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Albaniens Opposition will weitere Proteste

Drei Demonstranten in Tirana erschossen *

Regierung und Opposition in Albanien haben sich gegenseitig die Schuld für Tote und Verletzte bei der blutigen Demonstration in Tirana gegeben. Am Freitag (28. Jan.) soll es neue Proteste geben.

Nach den gewalttätigen Zusammenstößen in Albanien will die Opposition den Druck auf die Regierung aufrechterhalten. Der Chef der oppositionellen Sozialisten, Edi Rama, rief für den kommenden Freitag zu einer Gedenkkundgebung für die drei Opfer der Proteste auf. Am Sonntag (23. Jan.) blieb es in der albanischen Hauptstadt ruhig.

Die Opposition hatte am Freitag (21. Jan.) zur Demonstration gegen Korruption in der Regierung von Ministerpräsident Sali Berisha aufgerufen. Die aufgeheizte Stimmung schlug am Abend in Gewalt um. Zuerst feuerte die Polizei noch mit Gummigeschossen, dann schoss sie scharf. Die Demonstranten warfen mit Steinen und Brandsätzen. Einzelne versuchten, die Büroräume von Ministerpräsident Berisha zu stürmen. Ein Video, das in örtlichen Medien und im Internet kursierte, zeigte, wie Sicherheitsleute einen Demonstranten erschossen.

Die Einsatzkräfte hätten zurückhaltend agiert und alles Nötige getan, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, hieß es von Regierungsseite. Eine Untersuchungskommission sei eingesetzt worden, um die Todesfälle bei der Demonstration aufzuklären. Drei Menschen waren aus nächster Nähe erschossen worden.

Berisha warf der Opposition einen Putschversuch vor. Sie habe sich »für Albanien ein Szenario wie in Tunesien« vorgestellt. »Jetzt müssen sie alle die Konsequenzen tragen«, sagte Berisha. Er rief die Albaner für kommenden Mittwoch (26. Jan.) zu einer Demonstration auf.

Die oppositionellen Sozialisten beschuldigten am Wochenende ihrerseits die Polizei, die Gewalt gegen »unbewaffnete und ungefährliche Demonstranten« provoziert zu haben. Nach offiziellen Angaben wurden 50 Polizisten verletzt und mehr als 110 Menschen festgenommen. Der Leiter eines örtlichen Militärkrankenhauses sprach von 22 verletzten Zivilisten.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2011


Von Tunis nach Tirana

Von Detlef D. Pries **

Albaniens Regierungschef Sali Berisha selbst verglich sich mit dem gestürzten tunesischen Alleinherrscher Ben Ali. Wie anders wäre der Vorwurf an seine Gegner zu verstehen, sie hätten sich »für Albanien ein Szenario wie in Tunesien« vorgestellt? Tatsächlich hallt das Echo der Ereignisse in Tunis nicht nur im arabischen Raum, sondern quer übers Mittelmeer bis an Europas Küste. Was nicht heißt, dass die Gegebenheiten hier wie dort dieselben wären. Während Ben Ali 23 Jahre herrschte, regierten in Albanien mal sogenannte Sozialisten, mal sogenannte Demokraten, die sich indes an gegenseitigen Korruptions- und Wahlfälschungsvorwürfen nichts schuldig blieben. Ein beträchtlicher Teil des Volkes fühlte sich in jedem Fall betrogen und ließ sich für den Machtkampf mobilisieren. Jetzt kostete das wieder drei Menschenleben.

»Europa« ist verschreckt: Durch die Todesschüsse in Tirana verlängere sich der Weg Albaniens zum EU-Beitritt, hieß es, denn solche Verhältnisse widersprächen den Werten der Union. Für die NATO-Aufnahme 2009 galt das bezeichnenderweise nicht. Selbst Kleptokratien sind nämlich gut, ihr Land als Aufmarschbasis und ihre Soldaten als Kanonenfutter herzugeben. Wie Tunesien unter Ben Ali, das – obwohl nicht Mitglied – für NATO- und Pentagon-Pläne unverzichtbar zu sein schien.

** Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2011


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