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Die Unruhestifterin

Trotz Terror und Ausnahmezustand hat Schriftstellerin Maïssa Bey ihre Heimat Algerien nie verlassen. In Frankreich wird sie für ihre literarischen Leistungen gefeiert

Von Christine Belakhdar *

Aufrecht ist sie. Standhaft. Ihre Stimme ist warm und fest, ihre Augen leuchten beim Sprechen. Sie strahlt Authentizität aus. Weil sie sich in keine Strömung pressen läßt. Sie schreibt darüber, was sie berührt, was sie betrifft, was sie beseelt. Maïssa Bey gehört zu jenen algerischen Schriftstellerinnen, die die Leser sofort durch ihre mal ironisch-bissigen, mal poetisch verspielten Worte und die ausgefeilte Erzählstruktur überzeugten. Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, wie etwa im November dieses Jahres auf dem Literaturfestival der Stadt Creteil den »Prix de Soleil« für ihren 2010 erschienenen Roman »Puisque mon coeur est mort« (Weil mein Herz tot ist). Darin befaßt sie sich mit einer der dunkelsten Seiten der algerischen Geschichte, den 1990er Jahren, in dem nordafrikanischen Land auch »Schwarzes Jahrzehnt« genannt, und der seit 2001 zur Staatsräson erklärten Politik der nationalen Aussöhnung. Schon ihr erster Roman, »Au commencement était la mer« (Am Anfang war das Meer), erschienen 1995 in Frankreich, wurde beispielsweise von Le Monde du Livre gefeiert.

Notwendige Worte

Maïssa Bey lebt in Algerien, das von dramatischen Erschütterungen heimgesucht wurde. All ihre Bücher sind zuerst in Frankreich erschienen, und doch arbeitet sie in erster Linie für ihre Landsleute. Sonst hätte das Schreiben keinen Sinn, sagt sie. Schreiben, um der Sprachlosigkeit zu entrinnen. Schreiben, um die Unfaßbarkeit der algerischen Realität zu überwinden: Im Dezember 1991 hatte die Islamische Heilsfront FIS bei den ersten Mehr-Parteien-Wahlen in Algerien den ersten Wahlgang gewonnen. Aus Furcht, das Land könnte gleich dem Iran zu einem fundamentalistischen »Gottesstaat« werden, brachen die seit der Unabhängigkeit im Hintergrund waltenden Generäle die Wahl ab und verhängten den Ausnahmezustand, der faktisch seit mittlerweile 18 Jahren anhält. Die Islamisten, aber auch die Netzwerke der Mitglieder der sich untereinander bekämpfenden Nomenklatura antworteten mit Terror, dem 200000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Bevorzugte Zielscheibe der Islamisten waren neben den Sicherheitskräften Kulturschaffende, Journalisten und politisch aktive oder auch nur selbstbewußte Frauen.

Diese Entwicklung machte eine neue Literatur dringlich, die sogenannte littérature d’urgence, in der vor allem junge algerische Asylsuchende in Frankreich über traumatische Erlebnisse in ihrer Heimat schrieben. Unzählige Akademiker verließen Algerien Hals über Kopf und nahmen prekäre Lebensverhältnisse im Ausland in Kauf. Doch Maïssa Bey blieb trotz der täglichen Bedrohungen und des Terrors. Wenn sie gefragt wird, warum sie sich dem aussetzt und warum sie schreibt, dann antwortet sie, daß sie sich bemerkbar machen will – im Gegensatz zu anderen, die schweigen, um nicht aufzufallen. Daß sie sich mit diesem Krieg ohne Namen nicht abfinden konnte, nicht passive Zeugin eines kollektiven Alptraums sein wollte – gerade weil es in der Vergangenheit so hoffnungsvolle Entwicklungen gegeben hatte: Im Oktober 1988 hatte nach jahrzehntelanger Herrschaft von Vertretern der Nationalen Befreiungsfront FLN ein in der arabischen Welt bislang noch nie dagewesener Demokratisierungsprozeß mit Zulassung verschiedener politischer Parteien und der Möglichkeit für Bürger, die Geschicke des Landes mitzubestimmen, begonnen.

Sprache als Kriegsbeute

Maïssa Bey sagt über sich, sie sei Algerierin, aber auch Araberin durch ihre Herkunft: Die 1950 Geborene stammt väterlicherseits von einem großen, einst aus Arabien kommenden Beduinenstamm ab, der für seine Eloquenz und Poesie bekannt war. Und sie ist geprägt von der muslimischen Kultur und Tradition, einem verinnerlichten, nicht exhibitionistischen Glauben, dem sie jedoch inzwischen kritisch gegenübersteht. Ihre Muttersprache ist also das in Algerien gesprochene Arabisch. Die französischen Kolonialherren untersagten seinerzeit den Gebrauch dieser Sprache. Weil sie heute wiederum von nationalistischen Machthabern vereinnahmt wird, schreibt Maïssa Bey in der ehemaligen Kolonialsprache. Sie betrachtet diese als ein von ihrem Vater geerbtes wertvolles Gut – und als eine »Kriegsbeute«, um die Worte ihres großen Vorbildes Kateb Yacine zu benutzen.

Die koloniale Vergangenheit ist ein Kapitel Geschichte, von dem sie ganz persönlich betroffen ist. Sie ist Tochter eines von französischen Soldaten ermordeten Märtyrers; eines Französischlehrers, der seinen Beitrag zur 1962 nach einem blutigen Krieg erkämpften Unabhängigkeit teuer bezahlte. Davon und von der sowohl in Frankreich als auch in Algerien ungenügenden Aufarbeitung dieses schmerzhaften Teils gemeinsamer Geschichte zeugen viele ihrer Romane. Sie stiftet gern Unruhe, wo offiziell Schweigen angeordnet wird. Denn für sie ist das Unbequeme Gebot.

* Aus: junge Welt, 10. Dezember 2010


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