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Neue Regierung in Algerien

Technokratenkabinett verspricht außenpolitische Kontinuität

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Vier Monate nach den Parlamentswahlen vom 10. Mai hat Algerien eine neue Regierung. In der vergangenen Woche ernannte Staatspräsident Abdelasis Bouteflika von der Nationalen Befreiungsfront (FLN) den parteilosen Technokraten Abdelmalek Sellal zum Premierminister und stellte das neue 36köpfige Kabinett vor. Sellal, ein enger Vertrauter Bouteflikas, bekleidete mehrfach Ministerposten, war Botschafter Algeriens in Ungarn, Gouverneur mehrerer Wilayate (Regierungsbezirke) und leitete den Präsidentschaftswahlkampf Bouteflikas 2004 und 2009. Zuletzt war er Minister für Wasserwirtschaft im Kabinett von Ahmed Ouyahia von der Nationalen Demokratischen Sammlung (RND).

Sellal kündigte an, die Wasser- und Stromversorgung zu verbessern und die Abhängigkeit des Landes vom Erdölexport zu reduzieren. Algerien ist einer der wichtigsten Energielieferanten der EU und baut diesen Bereich massiv aus, während der Rest der Wirtschaft und der Arbeitsmarkt am Boden liegen. Die Regierung soll auch eine neue Verfassung ausarbeiten und damit ein zentrales Versprechen des Regimes vom Frühjahr 2011 einlösen. Damals hatte Algier nach Protesten mit Zugeständnissen an Bevölkerung und Opposition versucht, mittels Konjunkturprogrammen und zaghaften politischen Liberalisierungen die Lage zu stabilisieren.

Die 1997 eingesetzte Regierungskoalition, bestehend aus FLN, RND und der gemäßigt islamistischen Bewegung der Gesellschaft des Friedens (MSP) war im Januar nach Austritt der MSP auseinandergebrochen. Eine Phase öffentlicher Machtkämpfe begann. Während sich die MSP vom Regime distanzierte und erfolglos versuchte, vom regionalen Trend des Machtzuwachses für gemäßigte islamistische Parteien zu profitieren, überstand der FLN-Generalsekretär Abdelasis Belkhadem im März nur knapp ein Mißtrauensvotum.

Trotz der internen Querelen, die kurz vor der Wahl die Spekulationen über die zukünftige Ausrichtung der Partei anheizten, ging der FLN siegreich aus der Abstimmung hervor und dominiert Parlament und Exekutive. Doch die neue Regierung bleibt farblos. Im leicht verkleinerten Kabinett wurden nur 13 Posten neu besetzt, die Schlüsselpositionen im Innen-, Außen- und Energieministerium blieben unangetastet. Während einige Vertraute Bouteflikas aus dem Kabinett ausgeschieden sind, verbleiben überraschend zwei der vier MSP-Minister auf ihren Posten.

Die Inthronisierung eines Technokratenkabinetts und die Nichtberücksichtigung der Favoriten Belkhadem und Ouyahia für den Posten des Regierungschefs deuten darauf hin, daß die Machtkämpfe innerhalb des Regierungslagers noch nicht ausgestanden sind. Die Kommunalwahlen im November könnten daher ein wichtiges Stimmungsbarometer für die Präsidentschaftswahl 2014 werden. Beobachter gehen davon aus, daß der seit 1999 amtierende Bouteflika in zwei Jahren nicht wieder antreten wird. Neben Belkhadem gilt auch Expremier Ouyahia als potentieller Nachfolger für das höchste Staatsamt. Wegen Ouyahias enger Verbindungen zu Algeriens Generälen, ohne deren Zustimmung in dem Land kein Spitzenposten vergeben wird, könnte der RND-Politiker ein ernsthafter Konkurrent für den Vertreter des FLN werden.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. September 2012


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