Der Fluch des Erdöls
Algerien hofft auf die Zusammenarbeit mit Deutschland
Von Abida Semouri, Algier *
Mit dem Ziel, neuen Schwung in die deutsch-algerischen Beziehungen zu bringen, war Bundespräsident Horst Köhler am Sonntag (11. November) in den nordafrikanischen Staat gekommen. Mit ihm reisten Wirtschaftsvertreter an, die in dem Nachbarland zu Europa vor allem im Energiesektor einen vielversprechenden Partner sehen.
Für Politiker wie Unternehmer aus Deutschland scheinen sich am Ende der viertägigen Visite in Algerien die Hoffnungen erfüllt zu haben. Dies kommt nicht überraschend, können doch beide Länder an eine langjährige Tradition guter Zusammenarbeit anknüpfen. So hat auch die algerische Bevölkerung mit Wohlwollen das Interesse der Deutschen verfolgt, die aus vielerlei Gründen hierzulande einen guten Ruf genießen. Die Gründe dafür gehen bis auf die Zeit des Unabhängigkeitskampfes gegen die Kolonialmacht Frankreich zurück, als beide deutsche Staaten die Nationale Befreiungsarmee FLN unterstützt haben.
Diese Zusammenarbeit setzte sich auch nach Erlangung der Unabhängigkeit fort, nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch bei der Berufsausbildung und im Kulturbereich. So ist es nicht verwunderlich, dass man überall im Lande Algeriern begegnet, die in perfektem Deutsch von ihren Zeiten des Studiums, der Lehre oder der Arbeit in deutschen Landen schwärmen. Nicht wenige von ihnen haben in jenen Jahren auch ihre Familie mit einer deutschen Ehefrau gegründet, von denen viele nun schon seit Jahrzehnten mit ihren Kindern und Enkelkindern in Algerien leben.
Einen Dämpfer haben die Beziehungen zwischen beiden Ländern allerdings in den 1990er Jahren erfahren, als der bewaffnete Konflikt zwischen islamistischen Terroristen und der Staatsmacht das Land in die internationale Isolation getrieben hat. Auch Berlin zog sich aus Algerien zurück und gewährte sogar führenden Islamisten Asyl. Bis heute stößt diese Haltung bei Algeriern, die sich demokratischen Prinzipien verpflichtet fühlen, auf Unverständnis. Erst mit dem Wiedererstarken des algerischen Staates seit einigen Jahren hat das Engagement, wenn auch mit Zögern, wieder zugenommen. Deutsche Firmen verstärken zunehmend ihre Aktivitäten, und auch das Goethe-Institut hat seine Pforten wieder für Sprachkurse und kulturelle Veranstaltungen geöffnet.
Mittlerweile sind 110 deutsche Unternehmen in Algerien aktiv. Die vor zwei Jahren gegründete Deutsch-Algerische Handelskammer bemüht sich darum, die Kontakte weiter zu intensivieren. Auch wenn dabei große Hürden vor allem in der Bürokratie und im Bankwesen zu nehmen sind, ist das Klima für eine engere Zusammenarbeit günstig. Das Erdöl und Erdgas fördernde Land hat sich dank der astronomischen Weltmarktpreise finanziell mehr als erholen und seiner Schuldenlast aus den 1980er Jahren entledigen können. Die Staatskassen sind gefüllt, was die Inangriffnahme mehrerer Großprojekte zur Wiederbelebung der Wirtschaft, der Erneuerung der Infrastruktur und im Wohnungsbau ermöglicht hat. Dafür soll in den kommenden Jahren eine Milliarde Dollar ausgegeben werden.
Zu den größten Vorhaben gehören der Bau einer Autobahn, die sich über mehr als 1000 Kilometer entlang der Küste von West nach Ost erstrecken soll, sowie die Schaffung von einer Million Wohnungen bis zum Jahr 2009. Den Löwenanteil der Aufträge holten allerdings asiatische Unternehmen, vor allem chinesische.
In der Vergabe der meisten Projekte an ausländische Partner und nicht an einheimische Unternehmen sehen algerische Wirtschaftsexperten eine verpasste Gelegenheit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Wirtschaft mit Blick auf die schon in Sichtweite geratenen Jahre nach Öl und Gas. Dem Land fehlt es nach wie vor an eigener Produktion. Mittlere und kleine Betriebe wachsen nur spärlich. Erdöl- und Erdgaslieferungen sorgen für 98 Prozent der Exporteinnahmen. Vertreter von algerischen Unternehmerverbänden machen vor allem die schwerfällige und unkoordinierte Bürokratie sowie die internationalen Normen und Qualitätsansprüchen hinterherhinkende einheimische Produktion dafür verantwortlich. Solange das Ölgeld sprudele, fehle seitens der Führung der Wille zur Durchsetzung von Wirtschaftsreformen.
Viele Algerier sehen daher im Erdöl- und Erdgasreichtum keinen Segen, sondern einen Fluch. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und zu niedriger Löhne verschlechtert sich die soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung immer mehr. Nur wenige Familien können sich die teuren Importwaren in den Geschäften leisten. Auch die dringend nötigen Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen bleiben aus.
Vor diesem Hintergrund wurde der Aufenthalt der Deutschen von den meisten Algeriern mit Hoffnung wie Skepsis verfolgt. Staatschef Abdelaziz Bouteflika hat zwar im Gespräch mit Horst Köhler deutsche Firmen ausdrücklich aufgefordert, in Algerien zu investieren. Zur Ermutigung unterzeichneten beide Präsidenten ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Das Hauptaugenmerk der Wirtschaftsvertreter lag jedoch auf dem Energiesektor. Algerien will von den Erfahrungen im Bereich der erneuerbaren Energien profitieren und hat bereits Partner für die Förderung der Nutzung von Solarenergie gefunden. Immerhin steht dafür die algerischen Sahara, die fast 90 Prozent der Oberfläche des Landes ausmacht, zur Verfügung. Um dem Land indes bei der Schaffung einer nachhaltigen Wirtschaftsstruktur und sozialen Gesundung zu helfen, müsste auch in anderen Bereichen mehr investiert werden.
* Aus: Neues Deutschland, 14. November 2007
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