Das Geiseldrama in der Sahelzone
Der Tod des Franzosen Michel Germaneau offenbart Uneinigkeit im Kampf gegen Terrorismus
Von Abida Semouri, Algier *
Der tragische Ausgang des Geiseldramas um den Franzosen Michel Germaneau
hat die Uneinigkeit und die Hilflosigkeit der betroffenen Staaten in der
Sahelregion und in Europa offenbart.
Der 78-jährige Michel Germaneau, der am 19. April im Norden Nigers
entführt worden war, wurde nach dreimonatiger Gefangenschaft im Norden
Malis am vergangenen Montag durch ein Kommando von »Al Qaida im
Islamischen Maghreb« geköpft. Dies sei auch Rache für einen Angriff auf
seine Leute geschehen, erklärte ein Führungsmitglied des Terrornetzwerks
in einer Tonbandaufnahme, die der arabische Nachrichtensender »Al
Dschasira« verbreitete. Zuvor war eine vermeintliche Befreiungsaktion
der mauretanischen und der französischen Armee auf malischem Territorium
fehlgeschlagen. Die Spezialkräfte hatten beim Angriff auf das Camp, in
dem sie den Franzosen vermuteten, sieben Terroristen getötet.
Tatsächlich befand sich die Geisel jedoch an einem anderen Ort.
Germaneau ist der zweite Europäer, der innerhalb eines Jahres von der
Terrorgruppe umgebracht wurde. Im Juni vergangenen Jahres hatte der
Brite Edwin Dyer dasselbe Schicksal erlitten. Auch damals hatten die
Entführer als Gegenleistung die Freilassung von Gesinnungsgenossen
verlangt, was von London jedoch abgelehnt worden war.
Auf den ersten Blick könnte man Paris nach dem jüngsten Fall dieselbe
Konsequenz bescheinigen. Tatsächlich jedoch lässt die französische
Regierung eine klare Linie im Umgang mit der immer größer werdenden
Gefahr in der Grenzregion von Mauretanien, Algerien, Mali und Niger
vermissen. So war im Februar dieses Jahres eine französische Geisel
freigekommen, nachdem die malische Regierung unter dem Druck des
französischen Außenministeriums vier algerische und mauretanische
Al-Qaida-Häftlinge auf freien Fuß gesetzt hatte. In den Hauptstädten
Algier und Nouakchott hatte man äußerst verärgert auf diese Aktion
reagiert, denn das Vorgehen widersprach bisherigen Absprachen.
Fast zeitgleich hatten sich die Streitkräfte der vier betroffenen
Sahelstaaten in der algerischen Zentralsahara-Stadt Tamanrasset darauf
geeinigt, durch ein gemeinsames Oberkommando den Informationsaustausch
und die Militäroperationen - auch grenzübergreifend - besser zu
koordinieren. Die neuerliche Verstimmung nach der jüngsten Aktion
beweist allerdings das Gegenteil. »Die Staaten der Region kommen zu
keiner Einigung, um endlich Ordnung in ihren Häusern zu schaffen. Die
zahlreichen Bemühungen, dieser Situation in der Region endlich geeint
ein Ende zu bereiten, waren alle vergeblich«, stellt die
Terrorismusexpertin der algerischen Zeitung »El Watan«, Salima Tlemcani,
fest.
Unterdessen, schrieb sie, nisteten sich die Terroristen immer tiefer
dort ein. Ihre Zahl wird auf nicht mehr als 250, allerdings sehr
ortskundige und effektiv operierende Männer geschätzt. Ihre Anführer -
Droukdel, Abou Zaid und Belmokhtar - hatten sich vor mehreren Jahren von
der Salafistengruppe für Predigt und Kampf abgespalten, die nach wie vor
im Norden Algeriens Überfälle auf Sicherheitskräfte verübt. Von Gao und
Kidal in Mali aus haben die drei »Emire« die gesamte Region praktisch
zur verbotenen Zone gemacht und kontrollieren den Waffen-, Zigaretten-
und Kokainhandel. Mit dem Geld werden auch Terroraktionen im Norden
finanziert.
Die organisierte Kriminalität soll laut algerischen Beobachtern nicht
zuletzt dank der Komplizenschaft höchster Kreise in der malischen
Hauptstadt Bamako florieren. Von der Uneinigkeit der Regierungen
profitieren auch - trotz aller Lippenbekenntnisse zu einem
entschlossenen Kampf gegen den Terrorismus - Frankreich und die USA, die
beide ein Auge auf die an Erdöl und Uran reiche Gegend geworfen haben.
Hauptleidtragende der Situation sind allerdings nicht die entführten
Europäer, sondern die in der Region lebenden Menschen. Vor allem die
Situation der Tuareg-Nomaden wird immer unerträglicher. Nicht nur
Tourismus und Kunsthandwerk als lebenswichtige Einkommensquellen sind
versiegt. Die Tuaregs geraten immer öfter zwischen die Fronten und sehen
sich zur Komplizenschaft mit den kriminellen und terroristischen Gruppen
oder den Sicherheitskräften gezwungen. »Offenbar stellen die Regierungen
ihre Einzelinteressen über die Zukunft der dort lebenden Menschen«,
schlussfolgerte Salima Tlemcani.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2010
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