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Paris und Algier gehen aufeinander zu

Vor militärischem Eingreifen in Mali soll Verhandlungslösung gesucht werden

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Angesichts der Polemik um die Bewältigung der schwierigen gemeinsamen Vergangenheit und der zahlreichen geschlossenen Wirtschaftsabkommen ist beim Algerienbesuch von Präsident Hollande kurz vor Weihnachten eine außenpolitische Kehrtwende Frankreichs fast unbeachtet geblieben.

Bisher war Frankreichs Staatsoberhaupt François Hollande einer der vehementesten Befürworter einer schnellstmöglichen militärischen Intervention im Norden Malis, um dort das Schreckensregime salafistischer Terroristen zu beenden und die Autorität der Regierung über das gesamte Territorium des Landes wiederherzustellen. Nun schwenkte er in den Gesprächen mit seinem algerischen Amtskollegen Abdelaziz Bouteflika auf dessen Kurs ein, erst noch nach einer Verhandlungslösung zu suchen.

Algerien strebt seit Jahren eine Führungsposition im nordwestafrikanischen Raum an und reagiert allergisch auf ausländische Einmischung, zumal seitens der ehemaligen Kolonialmacht oder der NATO wie 2011 in Libyen. Darum stand und steht Algier den Bemühungen um eine militärische Intervention in Mali durch ein multinationales Korps afrikanischer Truppen mit logistischer Unterstützung Frankreichs und anderer europäischer Länder skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Dass das fundamentalislamistische Regime der Al Qaida nahen AQMI-Terroristen im Verein mit nach Unabhängigkeit strebenden Tuareg-Nomaden in Nordmali die Bevölkerung terrorisiert und die von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuften Mausoleen von Timbuktu zerstörte, ist natürlich auch Bouteflika nicht gleichgültig. Doch er befürchtet, dass eine Militärintervention mehr schaden als nützen würde und letztlich die ganze Region in Brand setzen könnte. Davon bliebe dann sicher auch Algerien nicht verschont, dass bislang erfolgreich ein Übergreifen des »arabischen Frühlings« vermeiden konnte.

Doch um bei Frankreich Verständnis für die eigene Position zu finden, hat Bouteflika eine Woche vor dem Hollande-Besuch öffentlich erklärt, dass es »nur normal ist, wenn Mali internationale Unterstützung bei der Ausmerzung des Terrorismus im Norden des Landes bekommt«. Damit stellt er sich offensichtlich darauf ein, dass seit dem grünen Licht des UN-Sicherheitsrates die Militäroperation kaum noch aufzuhalten und nur ihr Zeitpunkt noch offen ist.

Seit 20 Jahren versucht Algerien, durch Vermittlung zwischen den aufständischen Tuareg-Nomaden einerseits und den von diesen bedrängten Regierungen Malis, Nigers, Burkina Fasos, Nigerias und Libyens andererseits den eigenen Einfluss in der Region auszubauen. Durch den neuen taktischen Schachzug und den Schulterschluss mit Hollande will Bouteflika offensichtlich Zeit gewinnen für den Versuch, durch Verhandlungen einen Keil zwischen die in Nordmali aktiven Tuareg und die AQMI-Terroristen zu treiben. Letztere, mit denen auch nach Überzeugung Algiers kein Dialog möglich ist, sollen so politisch isoliert und zum Rückzug aus den Städten und in ihre Positionen in der Sahara gezwungen werden, wo man sie leichter aufspüren und unschädlich machen könnte.

Frankreich ist nicht unsensibel für diese Taktik, denn immerhin befinden sich acht eigene Staatsbürger - der letzte wurde demonstrativ während Hollandes Algerien-Besuch entführt - in der Hand der Terroristen, die die Rücknahme vorgeblich antiislamischer Gesetze in Frankreich zur Vorbedingung für eine Freilassung der Geiseln machen. Ein massiver militärischer Feldzug in der Region, so ist zu befürchten, käme einem Todesurteil für sie gleich.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Dezember 2012


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