Angola: Die Schwierigkeit, noch an Frieden zu glauben
Regierung und Guerilla halten das Land in ihrer Kriegslogik gefangen
Von Ruedi Küng, Luanda
Der Beitrag wurde von uns gekürzt.
...
... Ausser mir kannten sich alle. Ich war auch der
Einzige, der in diesem Appartement im zehnten Stock an der avenida 4 de
Fevereiro mit dem grossartigen Ausblick auf die Bucht von Luanda darüber
staunte, wie luxuriös es sich in Angola leben lässt und welche
kulinarischen Leckereien in diesem Kriegsland zu haben sind. Für die, die
es sich leisten können, und das sind nur wenige der etwa elf Millionen
AngolanerInnen. Fast die Hälfte davon lebt heute in der Hauptstadt Luanda.
Sie sind vor den nicht enden wollenden Kriegswirren hierher geflüchtet und
leben zusammengepfercht in Slums oder in Vertriebenenlagern ausserhalb
der Stadt, ohne Strom und Wasser. 1970 wohnte in Luanda nur eine halbe
Million Menschen.
Immerhin lernte ich am Empfang Laurinda Hoygaard kennen,
Ökonomieprofessorin und Rektorin der hauptstädtischen Universität, die
nach Agostinho Neto, dem Gründer und historischen Führer der heutigen
Regierungspartei, benannt wurde. Sie stieß mit ihren Bekannten auf den
«Sieg» an, den «Sieg von Gesetz und Recht, von Gerechtigkeit und
Demokratie». Ich verstand kein Wort, und da der Empfang nicht der
geeignete Ort dafür war, einen Fremdling in die politischen Verhältnisse
des Landes einzuweihen, vereinbarten wir einen Gesprächstermin in ein
paar Tagen.
...
Toparmee dank Erdöl und Diamanten ...
Spätabends, bei der Heimkehr vom schicken Miami-Club am Atlantikufer,
in dem sich Angolas «jeunesse dorée» trifft, kommt vom Hafen her ein mit
einem Panzer beladener Tieflader der Armee. Die Kriegsmaschine braucht
Nachschub, und über Geld dafür verfügt die Regierung des Movimento
Popular de Libertaçăo de Angola (MPLA) von Eduardo Dos Santos im
Übermass. Angola verfügt über enorme Erdölvorkommen, für dessen
Förderung sind die namhaften Erdölmultis besorgt. Rund 800.000 Fass
werden heute täglich produziert, schon in zwei Jahren sollen es 1,4
Millionen sein. Neue Offshore-Erdölfelder, so genannte Blocks, werden den
Multis für fantastische Summen zur Exploration und Ausbeutung
angeboten, wobei für die letzten mit Nummern 31 bis 34, die bereits im
ultratiefen Meeresbereich liegen, eine Milliarde Dollar bezahlt worden sein
soll. Weil Bohrinseln dort nicht mehr verankert werden können, setzt
Total-Fina-Elf das derzeit modernste Förderschiff ein. Auch mit dem
Verkauf von Diamanten wird die Staatskasse reichlich gefüllt. Die Qualität
der Steine ist so gefragt, dass die Regierung den Streit mit De Beers nicht
scheute und Lev Levievs russisch-israelische Konkurrenzgruppe
willkommen hieß, die im Diamantenmarkt eine bedeutende Stellung
erobert hat.
Mit dem Geldsegen finanziert die Führungselite des Landes aber nicht nur
eine der bestausgerüsteten Armeen auf dem Kontinent, sie bereichert sich
damit auch schamlos selber. Um die weitgehende Zerstörung des Landes
dagegen kümmert sie sich kaum, und für das desolate Gesundheitswesen
hat sie gerade mal ein paar Dollar pro Kopf und Jahr übrig. Der Gegensatz
zwischen dem Reichtum der Machthaber und den erbärmlichen
Lebensverhältnissen der Bevölkerung ist so krass, dass die internationalen
humanitären Organisationen, denen die Regierung die Versorgung von
hunderttausenden Vertriebener mit Nahrung und medizinischen Diensten
aufbürdet, dagegen protestierten. ...
... Kein Geld für Nahrungsmittelhilfe
Eigentlich müsste dieser Druck so weit gehen, die Regierung vom
Kriegskurs abzubringen. Denn auch mit ihrem ganzen Waffenarsenal
gelingt es der Regierungsarmee nicht, die Uniăo para a Independęncia
Total de Angola, Unita, unter Kontrolle zu halten, geschweige denn zu
besiegen. Im Gegenteil: Jonas Savimbis Unita schlägt überall im Land zu,
auch unweit der Hauptstadt. Anfang Mai griffen Unita-Kämpfer die sechzig
Kilometer von Luanda entfernte Ortschaft Caxito an. Sie überrumpelten die
Armeestellungen, drangen in die Stadt ein und schossen auf alles, was
sich bewegte. Dabei wurden vor allem Zivilpersonen getötet. Laut
Augenzeugen sollen sie die in der Stadt anwesenden weißen Ausländer
in ein Gebäude beordert und ihnen versichert haben, dass ihnen nichts
geschehe. Als die Unita-Soldaten wieder abzogen, nahmen sie sechzig
Kinder eines Kinderheimes mit. Diese mussten Lebensmittel und anderes
Plünderungsgut tragen.
Dieses Vorgehen ist fast alltäglich geworden. Der als Kriegsverbrecher
geächtete Unita-Chef Savimbi hat seine bewaffneten Verbände auf die
Guerillataktik von «hit and run»-Aktionen verpflichtet. Die Zeiten der
grossen bewaffneten Konfrontationen mit den Streitkräften der Regierung
sind vorbei, seit diese die Unita aus Andulo und Bailundo, den letzten
Städten, die sie noch hielt, vertrieben haben. Das deutet darauf hin, dass
die von der Uno verhängten Sanktionen gegen die Unita eine gewisse
Wirkung zeigen und deren militärische Schlagkraft vermindert haben. Die
Unita-Propaganda jedenfalls schmäht die Sanktionen als widerrechtlich
und fordert deren sofortige Aufhebung, sonst sei an Frieden nicht zu
denken. Zwar geht der nun illegale Handel mit Unita-Diamanten weiter,
doch der frühere Milliardenerlös ist auf schätzungsweise 100 Millionen
Dollar pro Jahr dezimiert. Der Waffennachschub ist erschwert, da die Unita
über keine grossen Landepisten mehr verfügt. Das immer ruchlosere
Vorgehen der Unita-Kämpfer auch gegen die Zivilbevölkerung könnte
Ausdruck der Verärgerung Savimbis über die Sanktionen und die
internationale Ächtung sein.
«Hit and run» gegen die Zivilbevölkerung
Heftige Proteste im Ausland gegen die krassen
Menschenrechtsverletzungen der Unita zeigen zwar noch eine gewisse
Wirkung. So erklärte ein Unita-Sprecher nach der Entführung der Kinder
aus dem Heim in Caxito, diese seien dort zwangsweise festgehalten
worden, und die Unita habe sie befreit, um sie zu ihren Familien
zurückzubringen. Als die Proteste aber nicht nachliessen, übergab die
Unita die Kinder schliesslich einer Missionsstation in Camabatela, 450
Kilometer nordöstlich von Luanda. Doch Anfang August liess die Unita
einen mit 500 Passagieren voll besetzten Zug durch eine Mine hochgehen.
Mitgeführte Treibstoffwagen explodierten, die Komposition geriet in Brand,
und viele Opfer verbrannten. Andere seien von heranstürmenden
Bewaffneten erschossen worden. Die Unita bekannte sich zum Angriff,
deklarierte den Zug als militärischen Transport und legitimes Angriffsziel
und bezeichnete die von der Regierung angegebenen Zahlen von 250 Toten
und 150 Verletzten als propagandistische Übertreibung.
Das Drama der Menschen Angolas ist es, dass ihr Schicksal beiden
Kriegsparteien, der Regierung wie der Unita, völlig egal ist. «Die Unita greift
an, plündert und entführt», sagt ein Missionar, der sein halbes Leben in
Angola verbracht hat, «und die Regierungssoldaten tun dasselbe.» Denn
diese verdächtigen die Menschen in den Dörfern, die Unita-Kämpfer mit
Nahrung und wichtigen Informationen zu unterstützen. ...
Viele Städte aber sind zerstört oder genauer zu Stadtgerippen
zerschossen - wie zum Beispiel Huambo, wegen ihrer Schönheit von den
Portugiesen einst Nova Lisboa genannt. Kaum eine Villa entlang den
baumbestandenen Strassen hat nicht einen klaffenden Einschuss ...
Strom gibt es keinen, und auch die Wasserversorgung funktioniert nicht.
Dennoch leben in fast allen diesen Häusern Menschen; die Löcher haben
sie behelfsmässig abgedeckt und fehlende Fensterscheiben mit Holz,
Wellblech oder Plastik ersetzt. Nachts kann es hier auf der Hochebene
empfindlich kalt werden.
Dankbar für das Wenige
Am Morgen sitzen unzählige Frauen und ältere Männer dicht gedrängt am
Boden vor dem leeren Gebäude einer einstigen Getreidemühle und warten
geduldig darauf, bis sie von den Mitarbeitern des IKRK ein Stück Seife
entgegennehmen dürfen. Viele Gesichter sind mit den tiefen Furchen des
hohen Alters gezeichnet, das man in Angola schon mit etwa fünfzig Jahren
erreicht, doch alle strahlen Zufriedenheit aus. Wie ist das möglich, frage
ich mich, ein Leben in Huambo muss doch schrecklich sein? ... Doch die Antworten auf
meine Frage sind alle gleich: Es gehe gut, sie hätten zu essen, und dank
der Seife könnten sie die Krätze vermeiden. Das alles würden sie dem
Roten Kreuz verdanken. Die Erfahrung wiederholt sich immer wieder - statt
über die miserablen Lebensumstände zu jammern, statt zu schimpfen über
die Ungerechtigkeit des Schicksals, sind die Menschen in Angola dankbar
für das wenige, das sie erhalten. Der 18-jährige Antonio Pasqual, dem eine
Landmine ein Bein zerfetzt hat, strahlt auf meine Frage, wie das Leben für
ihn jetzt sei: Mit der Prothese vom Roten Kreuz sei alles wieder «o. k.», er
könne problemlos ohne Krücken gehen, er spiele auch Fussball - zum
Beweis beginnt er herumzuhüpfen.
Ob sie Hoffnung auf Frieden hätten, ist eine andere Frage, die ich den
Menschen stelle. Und auch darauf erhalte ich überraschende Antworten.
Ja, alle Leute in Angola würden sich nach Frieden sehnen, alle wollten sie
Frieden. Jetzt müssten sich die Politiker dessen noch klar werden. Frieden
sei möglich. ... Neben den Kirchen sind andere Gruppen und
Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv geworden und arbeiten an einem
Ausweg aus der «bipolaren Situation». Gemeint ist der fatale Umstand,
dass bisherige Friedensabkommen einzig die MPLA-Regierung und die
Unita einbezogen. Es fällt allerdings schwer, angesichts der erdrückenden
Kriegsrealität diese Friedenshoffnungen zu teilen.
Doch auch Laurinda Hoygaard, die Ökonomieprofessorin, die ich am
Empfang kennen gelernt hatte und die ich jetzt in ihrem Büro in Luanda
treffe, ist vorsichtig optimistisch. Sie nimmt ein Erstarken der
Zivilgesellschaft wahr und führt ihre eigene Erfahrung als Hauptargument
an. Die für hiesige Verhältnisse relativ kritische Rektorin der staatlichen
Universität war vom Erziehungsminister wegen angeblicher
«Unregelmäßigkeiten» kurzfristig abgesetzt worden. Die Rektorin focht
das Vorgehen des Ministers vor dem höchsten Gericht an. Dieses erklärte
schliesslich dessen Anschuldigungen für null und nichtig, die
Entlassungsverfügung für gegenstandslos und hielt obendrein dem Minister
noch Amtsanmassung vor, da die Anstellung oder Entlassung der Rektorin
gar nicht in seinen Kompetenzen liegt.
Dieses Urteil sei ein «Sieg von Gesetz und Recht, von Gerechtigkeit und
Demokratie», sagt Laurinda Hoygaard - ein gesellschaftliches Erdbeben in
Angola, dessen Bedeutung Außenstehende wohl nicht ermessen
könnten. So etwas habe es in der Geschichte Angolas noch nie gegeben,
schließt sie und überreicht mir stolz eine Kopie des Urteils.
Aus: WoZ, 30. August 2001
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