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Für die Rechte der Kabylen

Polizeiterror gegen Demonstranten in Algerien

Von Sofian Philip Naceur*

Wenige Tage nach den Präsidentschaftswahlen in Algerien bleibt die Situation in der östlich der Hauptstadt Algier gelegenen mehrheitlich von Berbern der Kabylen-Minderheit bewohnten Provinz Kabylei angespannt. Schon vor und während der Abstimmung hatte es in der Region heftige Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten gegeben. Mehrere Organisationen wie die Partei »Sammlung für Kultur und Demokratie« (RCD) und die Bewegung für die Autonomie der Kabylei (MAK) hatten für den 20. April zu Demonstrationen zum Gedenken an den Berberaufstand von 1980 und die blutigen Krawalle von 2001 aufgerufen. In Tizi Ouzu, Béjaïa und Bouira gingen Tausende auf die Straßen und gedachten der 126 Opfer des sogenannten Berber-Frühlings. Seit Algeriens Unabhängigkeit 1962 kämpfen zahlreiche in der Kabylei verankerte Organisationen für mehr kulturelle und politische Freiheiten für die berberische Minderheit. Insbesondere die Anerkennung der Berber-Sprache Amazigh gehört zu den zentralen Forderungen bei den immer wieder aufflammenden Protesten in der Region. Die Regierung hatte nach den heftigen Krawallen von 2001 eingelenkt und Amazigh als Nationalsprache anerkannt, nicht jedoch als offizielle Amtssprache in die Verfassung aufgenommen.

In Tizi Ouzu, der größten Stadt der Kabylei, demonstrierten mindestens 5000 Menschen für die Anerkennung Amazighs als offizielle Amtssprache. Das Nachrichtenportal Kabyle sprach gar von 10000 Menschen auf den Straßen Tizi Ouzus. Bereits nachdem Zentralbehörden in Algier den angekündigten Protestmarsch in Tizi Ouzu verboten hatte, waren nahe der Universität gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei ausgebrochen. Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstrationen sorgt immer wieder für Zündstoff in dem nordafrikanischen Land. Auf Videoaufnahmen vom 20. April sieht man Polizeibeamte mit Schlagstöcken auf unbewaffnete Demonstranten einprügeln. Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und verhafteten Dutzende Protestler. Gemeinsam mit uniformierten Polizisten prügeln auch Männer in Zivil, offenbar Beamte algerischer Geheimdienste, auf festgenommene Demonstranten ein. Ein Video, auf dem ein nur mit Jeans bekleideter junger Mann zu sehen ist, der reglos am Boden liegt und von mehreren Polizisten getreten und von den Beamten weggeschleift wird, hat derweil in Algerien einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst.

Nachdem mehrere Videos über die Vorfälle im Internet und in sozialen Netzwerken verbreitet worden waren, ordnete der Chef der Generaldirektion für Nationale Sicherheit (DGSN) Abdelghani Hamel eine »dringende Untersuchung« und die Suspendierung von fünf Polizisten an, die angeblich für den Vorfall verantwortlich sein sollen. Hamel betonte gegenüber Algeriens Tageszeitung El Watan, die Provinzverwaltung habe mit dem Verbot der Kundgebung nicht zu tun und machte die Zentralregierung verantwortlich für die Eskalation der Lage. Während Algeriens Staatspresse gestreut hatte, die Aufnahmen seien eine Montage und seien bereits 2001 entstanden, bestätigt die Pariser Monatszeitung Jeune Afrique die Bilder seien authentisch und am 20. April aufgenommen. Innenminister Tayeb Belaiz betonte in der vergangenen Woche, sollten Sicherheitskräfte ihre Kompetenzen überschritten haben, seien dies »außergewöhnliche und isolierte Akte«.

Derweil formiert sich weiter Widerstand gegen Bouteflikas Wiederwahl. Mehrere Parteien der Opposition hatten direkt nach den Wahlen angekündigt die Ergebnisse nicht anerkennen und ein parteiübergreifend agierendes Koordinationskomitee formieren zu wollen. Sowohl die säkulare RCD als auch Parteien aus dem islamistischen Lager wie die »Bewegung für die Gesellschaft und den Frieden« (MSP) sind Teil der oppositionellen Front. Noch ist der Widerstand gegen Bouteflika fragmentiert, doch Ereignisse wie jüngst in Tizi Ouzu, bescheren der Opposition weiteren Zulauf und fördern ihre Einigungstendenzen.

* Aus: junge welt, Montag 28. April 2014


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