hinaus. Die Staatsanwaltschaft
hatte für die Verurteilten
vier- und dreijährige Gefängnisstrafen
ohne Bewährung beantragt.
Die Verteidigung plädierte
auf Mangel an Beweisen, zumal
der Einsatz von Glyphosat von den
Behörden freigegeben und die Anwendung
von Endosulfan erst seit
2011 verboten ist. Restbestände
dürfen sogar noch bis Juli 2013
aufgebraucht werden.
Dass der Prozess überhaupt
zustande kam, ist vor allem der
Hartnäckigkeit einer Gruppe von
Müttern aus dem Stadtteil Ituzaingó
zu verdanken. Untersuchungen
zufolge liegt die Krebsrate in Ituzaingó,
das von Sojafeldern umgeben
ist, deutlich über dem Landesdurchschnitt.
Die Mütter zeigten
sich indes enttäuscht von dem Urteil.
»Und wer gibt uns unsere an
Krebs gestorbenen Kinder zurück
«, rief eine Frau ins Mikrofon.
Sprecherin Maria Godoy sagte,
»Ohnmacht, reine Ohnmacht«, sei
das vorherrschende Gefühl unter
den Müttern. »Wir wollten, dass sie
ins Gefängnis kommen. Jetzt gehen
sie aus dem Gerichtssaal und
müssen ein paar Stunden gemeinnützige
Arbeit verrichten.«
Der Kläger Medardo Avila
sprach trotz der milden Strafen
von einem »historisches Urteil«.
Wichtig, so Avila, sei in erster Linie,
dass das Gericht eine Straftat
anerkannt und bestätigt hat. »Das
ist ab heute für ganz Argentinien
gültig.« Damit können die Betroffenen
überall bei solchen Vorfällen
die Polizei mit Hinweis auf eine
Straftat rufen und Anzeige erstatten.
2004 hatte die am Rand von
Ituzaingó lebende Sofía Gatica
erstmals Anzeige gegen den Einsatz
von Agrochemikalien in unmittelbarer
Nähe der Wohnhäuser
erstattet. Die folgenden Untersuchungen
belegten das Versprühen
einer Mischung mehrerer Chemikalien
auf den Feldern eines der
späteren Angeklagten. Doch die
Ermittlungen drohten im Sande zu
verlaufen.
2008 zeigte der Arzt Medardo
Avila, damals Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde
von Córdoba,
den unerlaubten Sprüheinsatz mit
einem Kleinflugzeug über Ituzaingó
an. Die Ermittlungen führten zu
den drei Angeklagten als mutmaßlich
Verantwortlichen. Dass es
tatsächlich zum Prozess kam, lag
auch an der Hartnäckigkeit der
Staatsanwaltschaft. Gegen hinhaltende
Widerstände innerhalb der
Justiz erreichte sie die Zusammenlegung
beider Anzeigen und
die Ansetzung des Strafprozesses.
Nach Aussage Avilas leben
rund zwölf Millionen Menschen in
Orten, die von riesigen Soja- und
Maisfeldern umgeben sind. Der
Einsatz von Agrarchemikalien sei
in Argentinien von 30 Millionen
Liter im Jahr 1990 auf 370 Millionen
Liter im Jahr 2011 gestiegen.
Davon sind knapp 70 Prozent Glyphosat.
Der Erfolg der argentinischen
Agrarwirtschaft beruht auf der Direktaussaat,
bei der genetisch verändertes
Saatgut unmittelbar in
den Boden gebracht wird, ohne die
Ackerfläche umzugraben. Die Anbaufläche
muss jedoch bis zu dreimal
pro Wachstumszyklus von
Unkraut befreit werden. Dafür
wird das Herbizid Glyphosat eingesetzt,
das alles vernichtet, gegen
das aber das genetisch veränderte
Soja-, Mais-, und Weizensaatgut
resistent ist. Der Mensch ist es
nicht.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 23. August 2012
Gericht spricht Giftsprüher schuldig
Argentinien: Sojaanbauer und Sprühflugzeugpilot wegen Körperverletzung mit Pestizid Glyphosat verurteilt **
Erstmals wird in Argentinien die Vergiftung von Menschen mit Pestiziden bestraft. Eine Strafkammer des obersten Gerichtshof der Provinz Córdoba verurteilte am Mittwoch den Soja-Anbauer Francisco Parra und den Piloten Edgardo Pancello wegen des Versprühens der Pestizide Glyphosat und Endosulfan über bewohntem Gebiet zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung und gemeinnütziger Arbeit. Ein dritter Angeklagter, ebenfalls Sojaproduzent, wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Dies teilte die Zukunftsstiftung Landwirtschaft am Donnerstag mit.
»Ein historisches Urteil«, kommentierte Sofía Gatica, eine der Klägerinnen, »doch daß die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, verspottet die Opfer.« Gatica kämpft zusammen mit anderen Müttern aus Ituzaingó Anexo, einem von Agrarflächen umgebenen Vorort der Provinzhauptstadt Córdoba, gegen das Versprühen von Pestiziden mit Flugzeugen. Nachdem sie selbst eine Tochter drei Tage nach deren Geburt wegen Nierenversagens verlor, hatte sie die Umwelterkrankungen in ihrem Viertel minutiös dokumentiert. Immer mehr Menschen klagen in den Sojaanbaugebieten Argentiniens über die Folgen des Pestizideinsatzes, der mittlerweile 370 Millionen Liter pro Jahr erreicht. Doch bisher deckt die Regierung das agroindustrielle Chemiekonzept. Sojaexporte nach Europa und China gehören zu den wichtigsten Deviseneinnahmen des Landes. Der Anbau hat sich durch den Einsatz von Gentechniksoja der Firma Monsanto, die gegen das Pestizid Roundup resistent ist, enorm ausgeweitet.
Schon Ende 2001 beginnt eine Gruppe von Mütter sich um die Gesundheit der Nachbarschaft Sorgen zu machen, als sie das auffällig häufige Auftreten von Erkrankungen, Fehlgeburten und Missbildungen bemerken. Seitdem kämpfen sie gegen das Versprühen von Pestiziden wie Monsantos Roundup (Glyphosat). Der massive öffentliche Druck der »Mütter von Ituzaingó« hatte nun erstmals bewirkt, daß am 11. Juni ein Gerichtsverfahren eröffnet wurde. (jW)
** Aus: junge Welt, Freitag, 24. August 2012
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