Versinkt bald Nordafrika im Terror von Al-Kaida?
Berichte und Kommentare zu den Anschlägen in Algerien
Zwei Bombenanschläge erschütterten am 11. April 2007 die algerische Hauptstadt Algier. Ein Ziel der Attentäter war der Sitz der Regierung. Dort sprengte sich ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto in die Luft. Auch vor einer Polizeistation im Osten der algerischen Hauptstadt explodierte eine Bombe. Die Opferbilanz ist erschütternd: Mindestens 24 Menschen starben, 222 wurden verletzt. Al-Kaida hat sich zu den Anschlägen bekannt.
Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Berichte, die sich bemühen, auch mögliche Hintergründe für den Terror ausfindig zu machen. Gleich die erste Meldung - aus dem österreichischen "Standard" - ist irritierend. Wie viel haben die algerischen - möglicherweise auch US-amerikanischen - Geheimdienste von den bevorstehenden Anschlägen gewusst?
US-Abgeordneter: Algerischer Geheimdienst war informiert
"Sie wollten ein großes Ereignis, sie sprachen über ihr großes Ereignis, und leider haben sie ihr großes Ereignis bekommen"
Washington - Vor den Anschlägen in Algerien hat der Geheimdienst des nordafrikanischen Landes möglicherweise Hinweise auf geplante Terrorakte gehabt. Die zuständigen Stellen seien besorgt gewesen, sagte der US-Kongressabgeordnete Mike Rogers, der sich am Wochenende mit Vertretern des algerischen Geheimdienstes getroffen hatte. Der republikanische Politiker gehört dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses an. "Wir wussten, dass sie etwas tun wollten", sagte Rogers am Mittwoch.
"Sie wollten ein großes Ereignis, sie sprachen über ihr großes Ereignis, und leider haben sie ihr großes Ereignis bekommen." Bei den Autobomben-Anschlägen auf den Sitz des Ministerpräsidenten und auf eine Polizeiwache in Algier kamen am Mittwoch mindestens 24 Menschen ums Leben. Zu den Taten bekannte sich die Terrororganisation Al Kaida im Maghreb. (APA/AP)
Aus: Der Standard (online), 11. April 2007 (23.06 Uhr)
Al-Kaida bekennt sich zu Bombenanschlägen
"Al-Kaida im islamischen Maghreb" stehen hinter Attentaten mit 24 Tote und 222 Verletzte
(...) Die Anschläge waren gut aufeinander abgestimmt. Um 10 Uhr 45 Ortszeit explodierten am Mittwoch (11. April) in Algeriens Hauptstadt Algier zwei Bomben. Ein mit Sprengstoff gefüllter Pkw durchbrach nach Angaben von Augenzeugen die Polizeiabsperrung des Amtssitzes von Premierminister Abdelaziz Belkhadem und explodierte dann. Der zweite Anschlag galt dem Polizeikommissariat im Vorort Bab Ezzouar unweit des internationalen Flughafens von Algier. Nach Angaben von Anwohnern sollen drei Fahrzeuge gleichzeitig explodiert sein. Mindestens 24 Menschen starben, 222 wurden verletzt.
Nach offiziell nicht bestätigten Berichten wurden in der algerischen Hauptstadt zwei weitere Bomben entdeckt. Augenzeugen berichteten, dass die Rechtsfakultät der Universität Ben Aknoun wegen eines Sprengstofffundes evakuiert worden sei. Zudem sei in dem Viertel Hydra, wo etliche Botschaften ihre Residenz haben und hohe algerische Funktionäre leben, am späten Nachmittag eine etwa 30 Kilogramm schwere Autobombe entschärft worden. Das Fahrzeug war nahe dem Sitz der Behörde für Nationale Sicherheit abgestellt, hieß es.
Belkhadem bezeichnete die Anschläge im algerischen Radio als „kriminelle und feige Tat, zu einem Zeitpunkt, an dem die algerische Bevölkerung die Aussöhnung will“.
Salafisten
Hinter den Anschlägen werden die „Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf“ (GSPC) vermutet. Es handelt sich um die einzige Gruppe, die das Angebot von Präsident Abdelaziz Bouteflika, in die Zivilgesellschaft zurück zu kehren, ausgeschlagen hat. Die radikale Islamistengruppe, die sich seit Jänner „Al-Kaida-Organisation im islamischen Maghreb“ nennt, verstärkt stattdessen im Vorfeld der Parlamentswahlen im kommenden Mai ihre Aktionen. Immer wieder greift sie Polizeireviere, Armeeeinheiten und Angestellte ausländischer Erdölfirmen an. Unter dem Namen Al-Kaida wollen die algerischen Islamisten ein breites Netzwerk in Nordafrika aufbauen. In einem Anruf beim TV-Sender Al Jazeera soll sich die Gruppe auch zu dem Anschlag bekannt haben.
Die Algerier sollen in enger Verbindung zu Gruppen im benachbarten Marokko und auch Tunesien stehen. Radikale marokkanische und tunesische Islamisten haben vermutlich ihre Ausbildung in Algerien erhalten.
Schießereien bei Tunis
So nahm die algerische Armee bei ihren Aktionen gegen die GSPC immer wieder Marokkaner und auch Tunesier fest. Unter den Terroristen, die sich Ende Dezember und Anfang Jänner unweit der tunesischen Hauptstadt Tunis zweimal ein Feuergefecht mit der Polizei lieferten, sollen Tunesier gewesen sein, die sich nach dem Ausbruch des Irakkrieges in Algerien der GSPC angeschlossen haben.
Die Strategie der Ausweitung des „Heiligen Krieges“ scheint in vollem Gange. So schlugen auch im marokkanischen Casablanca diese Woche radikale Islamisten zu. Am Dienstag sprengten sich im Laufe einer Polizeirazzia drei Selbstmordattentäter in dem am dichtesten besiedelten Viertel El Fida in die Luft. Dabei starb ein Polizeiinspektor. Mehr als 20 Menschen wurden verletzt. Ein weiterer mutmaßlicher Islamist wurde von der Polizei erschossen.
Drei Menschen starben
Drei der vier Toten sind mittlerweile identifiziert. Der Erschossene ist Mohamed Mentala, der seit 2003 gesucht wird. Er soll an der Vorbereitung der Anschläge auf jüdische und westliche Einrichtungen beteiligt gewesen sein, bei denen am 16. Mai 2003 in Casablanca elf Selbstmordattentäter 32 Menschen töteten und Dutzende zum Teil schwer verletzten. Einer der Selbstmörder heißt Mohamed Rachidi. Er soll am Mord an einem Gendarmen in Casablanca, ebenfalls im Jahre 2003, beteiligt gewesen sein. Ein zweiter Selbstmordattentäter wurde als Ayub Raydi identifiziert, Bruder von Abdelfetah Raydi, einem der Attentäter von 2003. Die Polizei sucht nun weitere Mitglieder der Islamistenzelle von El Fida.
(...)
Reiner Wandler
Aus: DER STANDARD, Printausgabe 12.4.2007
Al Kaida terrorisiert Nordafrika
Die "Al Kaida im Maghreb" ging aus der "Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf" (GSPC) hervor. Auf die Annullierung der algerischen Parlamentswahlen 1992, bei der die Islamische Heilsfront (FIS) vor einem Wahlsieg stand, reagierten die islamistischen Fundamentalisten mit Gewalt. Im Konflikt zwischen Regierung und Islamisten starben in den neunziger Jahren Hunderttausende Algerier. Angesichts einer militärischen Großffensive der Regierung zogen sich die Salafisten in abgelegene Regionen im Süden und Osten Algeriens zurück. 2003 wurden in Südalgerien 32 Touristen, darunter 16 Deutsche, ein halbes Jahr lang von salfistischen Geiselnehmern gefangen gehalten. Anfang des Jahres wurde die GSPC dann in "Al Kaida im Maghreb" umbenannt.
Die Grenzen sind durchlässig für das Terrornetzwerk
Bereits seit einiger Zeit mehrten sich die Anzeichen für eine Allianz islamistischer Terrorgruppen in den Maghreb-Staaten, sagt der Leiter des Hamburger Orient-Instituts, Udo Steinbach, im Gespräch mit tagesschau.de: "Es gibt in den letzten Jahren einen regen Austausch zwischen islamistischen Extremisten in Marokko, Algerien und Tunesien. Spätestens seit den Anschlägen von 2003 in Casablanca und Rabat wissen wir, dass Al Kaida im Maghreb äußerst aktiv ist."
Erst vor wenigen Wochen habe es Festnahmen an der tunesisch-algerischen Grenze gegeben, erzählt Steinbach: "Da hat eine Terror-Gruppierung offensichtlich versucht, nach Tunesien zu gelangen, um dort Touristenzentren anzugreifen." Nach Berichten der tunesischen Sicherheitsbehörden habe es sich dabei um eine Al-Kaida-nahe Gruppe gehandelt, erläutert Steinbach. (...)
"Die Tentakel Al Kaidas greifen nach den Maghreb-Staaten", warnte auch der marokkanische Innenminister Chakib Benmoussa. Unterstützt wird diese Annahme durch eine Internetbotschaft vom Januar. Darin heißt es, Al-Kaida-Anführer Osama bin Laden habe angeordnet, alle Kräfte des Heiligen Krieges im Norden Afrikas unter einer Dachorganisation zu vereinen. Antiterrorexperten vermuten, dass das Terrornetzwerk noch weiter expandiert. In der weitläufigen Sahel-Zone, zu der der Tschad, Niger, Mali und Mauretanien gehören, soll sich das Terrornetz ein Operationsgebiet mit Ausbildungslagern erschlossen haben.
Die algerische Regierung sieht Steinbach jedoch nicht durch die Anschläge gefährdet: "In Algerien herrscht hinter der quasi-demokratischen Fassade das Militär. Die Generäle haben nach 1991 den Kampf gegen die Islamisten geführt und weitgehend gewonnen. Das algerische Militär ist nicht bereit, die Macht abzugeben, erst recht nicht nach den Anschlägen, wie wir sie heute erlebt haben."
Drohung an Europa
Das Zielgebiet für Terroranschläge bleibt jedoch nicht auf den Norden Afrikas beschränkt. Steinbach erinnert daran, dass ein Ableger der Al Kaida den Anschlag auf Nahverkehrszüge in Madrid verübt hat. Im Internet drohte Bin Ladens Stellvertreter, Aiman al Sawahiri, mit weiterem Terror. Die neue Organisation im Maghreb werde "den Ungläubigen in den USA und Frankreich wie ein Knochen im Hals stecken bleiben". Unterstützung könnte das Netzwerk unter den Millionen Einwanderern aus Nordafrika nicht nur in Frankreich, sondern auch in Spanien finden.
Aus: tagesschau.de (online), 12. April 2007 (Auszüge)
Anschläge schüren Angst in Nordafrika
(...) Am schwärzesten Tag in der algerischen Hauptstadt Algier seit Jahren starben bei mehreren Bombenanschlägen - nach offiziellen Angaben - 24 Menschen; 162 Personen sollen verletzt worden sein. Nach inoffiziellen Angaben aus den Krankenhäusern kamen mindestens 30 Menschen bei der Anschlagsserie ums Leben.
Zu den Attentaten bekannte sich die islamistische Terrorgruppe GSPC, die sich jüngst in "El Kaida im Maghreb" umbenannte.
(...) Der Regierungschef bleibt bei dem schwersten Bombenanschlag, den die Hauptstadt seit Jahren erlebte, unverletzt. "Das war ein Selbstmordanschlag", berichten Augenzeugen. Der Terrorist hatte die Polizeisperre vor dem Amtssitz durchbrochen und auf dem Parkplatz seine Sprengladung gezündet. Wenig später explodierten weitere Bomben vor einer Polizeistation nahe dem internationalen Flughafen.
(...)
Die gewalttätige Bewegung der Gotteskrieger hat dem westlich gesinnten Regime in Algier und auch dem Rest der "ungläubigen Welt" den "heiligen Krieg" angesagt. Von Versöhnung und Aufgabe wollen sie nichts wissen. Seit 1992 bekämpfen Algeriens Islamisten den Staat. Damals verhinderte bei den ersten freien Wahlen das Militär den sicheren Wahlsieg der Islamischen Heilsfront, die für einen Gottesstaat eintrat. Im anschließenden Krieg zwischen Islamisten und Sicherheitskräften starben mindestens 200 000 Menschen.
Anschluss an Terrornetzwerk
Mit ihrem neuen Namen ordnet sich die frühere "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" (GSPC) symbolträchtig dem internationalen El-Kaida-Netzwerk unter. Ziel ist es, die islamistischen Fundamentalisten in Nordafrika zu vereinigen und zu einer schlagkräftigen Terrorbewegung zu formen.
Besonders aktiv sind die Islamisten auch in Algeriens Nachbarland Marokko, wo sich in den vergangenen Tagen mehrere Terroristen auf der Flucht vor der Polizei in die Luft sprengten. Die Sicherheitskräfte in Marokko hatten eine Terrorzelle aufgedeckt, die Anschläge auf Kreuzfahrtschiffe und Hotels geplant hatte.
Die Bomben von Algier explodierten auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Anschlag auf der zum Nachbarland Tunesien gehörenden Ferieninsel Djerba. Damals waren neben dem Attentäter 21 Menschen getötet worden, darunter 14 Deutsche.
Ralph Schulze
Aus: Frankfurter Rundschau, 12. April 2007 (Auszüge)
Kommentar:
Wiederkehr des Terrors
Algerien erfuhr in jüngster Zeit - auch in Deutschland - viel Aufmerksamkeit als Öllieferant oder Mitglied einer potenziellen Gas-Opec, vor deren Kartellabsprachen die energiebedürftigen Europäer sich fürchten. Eine ganz andere Angst müssen die Bombenanschläge von Algier auslösen. Der Terror jenseits des Mittelmeeres schien eine Zeit lang gebannt. Nun meldet er sich zurück, nicht nur in Algerien, auch in den Nachbarstaaten Marokko und Tunesien - als "El Kaida des islamischen Maghreb".
Die Algerier haben Terror in seiner grausamsten Form erlitten, seit 1992 die Armee die Machtübernahme der bei Wahlen siegreichen Islamischen Heilsfront verhinderte. Das vage Prinzip Hoffnung schien für kurze Zeit zu siegen, als Präsident Bouteflika 2005 ein Referendum für "Versöhnung" ansetzte. Es fand zwar die Unterstützung einer Mehrheit jener Algerier, die sich überhaupt an ihm beteiligten. Dem Horror, der 200 000 Todesopfer gefordert hatte, sollte auch eine Amnestie endlich ein Ende setzen. Doch schon seit Anfang 2007 mehrten sich die Zeichen, dass eine neue Welle des Schreckens bevorsteht. Es gab - außerhalb Algeriens kaum zur Kenntnis genommen - nicht weniger als 50 Anschläge. Auch ausländische Mitarbeiter von Öl- und Gasfirmen wurden dabei getötet.
Europas Geschäftsinteressen jedoch erscheinen zweitrangig angesichts der Tatsache, dass der Terror im Maghreb der EU, vor allem Frankreich und Spanien, gefährlich nahe rückt. Frankreich reagierte vergangenes Jahr auf eigene Weise. Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie bot der Regierung bei einem Besuch "Partnerschaft und Kooperation" an. Hilfreicher als ein solches wohl auch militärisch unterfüttertes Angebot wäre es, wenn die zahlreichen Mittelmeerkonferenzen der EU mehr als viel Papier und bisher offensichtlich nur bescheidene Erfolge produzierten. Die Menschen im Maghreb sind EU-Nachbarn und jene vor allem - nicht ihre zum Teil wenig zimperlichen und repressiven Regierungen - brauchen Hilfe.
Brigitte Kols
Aus: Frankfurter Rundschau, 12. April 2007
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