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Ehemalige Kolonie will Kolonialmacht retten

Viele Portugiesen verlassen ihr Land in Richtung Angola

Von Thomas Nitz *

Immer mehr Portugiesen suchen ihr Glück in der ehemaligen Kolonie Angola. Während Portugal erst im Mai mit einer 78 Milliarden Euro Finanzspritze von EU und IWF vor dem Staatsbankrott gerettet werden musste, beschert der Ölreichtum Angolas Wirtschaft zweistellige Wachstumsraten.

Noch 2006 wurden gerade einmal 156 Visa an Portugiesen ausgegeben. Jetzt zieht der wirtschaftliche Boom Angolas portugiesische Hochschulabsolventen und Fachkräfte in Scharen in die ehemalige Kolonie. Inzwischen haben sich 100 000 Portugiesen niedergelassen. Damit leben viermal so viele Portugiesen in Angola wie angolanische Immigranten in Portugal.

Ob Straßenbau, Telekommunikation, Energieversorgung oder Finanzwesen, nach 27 Jahren Bürgerkrieg ist der Nachholbedarf der angolanischen Wirtschaft in allen Branchen riesig. Überall werden Fachkräfte gebraucht, wenn möglich portugiesischsprachig. Aber nicht nur die Sprache macht es den Portugiesen leicht. Ein Ingenieur verdient heute in Angola im Schnitt dreimal so viel, wie sein Kollege in Portugal.

Vor allem die Bauwirtschaft boomt. Erst im Juni wurde am Rand der Hauptstadt Luanda der neue Stadtteil Kilamba feierlich von Staatspräsident José Eduardo dos Santos eröffnet. Finanziert wurde das größte »soziale« Wohnungsbauprojekt Afrikas von China. Nach Abschluss der Bauarbeiten 2012 sollen dort 120 000 Menschen wohnen.

Banken auf dem Wunschzettel

Das Bruttoinlandsprodukt des südwestafrikanischen Landes ist in den vergangenen sechs Jahren um mehr als 400 Prozent gewachsen. In Portugal hingegen schrumpft das BIP in diesem Jahr um 2,2 Prozent. Allerdings lag Angola nach dem Bürgerkrieg 2002 wirtschaftlich völlig am Boden, während Portugal trotz Krise zu den Industriestaaten zählt.

Doch die Schuldenkrise zwingt Portugal, Anteile an seinen Staatsunternehmen zu verkaufen. Angolas Präsident dos Santos verkündet, sein Land sei bereit, der ehemaligen Kolonialmacht zu helfen. Auf seinem Wunschzettel stehen die staatlichen Energieversorger Energias de Portugal und Galp, der Netzbetreiber REN und die ebenfalls staatliche Fluggesellschaft TAP. Angola stehen Devisenreserven von 24 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Auch auf die kriselnden portugiesischen Banken haben angolanische Investoren ein Auge geworfen. Noch dominiert Portugal den angolanischen Finanzsektor. Doch das könnte sich bald ändern. Angolas staatseigene Ölgesellschaft Sonangol besitzt bereits zwölf Prozent an Portugals größter Bank, der Millennium BCP.

Das hilft den Afrikanern, die erst 1975 von Portugal unabhängig wurden, zu neuem Selbstbewusstsein. Auf den Straßen Luandas erzählt man sich mit einem zwinkernden Auge, dass Portugal inzwischen eine Kolonie Angolas geworden sei.

Wer aber profitiert in Angola von diesem Erfolg? Die Investoren kommen zumeist aus dem Umfeld des seit 1979 regierenden Präsidenten. Dos Santos' älteste Tochter Isabel besitzt mit ihrer Banco BIC einen Anteil von fast zehn Prozent an Portugals Banco Portugues de Investimento. Zudem hat sie bereits für 40 Millionen US-Dollar Anteile an der Banco Português de Negócios gekauft und ist mit 58 Millionen US-Dollar an der Paribas Real Estate beteiligt.

Nur eine Minderheit profitiert

Der größte Teil der 19 Millionen Angolaner geht hingegen leer aus. Die Landbevölkerung drängt in die Küstenstädte und schlägt sich im Schatten der verglasten Banken- und Konzernfilialen als Straßenverkäufer oder Gelegenheitsarbeiter durch und lebt in armseligen Hütten oder heruntergekommenen Plattenbauten - oft ohne Strom und fließend Wasser. Mehr als die Hälfte muss mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen. Eine Mittelschicht konnte sich bis zum Ende des Bürgerkriegs kaum herausbilden. Entsprechend klein ist heute ihr Anteil an der Bevölkerung. Zwar drängt die Regierung die Konzerne, mit einheimischem Personal zu arbeiten, doch die Mehrheit ist unzureichend ausgebildet - auch als Folge des Bürgerkriegs. Und noch immer sind die Defizite im Bildungswesen gravierend: Weniger als zwei Drittel der Kinder im schulpflichtigen Alter gehen zur Schule. Davon kommen gerade einmal sechs Prozent über die 4. Klasse hinaus.

Die Elite Angolas gilt als eine der korruptesten der Welt. Ein Großteil der Gewinne aus der Ölförderung fließt direkt auf ausländische Bankkonten, aus der Staatskasse verschwindet jedes Jahr fast die Hälfte. Geld, das für eine nachhaltige Entwicklung und für Bildung dringend benötigt wird.

* Aus: neues deutschland, 6. Dezember 2011


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