Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zündstoff Verbandsgesetz

Ohne Registrierung sind NGO in Algerien von Strafverfolgung bedroht

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Im Januar 2012 trat das das neue Verbandsgesetz in Algerien in Kraft. Auch heute noch sorgt es für Zündstoff. Zahlreiche Menschenrechtsgruppen fordern die Regierung auf, es vor Ablauf der Übergangsfrist am 14. Januar 2014 zu widerrufen. Nichtregierungsorganisationen (NGO) hatten zwei Jahre Zeit, ihre Statuten den Vorgaben des Regelwerkes anzupassen und sich bei den Behörden neu registrieren zu lassen. Youcef Benbrahim, Vizepräsident der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Algerien, sieht in der Regelung den Versuch des Regime NGO zur Selbstzensur anzuhalten. Das Gesetz verstoße gegen den 1989 von Algerien ratifizierten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen.

Insbesondere die verpflichtende Neuregistrierung von Organisationen gibt Algeriens Behörden ein Mittel in die Hand, diese unter Druck zu setzen. Die Dienststellen dürfen ihnen die Registrierung verwehren, wenn sie gegen die »öffentliche Ordnung« oder die »Moral« verstoßen, sich in »interne Angelegenheiten des Landes« einmischen oder die »nationale Souveränität« angreifen. Amnesty bezeichnet den Gesetzestext als »willkürliche Einschränkung und effektive Kriminalisierung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit« und warnt vor »irreparablem Schaden für Algeriens Zivilgesellschaft«. Organisationen, die die staatliche Prüfung nicht bestehen, werden von Algeriens Behörden als illegal eingestuft. Ihnen und ihren Mitgliedern droht Strafverfolgung. So können letztere zu bis zu sechs Monaten Gefängnis und Geldstrafen von bis zu 4000 Euro verurteilt werden. Trotz der Übergangsfrist hat Algeriens Exekutive bereits begonnen, Mitglieder von Menschenrechtsgruppen auf dieser Grundlage zu verhaften und vor Gericht zu stellen.

Betroffen vom neuen Gesetz ist auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Ihre Registrierung als »nationale Organisation« wurde abgelehnt. Die Stiftung stellte Ende 2013 ihre Aktivitäten ein und schloß vorläufig ihr Büro in Algier. Doch die FES ist optimistisch, in Zukunft weiter in der nord­afrikanischen Republik tätig sein zu können. Demnach brachten algerische Behörden zum Ausdruck, daß es großes Interesse am Verbleiben der FES im Land gibt. Die Stiftung geht davon aus, daß Algier die dafür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen schaffen wird. Auch Amnesty wartet noch auf offizielle Antwort.

Unterdessen setzen sich die Flügelkämpfe in der Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH), der größten Menschenrechtsorganisation des Landes, unvermindert fort. Dem Verband droht die Spaltung. Seinem 2012 gewählten Vorsitzenden Noureddine Benissad wird Mißmanagement und Intransparenz vorgeworfen. »Das Problem ist nicht seine Legitimität als gewählter Vorsitzender, sondern es sind seine nicht eingehaltenen Versprechen bezüglich finanzieller Transparenz. Das Gros unserer Mittel kommt aus dem Ausland, aber wir wissen nicht, woher, Benissad weigert sich aufzuklären«, sagte Salah Debouz, Chef der LADDH-Sektion in Algier. Debouz glaubt, Benissad, Exmitglied der linken Berberpartei »Front der Sozialistischen Kräfte« (FFS), versuche die LADDH an das Regime heranzuführen.

Die FFS, mit der Benissad nach wie vor enge Kontakte pflegt, war nach 20 Jahren Opposition und Wahlboykott bei den Parlamentswahlen 2012 angetreten und ins Parlament eingezogen. Die konkurrierende liberale Berberpartei »Sammlung für Kultur und Demokratie« (RCD) hingegen boykottierte die Abstimmung, nachdem sie jahrelang das Feigenblatt für die politische Integration der Berber-Minderheit in Algeriens politisches System war. Bislang gelten sämtliche Wahlen in Algerien als gefälscht, ihre Ergebnisse und damit die Zuteilung von politischer Macht und staatlichen Mitteln als im Vorfeld abgesprochen. Vieles deutet darauf hin, daß die FFS anstelle der RCD als Vertreterin der Berber-Minderheit vom Regime quasi kooptiert wurde.

* Aus: junge Welt, Samstag, 11, Januar 2014


Zurück zur Algerien-Seite

Zur Algerien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage