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Wenig Hoffnung auf Wandel in Algerien

Wahlkampf ließ die Bürger kalt

Von Abida Semouri, Algier *

18,7 Millionen Algerier sind aufgerufen, am Donnerstag (17. Mai) über die Zusammensetzung ihres Parlaments abzustimmen. 12 229 Kandidaten von 24 Parteien und etwa 100 unabhängigen Listen bewerben sich um 389 Sitze in der Nationalen Volksversammlung. Nach müdem Wahlkampf wird mit einem Rekordtief bei der Beteiligung gerechnet.

Wenigstens hat sich die Befürchtung nicht bestätigt, dass es nach den Bombenanschlägen am 11. April in Algier (33 Tote und mehr als 200 Verletzte) zu weiteren Attentaten islamistischer Terroristen kommen könnte. Allerdings verlief der der Wahlkampf auch ohne große politische Debatten. An den meisten Algeriern ging er fast unbemerkt vorüber. Mangels Beteiligung mussten sogar Wahlveranstaltungen abgesagt werden. Lediglich einige Plakate im Straßenbild und Wahlspots in Rundfunk und Fernsehen erinnerten daran, dass eine Abstimmung bevorsteht.

Aber auch die minutenlangen Vorträge der Kandidaten in den staatlichen Medien ließen die wenigsten Algerier über sich ergehen. Viel spannender war es, das Rennen um die französische Präsidentschaft zu verfolgen. Immerhin war jenseits des Mittelmeeres der Ausgang der Wahl nicht von vornherein klar. Im eigenen Land dagegen geht die Mehrheit davon aus, dass der Sieg der Nationalen Befreiungsfront FLN, der Partei von Staatschef Abdelaziz Bouteflika, beschlossene Sache ist. Vor fünf Jahren errang sie 199 Sitze im Parlament. Trotz dieser Mehrheit bildete sie mit zwei weiteren Parteien die sogenannte Allianz des Präsidenten und beteiligte sie an der Regierung: den FLN-Ableger Nationaldemokratische Sammlungsbewegung (RND) und die sich gemäßigt gebende Islamistenpartei Bewegung der Gesellschaft des Friedens MSP. Dank diesem Bündnis erfüllt das Parlament seinen eigentlichen Zweck, nämlich das Programm des mächtigen Präsidenten abzunicken. Daran soll sich – zumindest während Bouteflikas Amtszeit bis 2009 – auch nichts ändern.

Seit seinem Amtsantritt 1999 hat Bouteflika das Land nach Jahren des bewaffneten Konflikts zwischen Islamisten und Staatsmacht zwar aus der internationalen Isolation geführt und durch eine höchst umstrittene Generalamnestie für ehemalige Terroristen und Angehörige der Sicherheitskräfte die Sicherheitslage relativ beruhigt. Die soziale Situation der Mehrheit der Bevölkerung hat sich aber nicht verbessert. Obwohl der nordafrikanische Staat durch die Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft geradezu in Geld schwimmt, leiden die Menschen nach wie vor unter Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Letzteres betrifft allein drei Viertel der Algerierinnen und Algerier, die jünger als 30 Jahre sind. Bei ihnen kommt bisher wenig vom Reichtum des Landes an. Das gilt auch für das von Bouteflika verkündete Finanzpaket von 140 Milliarden Dollar, das er für die Ankurbelung der Wirtschaft, die Anpassung der Infrastruktur und den Wohnungsbau bereitgestellt hat. Bis 2009 sollen unter anderem zwei Millionen Arbeitsplätze und eine Million Wohnungen geschaffen werden. Die Einlösung des Versprechens lässt aber auf sich warten, so dass es landesweit fast jede Woche soziale Unruhen gibt.

Kritiker fragen vor allem, wie neue Arbeitsplätze entstehen sollen, wenn die inländische Produktion nicht gefördert wird. Großprojekte wie etwa der Bau der Ost-West-Autobahn wurden an asiatische Firmen vergeben und schaffen nach Ansicht kritischer Wirtschaftsexperten nur wenige zeitweilige Arbeitsplätze. Die erforderliche Umstrukturierung der immer noch auf Erdöl- und Erdgas fixierten Wirtschaft bleibt derweil aus. Stattdessen importiert das Land nahezu alle Konsumgüter und fördert damit die sogenannte Basarwirtschaft. Das reiht sich in die lange Liste von Bouteflikas Zugeständnissen an die Islamisten ein, die darin die Idealform wirtschaftlicher Aktivität sehen. Auch der Bau von immer mehr Moscheen, die Verschleppung der Bildungsreform und das Frauen diskriminierende Familiengesetz sind deutliche Anzeichen einer schleichenden Islamisierung der Gesellschaft.

Im Wahlkampf wurden diese Themen nur von Kandidaten der chancenarmen linken Opposition angesprochen. Die meisten anderen erklärten die Ablehnung des Terrorismus und den Kampf gegen die Korruption zu ihren Hauptthemen. Beides dürfte zwar auf die Zustimmung der Wähler treffen, die aber wissen zugleich, dass diese Probleme angesichts der von Clans und einer kleinen Gruppe von »Entscheidungsträgern« dominierten Machtstrukturen nicht durch ein schwaches Parlament gelöst werden können.

Der Kolumnist der unabhängigen Tageszeitung »El Watan« bot seinen Lesern nach der schlaffen Wahlkampagne eine Alternative: »Warum drehen wir den Spieß nicht einfach um und lassen künftig die Wähler die Wahlkampagnen führen? Dann könnten sie klipp und klar ihre Forderungen stellen und endlich sagen, was sie für ihr Land möchten.«

* Aus: Neues Deutschland, 16. Mai 2007


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