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Wirtschaftsfaktor Afrika

Bundeskanzlerin Merkel hastet durch den schwarzen Kontinent. Ziele waren ökonomisch aufstrebende Regionalmächte. Gegen den Hunger gab’s Almosen

Von Wolfgang Pomrehn *

Bundeskanzlerin Angela Merkel sei auf dem falschen Krisenkontinent unterwegs, kommentierte am gestrigen Mittwoch eine konservative Tageszeitung. Aber da hat jemand offensichtlich etwas falsch verstanden. Merkel, die gestern in Angola eintraf und dort unter anderem mit Präsident José Eduardo dos Santos sprach, hat bei der Visite nicht etwa die diversen afrikanischen Konflikte oder Hilfe gegen Hungersnöte im Sinn. »Ginge es Merkel tatsächlich um die Beseitigung von Hunger und Armut in Afrika, müßte sie sowohl die Exportsubventionen von Lebensmitteln abschaffen als auch sich von der Freihandelspolitik verabschieden. Aber leider geht es ihr vor allem anderen um die Wahrung von wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen«, kritisierte Roland Süß vom Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC.

Wie recht er damit hat, zeigte die Kanzlerin gleich auf ihrer ersten Station in Kenia. In das ostafrikanische Land strömen derzeit Tausende von Somaliern, die aus dem Nachbarland vor der wohl schlimmsten Hungerkatastrophe der letzten Jahrzehnte fliehen. Doch Merkel hatte für ihren kenianischen Amtskollegen Raila Odinga lediglich ein lächerliches Almosen im Angebot. Eine Million Euro wolle Deutschland zusätzlich für die Flüchtlingslager um Dadaab berappen. Dort leben zur Zeit nach unterschiedlichen Angaben 350000 bis 380000 Menschen in Unterkünften, die für weit weniger als 100000 Menschen ausgelegt sind. Und täglich kommen einige Tausend neu hinzu.

Wie hingegen hierzulande mit somalischen Flüchtlingen umgegangen wird, verdeutlicht ein Fall, der dieser Tage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wird. Dort klagen Betroffene gegen ihre Abschiebung aus Süditalien nach Libyen. Italienische Behörden hatten sie sozusagen im europäischen, also auch im deutschen, Auftrag nach Libyen verbracht, das sie wiederum in ihr vollkommen desolates Heimatland abschob.

Es geht bei Merkels Besuch natürlich um die Wirtschaft. Die Kanzlerin hat sich drei aufstrebende Staaten ausgesucht. In ihrem Troß befinden sich zahlreiche Manager, die Kontakte knüpfen wollen. Sowohl Kenia und Angola als auch Nigeria, die letzte Station der Reise, gelten als ökonomische Motoren in ihren jeweiligen Regionen. Zu Beginn der 1980er Jahre war der Kontinent, insbesondere die Länder südlich der Sahara, durch die seinerzeitige Schuldenkrise vom Weltmarkt abgehängt worden. Nun dämmert auch hierzulande einigen, daß sich daran etwas ändern muß.

Das Motiv für dieses neu erwachte Interesse ist alles andere als uneigennützig. »Deutsche Interessen durchsetzen« titelt in schönster Klarheit der Nachrichtensender n-tv, wobei mit »deutschen Interessen« nicht jene der Minijobber, Facharbeiter oder Hartz-IV-Bezieher, sondern die der rohstoffhungrigen Exportwirtschaft gemeint sind. Die Tagesschau der ARD wird auf ihrer Internetseite konkret: »DIHK fordert Zugang zu Seltenen Erden«. Hintergrund ist die Forderung von Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, die Kanzlerin möge sich auf ihrer Reise »für einen weiterhin freien Zugang zu Afrikas Rohstoffen« einsetzen.

Bei den Seltenen Erden handelt es sich um eine Reihe von Metallen, die in den letzten Jahren für diverse Hightech-Anwendungen immer wichtiger geworden sind. Ihr Abbau ist meist mit erheblichen Belastungen für die Umwelt verbunden. Zur Zeit hat China ein fast hundertprozentiges Monopol auf die strategischen Ressourcen. Das liegt allerdings nicht daran, daß es andernorts keine Vorkommen gäbe, sondern eher daran, daß die großen westlichen Rohstoffkonzerne sich bisher aus mangelndem wirtschaftlichen Interesse nicht um die Erschließung entsprechender Lagerstätten bemüht haben.

Das ändert sich gerade, und nicht nur in bezug auf Seltene Erden. Viele Rohstoffe, zum Beispiel auch Eisen, Kupfer, Aluminium sowie Öl und Steinkohle, haben sich in den zurückliegenden zwei Jahren stark verteuert. Zum Teil sind bereits die historischen Höchststände aus der Zeit kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 wieder erreicht oder gar überschritten. Der Trend des allgemeinen Preisverfalls, der für die meisten Rohstoffe seit Mitte der 1970er existierte, scheint gestoppt. Die starke Expansion der Weltwirtschaft, angetrieben vor allem von den Schwellenländern, wird auf absehbare Zeit dafür sorgen, daß Rohstoffe relativ knapp und damit teuer bleiben.

Entsprechend aggressiv formulieren der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und in seinem Gefolge die Bundesregierung und der EU-Ministerrat ihre Rohstoffpolitik. Über Freihandelsverträge und Investitionsschutzabkommen soll hiesigen Unternehmen der Zugang gesichert werden. Kein Wort von der Zweischneidigkeit des Rohstoffreichtums für die Abbauländer. Oft gehen internationale Konzerne bei der Förderung rücksichtslos mit der lokalen Umwelt um und zerstören die Existenzgrundlagen von Bauern und Fischern, während sie den größeren Teil der Gewinne außer Landes schaffen.

Und selbst wenn es einer Regierung gelingt, einen angemessenen Teil der Einnahmen im Land zu halten, dann entsteht oft eine höchst einseitige Wirtschaft. Durch die hohen Einnahmen aus den Exporten wertet die einheimische Währung stark auf, wie es zum Beispiel derzeit in Angola geschieht, dessen Hauptstadt Luanda zu den teuersten Metropolen der Welt zählt. Das ist nicht nur schlecht für den Tourismus, sondern auch für den Aufbau einer heimischen Konsumgüterindustrie, die nicht mit den billigen Importen konkurrieren kann. Eine nachhaltige Entwicklungspolitik müßte daher die Exporte regulieren und mitunter einschränken, wie es China zum Beispiel seit einiger Zeit mit den Seltenen Erden macht. Doch genau dagegen richtet sich das Geschrei der hiesigen Freihändler.

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2011


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